Amour Fou

Stephan Schad liest Feridun Zaimoglus Roman "Liebesbrand"

Von Sandra RührRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Rühr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alles beginnt fast mit einem Ende: "Es wurde dunkel, es wurde hell und dann starb ich". Doch David, die männliche Hauptfigur, begehrt auf: "Wie kann ich hier sterben, das darf nicht sein!" Und so trinkt er von der Wasserflasche einer Nienburgerin, die sie ihm, dem Überlebenden, nach einem Busunglück in der Türkei reicht. Ohne es zu wissen, wird die Nienburgerin damit einen Liebesbrand in David entfachen, der ihn dazu bringt, ihr nach Nienburg, Prag und Wien zu folgen.

Kann man nach einer einmaligen kurzen Begegnung in Liebe entbrennen? Das fragt sich Davids Umfeld ebenso wie die Angebetete selbst. Auch der Zuhörer ist sich nie ganz sicher, ob er das Motiv des glühend Liebenden, dessen Liebe keine Erwiderung findet, nachvollziehen kann. Doch das Glühen und Brennen sind Leitmotive des Romans. Es fängt mit dem brennenden Bus an, in dem David beinahe umkommt. Zurück in Deutschland beginnt David wieder mit dem Rauchen. Er versucht damit an sein altes Leben vor dem Busunglück anzuknüpfen. Doch dieses Leben ist trostlos und leer, genauso wie seine Wohnung, nachdem ihn seine Freundin verlassen hat. David ist "ausgeglüht", weshalb es kaum verwundert, dass er sich an die Nienburgerin Tyra klammert, als sei sie sein Rettungsanker in der Einsamkeit.

Doch "wer liebt, kommt um". Diese Aussage Jamilas, seiner Fremdenführerin in Prag, scheint sich David zu Herzen zu nehmen. Er verfolgt Tyra, obwohl diese ihn immer wieder zurückweist und er auf allen Reise-Etappen zum Opfer von Angriffen wird. Diese Verletzungen, seelischer wie körperlicher Art, scheinen notwendig zu sein, um David zu beweisen, dass Leben in der leeren Hülle steckt.

Sicher sind die Motive der Sehnsucht und der Reise der Romantik entlehnt. Doch Davids Liebesbrand ist eine Amour Fou, wie er eigentlich schon beim ersten Treffen mit Tyra feststellt: "Das Richtige fing falsch an und würde falsch enden." Dennoch bleibt er hartnäckig, um schließlich am Ende erkennen zu müssen: "Liebe ist Pfusch in Purpur."

Was könnte David aus der Begegnung mit Tyra gelernt haben? Dass er mitnichten "ausgeglüht" ist, wenn er seinem Leben eine Richtung gibt und dass er fähig ist, sein Innerstes zu offenbaren. Tyra hingegen ist hierzu nicht in der Lage. Sie bleibt sowohl David als auch dem Hörer dieser CDs ein Rätsel. So wie die Konturen der Unbekannten auf dem Cover verwischt sind, so bleibt Tyras Verhalten immer in der Schwebe.

Dieses fast verzweifelte Pathos mit einer Erkenntnis am Ende, die dazu nicht recht passen will, macht die Besonderheit des Romans aus, was die Jury der Corine, dem internationalen Buchpreis, 2008 dazu veranlasste, "Liebesbrand" in der Kategorie Belletristik auszuzeichnen. In einer Zeit, in der solche Gefühle nicht mehr möglich scheinen, sind sie erst recht herbeizusehnen.

Feine Ironie ist im Roman allgegenwärtig und durchbricht das Gefühlsselige: überzeichnete Charaktere und die Schilderung von tschechischem Aberglauben oder türkischen Gebräuchen. David kann als Fremder solche Dinge aufdecken und ironisieren, etwa wenn er die türkischen Sitten seiner Familie als mittlerweile in Deutschland Lebender nicht mehr nachvollziehen kann. Hier ist der Bezugspunkt zum Autor Zaimoglu, der 1964 im türkischen Bolu geboren wurde und inzwischen in Kiel lebt, wie die männliche Hauptfigur. Auch das Busunglück im Roman ist einer wahren Begebenheit entlehnt: Zaimoglu selbst hatte ein Jahr zuvor einen solchen Unfall. Somit könnte der Roman als Therapie verstanden werden. Tatsächlich geht es Zaimoglu aber um die Unbedingtheit romantischer Liebe.

