Neustart

Markus Breidenichs Gedichtband "Das Pochen der Echolote" handelt von der schönen, neuen Computerwelt

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Markus Breidenich legt seinen ersten Gedichtband vor: "Das Pochen der Echolote" ist eine anspruchsvolle Reise durch die moderne Welt. Es ist eine Sammlung von Gedichten, die sich mit dem Zusammenspiel von Natur und Technik, virtuellen und realen Gefühlen und Wahrnehmungen - also dem Leben in der Computerwelt - beschäftigen.

Der 1972 geborene Physiker Markus Breidenich ist eigentlich Prüfer am Münchner Patentamt. Er gehört zu einer Gruppe Lyrikerinnen und Lyriker aus München, die sich "Reimfrei" nennen und sich regelmäßig in einem Schwabinger Künstleratelier zur gemeinsamen Textarbeit treffen. Dichtende Naturwissenschaftler nannte Wilhelm Bölsche vor einhundert Jahren "objektive Beobachtungsfanatiker", zuerst seien sie Wissenschaftler, dann Individualist, Anarchist oder Neureligiöser. Markus Breidenich ist zweifellos ein Beobachtungsfanatiker. Jedes Detail zählt, nichts bleibt dem Zufall überlassen. Physik und Poesie kulminieren in dem vorliegenden Gedichtband in einer modernen und doch romantischen, kritisierten und doch geliebten Welt. Breidenich lotet die Tektonik der modernen Welt aus, er sendet Schallwellen aus. Im Regelfall entspricht das erste Echo des Sonars der gesuchten Tiefe - nicht hier. Die Echolote lassen erst allmählich eine neue Ebene der Zusammenhänge entstehen.

Zwinkernd streut Breidenich charmante Zeilen voller Ironie zwischen die tiefgängigen Suchen und berichtet vom Reisen, vom Leben im Hotel. Last-Minute-Urlaub, ein Reinfall in einem Zimmer ohne Licht mit einer kalten Dusche und Personal, das erklärt, das Hotel habe alle Sterne verloren. Dagegen die durchliebte Nacht in einem anderen Zimmer, die mit der Widerholung einer Sendung mit der Maus im Fernsehen endet. Der Rucola-Salat erhält die letzte Ölung, während am Himmel die Chartermaschinen "im Kritzeln der Flugschreiber" kreisen, "an denen man stundenlang in der Luft hängt". Es stellt sich immer wieder die Frage der Wahrnehmung - und die Frage der technischen Manipulation der Wahrnehmung, der digitalen Überarbeitung. Nicht immer wird der Gegenstand beschrieben, häufig betrachten wir ein Abbild des Gegenstands. Die Pixel werden neu geordnet, die Realität wird manipuliert. Was wir sehen ist "täuschend echt", gefragt wird nach dem Punktestand, nicht nach der Tat.

In seinem Gedicht "Second Life" metaphorisiert Breidenich die Computerwelt. Die neue virtuelle Welt verschränkt sich mit der Realität. Menschen agieren durch Avatare und können sich dennoch verlieben. Es gibt keine Wahrheit, sondern Parallelwelten, "Metaversi" - ganz im Sinne von Neal Stephensons "Snow Crash". Zurückgezogen hinter einer Tastatur klickt der User seine Maus und ist doch mitten im Leben. Breidenich nimmt die Technikabhängigkeit der modernen Gesellschaft als unabdingbar hin und findet einen Weg des Ausgleichs zwischen Blogs und Liebe, zwischen Funklöchern und Entspannung.

In der "Lyrikedition 2000", begründet von Heinz Ludwig Arnold und Wolfram Göbel, sind schon einige interessante Gedichtbände - zu günstigen Preisen - erschienen. Die Lyrikedition gibt jungen, deutschsprachigen Lyrikern eine Plattform und damit die leider oft schwierige Möglichkeit Aufmerksamkeit zu erregen. Markus Breidenich kann man diese Aufmerksamkeit nur wünschen. "Das Pochen der Echolote" ist ein Band voller seismischer, soziokultureller Gedichte. Es sind kritisch reflektierte Wellen einer lebensbejahenden und letztlich immer positiven Technikpoesie. Die Verse reimen sich nicht, und doch ahmen sie Ein- und Ausatmen nach. Wer will, kann darin den Herzschlag erkennen. Bestehen die ersten drei Abschnitte aus jeweils fünfzehn Gedichten, so erlaubt Breidenich dem vierten Kapitel Epitaphe. Er gibt den Leser darin frei, lässt ihn aufstehen und den Staub aus der Hose klopfen. Es ist, als fragte Breidenich den Leser, ob er verstanden hat: Neustart.

Titelbild

Markus Breidenich: Das Pochen der Echolote. Gedichte.
Lyrikedition 2000, München 2009.
81 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-13: 9783869060255

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