Mit eigenwilliger Beharrlichkeit

Tilmann Lahme erzählt das Leben Golo Manns und gibt einen Band mit Erzählungen, Familienporträts und Essays heraus

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Golo Mann, am 27. März 1909 als drittes Kind von Thomas und Katia Mann geboren, war kein Glückskind. Man muss die briefliche Bemerkung Thomas Manns an seinen Bruder Heinrich zur Geburt des zweiten Sohnes, mit der Tilmann Lahne seine Biografie Golo Manns einleitet, nicht überbewerten, aber ein gewisses Moment des Beschwerlichen, des Angestrengten, das im Leben Golo Manns immer eine Rolle spielte, wird doch deutlich: "Es fehlte nicht viel, so hätte zur Zange gegriffen werden müssen, da die Herztöne des Kindes schon schwach wurden. Das Kind ist wieder mehr der Typus Mucki, schlank und etwas chinesenhaft. Es soll Angelus, Gottfried, Thomas heißen."

Nun, es ging gut und mit zäher Beharrlichkeit behauptete sich fortan das Kind auch gegen den zuweilen staunenden Missmut des Vaters, ob der düstern inwendigen Veranlagung des Jungen. Die war so ganz anders als das reizvoll sonnige Gebaren der beiden älteren Geschwister Klaus und Erika. Golos Stand blieb schwer im Familienkreis. Über sein Verhältnis zu den Geschwistern, insbesondere zum Bruder Klaus, findet sich in den "Familienportraits" des ebenfalls von Tilmann Lahme herausgegeben Bandes "Man muss über sich selber schreiben können" mit teilweise bislang unveröffentlichten Texten Golo Manns ein schöner und mit liebevoller Zuneigung verfasster Beitrag über den Bruder, der auch einiges über den Verfasser selbst aussagt. Denn so anders der ,berühmte' Bruder Klaus in seinem Auftreten und seiner öffentlichen Wirkung während der 1920er-Jahre als literarischer Bohèmien im Schatten des berühmten Vaters, bald aber auch schon als ruheloser und zentraler Vertreter des literarischen Exils war, so vergleichbar waren beide doch zwei lebensbestimmende Aspekte, die sie immer wieder auch zu Außenseitern machten. Zwei Aspekte bestimmen diese Ausgangslagen: Homosexualität und Drogen. Während indes Klaus Mann seine Homosexualität offen und ohne Rücksicht auf ein mögliches Skandalpotential exzessiv lebte, fiel es Golo Mann sein Leben lang sehr viel schwerer, offensiv seine Homosexualität zu vertreten. Klaus Manns tragisch-exzessiver Drogenkonsum war bekannt, wie sehr aber auch Golo Mann auf die Hilfe von Aufputschmittel in Tablettenform und Alkohol angewiesen war, dafür liefert Tilmann Lahme in seiner Darstellung viele Belege.

Einen interessanten Einblick in das Seelenleben des jungen Golo Mann bietet eine frühe Erzählung, die Tilmann Lahme ,wiederentdeckte'. "Vom Leben des Studenten Raimund" heißt die Erzählung, die Golo Mann seinem Bruder für die von ihm mitherausgegebene "Anthologie jüngster Prosa" überlassen hatte. Dort erschien der Text 1928 unter dem Pseudonym Michael Ney. Der Text ist eine psychologisierende Selbsterkundung in der Tradition romantischer Melancholie. Raimund, in dem man schnell Golo zu erkennen vermag, leidet insbesondere an der unerfüllten Sehnsucht nach dem schönen Freund Jerome. Doch als sei der Autor plötzlich seiner Geschichte und damit auch seines Helden, also sich selbst, überdrüssig, führt er die Geschichte zu einem rigorosen Ende. Raimund wird von einem Automobil überfahren: "Ein Rad ging ihm über die Brust, das andere über den Kopf, raste in seinem armen Gehirn, das nun endlich Ruhe haben sollte."

Das rigorose Ende der Erzählung wirkt wie mit trotziger Wut geschrieben. Mit ähnlich störrischer Konsequenz warten auch die anderen bislang unveröffentlichten Erzählungen auf, die Tilmann Lahme aus dem Nachlass Golo Manns auswählte. Golo Mann, so erläutert Lahme, schätzte das Genre der Gespenstergeschichten. In dies Genre passen die skurrilen und kuriosen Geschichten, die immer wieder ein böses Ende für die Protagonisten nehmen - oft unter den Rädern eines Automobils. Erzählungen wie "Spuk im Schloss", "Stimmen von drüben" oder "Die Todesanzeige" lassen einen mit sichtlich boshaftem Spaß zu Werke gehenden Autor erkennen. Das macht sie amüsant. Liest man sie freilich zusätzlich noch parallel zur Biografie Golo Manns, so werden diese Geschichten zu aufschlussreichen Begleittexten der Lebensgeschichte.