Liebe ist bereits bei Zaimoglus Roman "Leyla" ein Motiv, spielt dort jedoch eher eine Nebenrolle - hier schreibt er aus der Sicht der Protagonistin Leyla. Bei "Liebesbrand" schlüpft er dagegen in die männliche Hauptfigur David und begibt sich gleichermaßen in die Vogelperspektive, um eher distanziert die Handlungsweisen der verschiedenen Figuren zu schildern.

Bekannt wurde der Autor mit seinem Roman über die Besonderheiten deutsch-türkischer Sprache junger Männer in "Kanak Sprak" oder dem weiblichen Pendant in "Koppstoff". Die Künste nutzt Zaimoglu in ihrer ganzen Ausdruckskraft: Er schreibt Drehbücher und Theaterfassungen, er ist als bildender Künstler ebenso tätig wie als Kurator.

All dies, Romantik und Pathos, Ironie und Distanz, muss der Sprecher Stephan Schad in der Hörbuchversion umzusetzen wissen, um eine gelungene Adaption der Buchvorlage zu erreichen. Der in Stuttgart ausgebildete Schauspieler, im selben Jahr wie der Autor geboren, hatte Engagements an den Staatstheatern Braunschweig und Frankfurt sowie am Nationaltheater Mannheim und am Thalia Theater Hamburg. Aus dem Fernsehen ist er durch zahlreiche "Tatort"-Produktionen und Auftritte in "Wolffs Revier", "Die Gerichtsmedizinerin" oder "Doppelter Einsatz" bekannt. Neben dem Krimi- bedient er auch das Liebes-Genre, so zum Beispiel mit "Leo und Marie - eine Weihnachtsliebe" oder "Ich lass mich scheiden". Seine Stimme schulte er in verschiedenen Hörspielen und Features beim SWR, NDR, WDR und beim Deutschlandfunk. Im Hörbuchbereich ist er bei ganz unterschiedlichen Aufnahmen zu erleben: Er liest unter anderem Kindertitel wie die Reihe "Die Zeitdetektive" und Krimis wie Åsa Larssons "Bis dein Zorn sich legt".

Schad hat eine zurückhaltende Art zu lesen, sodass die Geschichte, die er übermittelt, niemals überdeckt wird. Dennoch darf sein stimmliches Repertoire nicht unterschätzt werden: Er flüstert und grollt, er wütet und wirbt. Stakkato und ruhiger Erzählfluss wechseln einander ab, um die Gefühle der Figuren zu verdeutlichen. Männliche und weibliche Rollen werden durch leichte Nuancierungen voneinander unterschieden. Er schafft es auch, die feine Ironie Zaimoglus zu übersetzen. Kritiker könnten bemängeln, dass diese dann zu deutlich an die Oberfläche tritt, doch bleibt durch das Unaufdringliche der Stimme Schads immer noch Raum für eigene Interpretationen. Gleichzeitig ist die Rauheit seiner Stimme ein unverwechselbares Markenzeichen, welches ebenso die in David tobenden Gefühle versinnbildlicht.

"Liebesbrand" ist eine gelungene Hörbuchproduktion, die dank der sprecherischen Interpretation niemals eintönig wird, sodass man bis zum Ende mitfiebert, ob der Liebesbrand gelöscht werden kann. Besonders benutzerfreundlich ist die Trackeinteilung, wobei im Booklet die jeweils ersten Worte eines neuen Tracks aufgelistet werden. So kann der Hörer nach Unterbrechungen schnell wieder in die Geschichte finden. Schön ist auch, dass die sechs CDs inhaltsbezogen in verschiedenen Rottönen gehalten sind.


Titelbild

Feridun Zaimoglu: Liebesbrand. 6 CD.
Jumbo Verlag, Hamburg 2008.
426 min, 27,99 EUR.
ISBN-13: 9783833721281

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