Anders als die anderen

Doris Lessing schickt ein Problemkind in die Welt

Von Monika PapenfußRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Papenfuß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ben, dieses bedauernswürdige Geschöpf, von dem Doris Lessing in ihrem neuen Buch mit dem Titel "Ben in der Welt" erzählt, kennen wir bereits. In ihrem Roman "Das fünfte Kind" hatte die Autorin die Geschichte eines Paares erzählt, das mit seinen Vorstellungen vom Leben wie ein Fremdkörper in der sogenannten modernen, von Werten wie Wohlstand und Sozialprestige geprägten Welt wirkt.

David und Harriet sind schon als Jugendliche anders, haben kein Interesse an Parties und anderen Vergnügungen. Ihren Traum von einem geborgenen Heim setzen sie beharrlich und allen Widerständen zum Trotz um und gründen eine Familie. Das alte Haus, das sie kaufen, ist schon bald nicht nur das Heim ihrer schnell anwachsenden Kinderschar. Die Geborgenheit und Wärme, die es ausstrahlt, machten es zum Anziehungspunkt der gesamten Familie, die dem Leben des jungen Paares eigentlich eher kritisch gegenübersteht.

Doch die kleine Oase der Liebe und Geborgenheit, die sich weder durch finanzielle Engpässe noch durch den latenten Druck der Außenwelt erschüttern lässt, wird durch die Geburt von Ben, dem fünften Kind der Familie, zerstört. Dass von diesem Jungen etwas Bedrohliches ausgeht, kündigt sich bereits in der Schwangerschaft an. Der kleine Mensch, der nach - für die Mutter - neun erschöpfenden Monaten auf die Welt kommt, hat nichts von einem niedlichen, Beschützerinstinkte auslösenden Säugling. Dieses Kind ist groß, ungewöhnlich kräftig und behaart. Von Beginn an fühlen sich alle von ihm abgestoßen, eine unaufhaltsame Spirale von Ablehnung und Aggressivität kommt in Gang.

Ben fordert alle Aufmerksamkeit. Seine übernatürlichen Körperkräfte, gepaart mit unzügelbarer Aggressivität, machen ihn zur Bedrohung. Die Harmonie in der Familie zerbricht. Zuerst halten sich die Verwandten dem Haus fern, später entfliehen die Geschwister dem immer stärker von Hass und Gewalt geprägten Elternhaus. Schließlich geht auch der inzwischen sechszehnjährige Ben. Er schließt sich einer Bande von kriminellen, verwahrlosten Jugendlichen an, mit denen er schon seit geraumer Zeit durch die Gegend gezogen ist.

An diesem Punkt setzt "Ben in der Welt" ein, d. h. eigentlich begegnet der Leser Ben bereits auf einer neuen Etappe seines Lebens. Von dem mit maßlosem Hass erfüllten Kind und kriminellen Jugendlichen erfährt man lediglich in Rückblicken. Der achtzehnjährige Ben des vorliegenden Bandes ist ein Einzelkämpfer oder vielmehr ein Einsamer. Von seinen kriminellen Freunden hat er sich gelöst, da sie ihn nur gequält und ausgenutzt haben. Nun steht er alleine da in einer Welt, die ihm gänzlich feindlich gegenübersteht.

Auf unsentimentale und dennoch ergreifende Weise schildert Doris Lessing die Suche dieses Jungen nach einem Platz auf der Welt, wo er sich angenommen und geliebt fühlen kann. Schnell wird klar, dass seine Suche vergeblich ist, denn wer anders ist als die anderen, scheint kein Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu haben. Ben jedenfalls wird herumgeschubst, verhöhnt und gequält, bis er schließlich zum Versuchsobjekt von zynischen Wissenschaftlern wird, die aus seiner Andersartigkeit Kapital schlagen wollen und ihn schließlich in den Tod treiben. Der einzige Hoffnungsstrahl in diesem durch und durch traurigen Buch sind drei Frauen, die jede auf ihre Weise das Leben als Außenseiter kennen und Ben ein wenig von der Liebe geben, die er so vermisst.

Hatte Doris Lessing im ersten Band die bedrohliche Aggressivität und das zerstörerische Potential dieses Jungen betont, so setzt sie im Fortsetzungsteil einen anderen Schwerpunkt. Zwar ist auch dieser Fast-Erwachsene voller ungebändigter Aggressionen, doch erscheint er hier eher als Opfer: Opfer seines Wesens, für das er nichts kann, Opfer aber vor allem einer Welt, die ihn ausgrenzt.

Titelbild

Doris Lessing: Ben in der Welt. Roman, Aus d. Engl. v. Kliche, Lutz.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000.
250 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3455043941

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