Viel Licht und etwas Schatten

Ruth Ayaß führt in die Geschlechtlichkeit verbaler Kommunikation ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit geraumer Zeit weisen Gender- und KulturwissenschaftlerInnen darauf hin, dass ein hierarchisch organisiertes dualistisches Ordnungsprinzip die transatlantischen Kulturen nicht nur präge, sondern geradezu zu beherrschen scheine. Beispiele wie Mann/Frau, Kultur/Natur, hell/ dunkel sind allbekannt, und man schämt sich fast, sie hier noch einmal zu nennen.

Dass auch Kulturen denkbar sind, denen dieses Ordnungsprinzip nicht nur unbekannt, sondern geradezu unbegreiflich ist, zeigen die BewohnerInnen einer etwas weltentlegenen Gegend. Sie kennen weder rechts und links, noch vorne und hinten oder oben und unten. Sie kennen überhaupt keine dualen Alternativen und schon gar keine hierarchisierten. Vielmehr basiert ihre Logik auf fünf Möglichkeiten beziehungsweise Unterscheidungen. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass dieses Volk ziemlich unbekannt ist. Bislang erfuhr die Welt von seiner Existenz nur aus einer einzigen Quelle, den Memoiren einer "Spezialistin für Fremdrassen-Kommunikation", die ihnen auf einer ihrer zahlreichen Forschungsreisen begegnete und sich lebhaft daran erinnert, wie schwierig die Kommunikation mit ihnen war. Der Grund für die so anders geartete Sicht dieser Wesen auf Welt und Dasein macht die Linguistin in deren Biologie aus. Es handelt sich nämlich um flache, seesternförmige Lebewesen mit fünf Armen. Und spätestens jetzt dürfte klar sein, dass die Einheimischen des fernen Planeten Lambda 771 eine Erfindung der Science Fiction sind. Naomi Mitchison hat sie sich in ihren "Memoirs of a Spacewoman" zusammen mit zahlreichen anderen, nicht weniger absonderlichen Spezies ausgedacht.

Wie das von Ruth Ayaß unlängst vorgelegte Buch "Kommunikation und Geschlecht" zeigt, ist nicht nur die Erforschung der Kommunikation mit den Intelligenzen entferntester Planeten "nur selten langweilig". Den "wissenschaftliche[n] Hintergrund" von Ayaß' aus einer Vorlesungsreihe hervorgegangener Einführung, in der die Autorin nicht nur Entwicklungen und Ergebnisse der Forschung referiert, sondern oft auch eigene, nicht selten kluge Gedanken entwickelt, bilden Sprachwissenschaft und Soziologie. Philosophische, literatur- und politikwissenschaftliche Überlegungen "bleiben entsprechend außen vor". Bevor Ayaß zeigt, "dass es eigene 'Frauensprachen' nicht gibt", zeichnet sie die Entstehungsgeschichte der Diskussion um 'weibliches' und 'männliches' Sprechen nach, deren zentrale Kontroversen und welchen Verlauf sie insbesondere im deutschsprachigen Raum nahmen.

Dazu geht sie bis auf einen gewissen Otto Jespersen zurück, der schon 1922 von - wie er formulierte - "Weibersprachen" zu berichten wusste, die Missionaren "in fernen Ländern" zu Ohren gekommen seien. Wie Ayaß darlegt, hat Jespersen zudem bereits "sprachliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen in westlichen Gesellschaften erwähnt". Die weiteren Ausführungen der Autorin machen deutlich, dass die Forschung seither "einen weiten Weg gegangen" ist, der über "Defizitansätze" führte, "die weibliches Sprechen als rückständig beschrieben", über "Differenzansätze, die die Unterschiede betonen, doch eine Gleichwertigkeit postulieren, hin zu Kompetenzansätzen, die weiblichem Sprechen besondere Qualitäten zusprachen und das negative Vorzeichen umkehrten".

Vermutlich am heftigsten ging es gegen Ende der 1970er-Jahre zu. Damals hatte Hartwig Kalverkämper gegen Senta Trömel-Plötz und die gesamte feministische Linguistik den Vorwurf erhoben, sie lasse den Unterschied zwischen Sexus und Genus außer acht. Mit Luise F. Pusch zeigt Ayas nachdrücklich, warum er nicht sticht. Und sie erinnert an Puschs Vorschlag, das Problem des generischen Maskulinums zu lösen, indem Artikel vor die Substantive gesetzt werden. "Der Professor" und "die Professor" sollten beispielsweise "den je geschlechtsdefiniten Gebrauch anzeigen, 'das Professor' hingegen einen generischen". Eine noch heute bestechende Idee, die sich bedauerlicherweise selbst in feministischen Kreisen nie durchsetzen konnte.

