Das Quadrat des Himmels

Über Johannes Groschupfs Neukölln-Ode "Hinterhofhelden"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Berlin-Neukölln ist es genau wie mit anderen Sachen auch, die Meinungen gehen auseinander: Entweder man ist in heißer Liebe entbrannt oder hasst es aus tiefstem Herzen. Man ist entweder verzückt vom abgewetzten, angeranzten Charme zugekoteter Gehwege, verrauchter und schwach beleuchteter Kneipen und gut sortierter, (fast) immer geöffneter Kioske (die in Berlin "Spätis" heißen). Oder man ist abgeschreckt vom Dreck, der Lautstärke und davon, dass die Menschen mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten. Das schwache "mögen oder nicht mögen" gibt es nicht, Indifferenz schon gar nicht.

Genau dorthin, an den wahrscheinlich umstrittensten Teil Berlins, führt einen Johannes Groschupfs Roman "Hinterhofhelden". Es sind die 1980er-Jahre, und Groschupfs Held Hans Odefey kommt nach Berlin, um dort zu studieren. Eine Wohnung findet er durch Zufall, wie eigentlich alles in seinem Neuköllner Leben ihm einfach so passiert: Er ist auf dem Weg zu einer anderen Wohnungsbesichtigung, als er an einem Haus vorbeikommt, vor dem gerade ein paar Jungs einen Lkw beladen. Die Uni besucht Odefey anfangs einigermaßen gewissenhaft, dann halbherzig, später gar nicht mehr. Vielmehr fängt er zu fotografieren an. Die Kamera, eine alte Minolta, findet er in einem der stereotypen Neuköllner Ramschläden, die alles und nichts verkaufen. Aber auch der Kamerakauf passiert ihm eigentlich eher en passant, als dass er es tatsächlich plant. Dass er dann mit Fotografieren Geld verdient, genauso. Odefey lebt inmitten einfacher und einfach gestrickter Menschen - dem Hauswart und BVG-Kontrolleur Pilarski und dessen Frau oder der trockenen Alkoholikerin Frau Lindner und ihrer Familie zum Beispiel - und nimmt ihr Leben, ihren Alltag, ihre Kinderwagen, ihr Warten auf den Bus und eben auch ihre Hinterhöfe auf. Durch die Fotografie lernt er schließlich auch Meentje kennen, in die er sich verliebt und mit der er einen kurze, intensive und schöne Zeit verbringt. Natürlich endet die Beziehung im Desaster. Schließlich ist es Neukölln.

Groschupf hat schon mit seinem ersten Roman "Zu weit draußen" ein einfühlsames Porträt einer Außenseiterexistenz gezeichnet. Auch Hans Odefey, der von dem für Berlin, vor allem aber für Neukölln so typischen Hinterhofleben zwangsweise assimiliert wird, ist so eine Figur. Groschupf lässt ihn ziellos umherschweifen und dabei ein gleichsam berührendes wie abstoßendes Porträt Neuköllns und seiner Bewohner entstehen. Odefey friert in seiner mit Kohlenofen beheizten Wohnung, trinkt in zwielichtigen Kaschemmen, wird verprügelt und schläft mit der Hauswartsfrau - bis er sich am Ende im Kampf gegen den Hauswart den Weg aus Neukölln boxt.

Das Buch - so wie auch der Bezirk Neukölln - beginnt und endet am Hermannplatz. Zwischen den beiden Begebenheiten, Odefeys Ankunft und seinem Weggang, hat Groschupf dem Leser ein Gespür für die Mentalität der Menschen vermittelt, die sich gegenseitig in die Küchen und Wohnzimmer schauen können. Die durch den gemeinsamen Hinterhof, das "Quadrat des Himmels", wie Groschupf schreibt, aneinander gebunden sind. Und die wohl nicht anders können als Neukölln zu lieben. Nach der Lektüre ist man versucht, es ihnen gleich zu tun. Wenn man das Stück Erde südlich von Kreuzberg nicht sowieso schon mag.


Titelbild

Johannes Groschupf: Hinterhofhelden. Roman.
Eichborn Berlin, Berlin 2009.
220 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821858463

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