Die Katastrophe der alten Dame

Barbara Bronnen nimmt die letzten Jahre Ricarda Huchs in den Blick

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hatte Anne Gabrich vor einigen Jahren die Liebesgeschichte von Ricarda und Richard Huch erzählt, so wandte sich Barbara Bronnen unlängst den letzten Jahren der seinerzeit sehr erfolgreichen Schriftstellerin zu und ging den Fragen nach, wie die 1864 geborene Literatin die Jahre vom Ende der Weimarer Republik 1933 bis zu ihrem Tode 1947 verlebte, was sie schrieb und wie sie die zwölfjährige Herrschaft der Nazis durchstand. Zwar studierte Bronnen Werke und Briefe der Autorin, doch gründet sie ihre Arbeit nicht nur auf schriftlich niedergelegte Zeugnisse, sondern besuchte zudem die Stätten von Huchs letztem Wirken und Leben in Jena. Auch befragte sie die wenigen noch lebenden Bekannten Huchs sowie Verwandte und Nachkommen. Und nicht zuletzt lässt sie Huch durch einfühlsame und genaue Beobachtungen lebendig aus den Fotografien hervortreten, die den Kapiteln jeweils vorangestellt sind.

Zwar war Huch von Beginn an eine Gegnerin des NS-Regimes, doch verließ die 1933 immerhin bereits 69 Jahre alte Autorin Deutschland nicht. Auch blieb sie Mitglied der Schrifttumskammer, denn sie war - insbesondere finanziell - "nicht frei genug, um nicht ab und zu Kompromisse einzugehen". Die neuen Herrscher versuchten sie gelegentlich sogar zu vereinnahmen, denn ihre Kunst war "in den Augen der Nationalsozialisten - bis auf ein paar prosemitische Entgleisungen - sauber und geistvoll". Erfolg war ihnen nicht beschieden. So lehnte Huch 1940 das Angebot einer finanziellen Zuwendung durch die gleichgeschaltete Deutsche Schillerstiftung ab. An ihrem 80. Geburtstag ereignete sich jedoch eine "wahre Katastrophe", wie Huch wenig später in einem Brief an eine langjährige Freundin klagte. "[A]uf Geheiß von Goebbels" hatte sie den Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig verliehen bekommen, ohne dass die alte Dame die Geistesgegenwart besessen hätte, ihn abzulehnen.

Nahezu einhundert Seiten lang befasst sich Bronnen mit den zweieinhalb Jahren der Nachkriegszeit, die Huch noch erleben durfte. Niemand hat die letzten Lebensjahre der Literatin so ausführlich beschrieben wie sie. Allein das schon sollte für alle, die an Huchs Leben und Wirken interessiert sind, Grund genug sein, zu dem Buch zu greifen.


Titelbild

Barbara Bronnen: Fliegen mit gestutzten Flügeln. Die letzten Jahre der Ricarda Huch 1933-1947.
Arche Verlag, Hamburg 2007.
192 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783716023730

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