Besonders ausführlich widmet sich Ayaß Daniel N. Maltz' und Ruth Borkers These von den "zwei Kulturen". Sie besagt, dass Männer und Frauen zwei verschiedenen Kulturen angehören und eine Kommunikation zwischen ihnen daher als "interkulturell" zu bezeichnen sei. Die von Deborah Tannen popularisierte Version dieser These stürmte während der 1990er-Jahre die Bestsellerlisten in Form des Buches "Du kannst mich einfach nicht verstehen" (1991 erschien das englische Original unter dem Titel "You Just Don't Understand" 1990). "Sehr irritierend" findet Ayaß, dass Tannens Werk "als wissenschaftliche Literatur rezipiert" wird. Das sei ein "großes Missverständnis", denn tatsächlich handele es sich vielmehr um einen Ratgeber. Insofern laufe auch die etwa von Trömel-Plötz vorgetragene wissenschaftliche Kritik an dem Buch "ins Leere". Allerdings lasse es sich "auch und gerade als Ratgeber kritisieren." Denn Tannen produziere "unter dem Vorzeichen der Aufklärung und Hilfestellung" Geschlechterstereotypen, "die als ideologisches Sickerwasser Eingang in die Glaubensvorstellungen alltäglich Handelnder finden und für eine fortwährende Aktualisierung von Geschlechterdifferenz sorgen". Damit trage Tannen zu einer "Naturalisierung von Geschlecht" bei. Außerdem gebe sie "nicht einfach nur gesellschaftliche Stereotypen wieder, sie selbst verfertigt sie", indem sie zwei "gegensätzliche Merkmalsets" des "Gesprächsverhaltens" von Männern und Frauen gegenüberstellt. Frauen pflegen Tannen zufolge eine "Beziehungssprache", Männer eine "Berichtssprache". Beide seien sie durch dichotom einander gegenüberstehende Merkmale gekennzeichnet. Insofern polarisiere Tannen "Geschlechtsunterschiede im kommunikativen Verhalten", was "schlicht fatal" sei.

Das alles weist Ayas sehr überzeugend nach. Schwächer wird ihr Buch hingegen in den abschließenden Kapiteln, in denen sie sich der "Problematik des Begriffs 'gender'" zuwendet. Selbst problematisch ist, dass die Autorin ihn unter Verweis auf die unheilvolle Geschichte seines Ursprungs zu desavouieren versucht und dabei Gefahr läuft, sich unversehens im Schulterschluss mit der Front konservativer Frauenfeinde und AntifeministInnen, wie etwa Volker Zastrow, zu befinden; eine ihr zweifellos unliebsame Gesellschaft. "Von Beginn an diente der Begriff 'gender' [...] der - auch mit chirurgischem Besteck ausgeführten - Bestätigung und Bekräftigung einer zweigeschlechtlichen Ordnung", erklärt Ayaß etwa. Dem ist in einem Punkt zu wiedersprechen. Zwar diente der Begriff zu Beginn und etliche Zeit darüber hinaus in der chirurgischen Geschlechtsvereindeutigung, wie sie etwa von John Money betrieben wurde, tatsächlich dem von Ayaß genannten Zweck, nicht aber von Beginn an. Denn diese Formulierung besagt, dass dem immer noch - und wie insinuiert wird sogar ausschließlich - so ist. Dem steht aber so ziemlich die gesamte Forschung der Gender Studies entgegen. Auch muss der Begriff keineswegs an Zweigeschlechtlichkeit gebunden sein. Denn zwischen sex und gender lässt sich auch unterscheiden, wenn man nicht zwei eineindeutig von einander getrennte Geschlechter annimmt, sondern viele, oder aber ein Geschlechterkontinuum, genauer gesagt zwei Geschlechterkontinua, ein biologisches und ein kulturelles. Oder vielleicht noch genauer: zwei mehrdimensionale Geschlechterräume, in denen die je individuellen Geschlechter nicht an einem Ort fixiert sind, sondern sich wie Vektoren verhalten.

Ungeachtet der schwächeren Ausführungen zum Begriff Gender handelt es sich bei der vorliegenden Einführung um ein Buch, das für angehende Linguistikstudierende eine geradezu unabdingbare Lektüre ist - und allen anderen zumindest zu empfehlen.


Titelbild

Ruth Ayaß: Kommunikation und Geschlecht. Eine Einführung.
Kohlhammer Verlag, Göttingen 2008.
205 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783170164727

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