Drei Frauen und die Weltgeschichte

Über Jorge Volpis Roman "Zeit der Asche"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich möchte den einzigen Schriftsteller beglückwünschen, der besser ist als ich." Mit diesen markigen Worten lobte Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez 1999 das Romandebüt "Das Klingsor-Paradox" aus der Feder des mexikanischen Autors Jorge Volpi. Dieser ist ein hochgebildeter Zeitgenosse - Anwalt und promovierter Literaturwissenschaftler. Er war zwei Jahre Kulturattaché seines Landes in Paris und ist heute Leiter des staatlichen Kultursenders "Canal 22". Mit nun gerade einmal 40 Jahren legt der in die Naturwissenschaften vernarrte Autor ("Ich habe immer bereut, nicht Physik studiert zu haben."), der den magischen Realismus Marquez'scher Prägung kategorisch ablehnt, seinen dritten Roman vor.

Ausgehend von drei Frauenschicksalen breitet Volpi ein großes erzählerisches Zeitgemälde aus, das von der Weltwirtschaftskrise 1929 über den Niedergang der Sowjetunion bis hin zu den modernen russischen Finanzjongleuren der Gegenwart reicht. "Zeit der Asche" ist gleichermaßen ein Roman über den Zerfall des Sozialismus in Osteuropa wie eine harsche Kapitalismuskritik. Dass ausgerechnet das Reaktorunglück von Tschernobyl zum Handlungseinstieg als Untergangsmetapher für ein dekadentes politisches System herhalten musste, ist allerdings nicht nur künstlerisch, sondern auch moralisch mehr als fragwürdig.

Von einem "Roman in drei Akten" ist im Untertitel (durchaus sinnstiftend) die Rede. Und in jedem Akt geht es um das Schicksal einer Frau. Die Russin Irina Granina will es nicht wahrhaben, dass ihre Tochter tot ist. Im Leichenschauhaus soll sie ihr Kind identifizieren, erklärt aber, dass es sich bei der Toten nicht um ihre Tochter handle: "Eine Mutter irrt nie. Es sind nicht ihre Augen".

Die erfolgreiche Fondsmanagerin Jennifer Moore aus New York erfährt vom Tod ihrer Schwester, einer vehementen Globalisierungskritikerin. Doch die eloquente Bankerin fühlt sich überfordert, ihrem kleinen Neffen die Nachricht zu überbringen.

Im Mittelpunkt des dritten Handlungsstrangs steht die Bio-Informatikerin Eva Halasz. Die gebürtige Ungarin, die sich wissenschaftlich mit der Erforschung der Intelligenz beschäftigt hat, ist von ihrem eifersüchtigen Liebhaber, der sich vor Gericht verantworten muss, umgebracht worden. Über und zwischen allen Ebenen und Orten bewegt sich ein geheimnisvoller Erzähler - ein Schriftsteller, der Richard Dawkins Theorie von den "egoistischen Genen" vertritt, sich selbst später als skrupelloser Mörder entpuppt und an einem Roman mit dem Titel "Zeit der Asche" arbeitet.

"Nachdem man zwanzig Jahre lang die Herrschaft freier Märkte behauptet und die Verschlankung des Staates gepredigt hat, befindet sich die Welt wieder in einer erheblichen Krise, und die, die das Ende der Geschichte ausgerufen haben, fordern heute, dass der Staat stärker ins globale Wirtschaftsgeschehen eingreife", erklärte Volpi kürzlich in einem Interview.

Der künstlerische Tausendsassa versteht es, so furios zu erzählen wie in einem rasanten Krimi, und er ist ohne Zweifel auch ein leidenschaftlicher Streiter für einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, doch Volpis hoch ambitionierter Versuch, den Lauf der Welt in Romanform abhandeln zu wollen, erinnert unter dem Strich ein klein wenig an Otto Lilienthals mutige, aber letztlich erfolglose Flugexperimente.


Titelbild

Jorge Volpi: Zeit der Asche. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Catalina Rojas Hauser und Kirstin Bleiel.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009.
510 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783608937015

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