Wenn auch Golo Mann - wieder anders als sein Bruder - im Exil keine aktive Rolle spielte, so war doch seine Haltung eindeutig. Nach seiner 1940 mit seinem Onkel Heinrich Mann und dessen Frau Nelly geglückten Flucht von Frankreich über Portugal nach Amerika entschloss sich auch Golo Mann, wie sein Bruder, in die amerikanische Armee einzutreten. Als Angehöriger der US-Armee kam er zurück nach Europa und bald auch immer wieder nach Deutschland. Hier nun begann eine ebenso eigenwillige wie am Ende doch wieder außenseiterische Karriere.

1947 erschien die deutsche Ausgabe seines Buches "Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes". Bereits dieses Werk, dann aber vor allem seine 1958 erschienene "Deutsche Geschichte" und natürlich der "Wallenstein" von 1971 festigten Golo Manns Ruf als Historiker. "I'm getting important" schrieb er in sein Tagebuch. Tilmann Lahme, in seiner gesamten Darstellung sich immer wieder ausgiebig auf die Tagebuchaufzeichnungen Golo Manns stützend, leitet mit diesem Eintrag das Kapitel über Golo Manns zweite Lebenshälfte ein. Der ersten, "die er, jedenfalls gemessen an den eigenen Ansprüchen, ruhe- und weitgehend erfolglos verlebt hatte", folgte nun die zweite Hälfte, "die keineswegs mit dem Tod des Vaters, sondern mit der Deutschen Geschichte beginnt, diesem enormen Erfolg, der Golo Mann als den "großen Unbekannten" im Alter von fünfzig Jahren mit einem Mal in die Öffentlichkeit warf."

Hier aber gab es zwiespältige Reaktionen. Golo Manns Bücher waren Bestseller, und vielleicht erregte das allein schon das Misstrauen der etablierten akademischen Zunft. Man akzeptierte ihn ,nur' als "Schriftsteller unter Historikern". Hinzu kam noch ein weitere Aspekt, auf den Lahme hinweist: den hohen literarischen Anspruch seiner Werke verband Golo Mann mit einem "neuen Ansatz, indem er der gängigen Nationalgeschichte eine übernationale Perspektive gegenüberstellte". Prompt kam der Vorwurf aus der etablierten Historikerzunft. Golo Mann, so fasst Lahme eine Polemik des einflussreichen Gerhard Ritters zusammen, fehle die "nationale Erdung".

Wie wenig angemessen derartige Kritik angesichts der Qualitäten Golo Manns anmutet, kann man an der Erzählung "Herr und Frau Lavalette. Eine Episode aus napoleonischer Zeit", die sich ebenfalls in dem Band "Man muss über sich selber schreiben können" findet. In ausgefeilter Manier erzählt Golo Mann die Geschichte des Postmeisters Lavalette, der nach Napoleons Sturz vom neuen König einer dubiosen Staatsraison geopfert werden soll. Wie andere weitaus prominentere Napoleonisten soll der Postmeister hingerichtet werden. Doch mit Hilfe seiner Frau, die freilich ob der Anstrengungen dem Wahnsinn verfällt, und einiger Sympathisanten gelingt eine spektakuläre Flucht nach Bayern. Nach Jahren erst hebt der König das Urteil auf, und Lavalette darf wieder zurück nach Paris. Die Geschichte konzentriert beispielhaft Golo Manns Stärke: der Schriftsteller vermag durch Sprache und Stil einer historischen Ausgangssituation, die der Historiker zuvor präzise erkundete, einen beträchtlichen Erkenntnismehrwert zu geben. Durch die anschaulich erzählte ,Geschichte in der Geschichte' kann Golo Mann, gewissermaßen nebenbei, Erkenntnisse zu Zeit, Zeitalter, Machtverhältnissen und Atmosphäre vermitteln.

Die ihm entgegengebrachte Skepsis weiter Teile des akademischen Betriebs in Deutschland verletzte Golo Mann. Schnell kam es zum Streit, da die Tugend des deeskalierenden Vorgehens bei ihm auch nicht sehr ausgeprägt war. Lahme rekonstruiert die spektakulären Streitfälle, wie das "Zerwürfnis mit Karl Jaspers", oder auch den von beiden Seiten mit kleinkarierter Sturheit und wenig feinen Mitteln geführten Streit Golo Manns mit den Frankfurter Hierarchen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die sich gegen eine geplante Berufung Manns an die dortige Universität wandten. Auch Manns frühes Plädoyer für eine realistische Ostpolitik, die die Ergebnisse des Krieges anzuerkennen hatte, brachte ihm in der Bundesrepublik der 1950er- und 1960er-Jahre manche Anfeindungen. Im Band "Man muss über sich selber schreiben können" kann man hierzu auch den 1964 im "Stern" veröffentlichten Beitrag "Mit den Polen Frieden machen" wieder lesen.

Golo Mann mischte sich immer wieder in laufende politische Debatten der Republik ein. Nicht zuletzt sein Engagement für die Kanzlerkandidatur Franz Josef Strauß' erweckte bei vielen Zeitgenossen den Eindruck einer politischen Wandlung nach rechts. Doch liest man Lahme, so verfestigt sich der Eindruck, dass Golo Manns vermeintliche politische Wandlungen vor allem als Ungeschicklichkeiten einzuordnen sind. Im Kern blieb Golo Mann immer vor allem einer Sache treu: der aus der Erfahrung mit "H.", dem "Unaussprechlichen", resultierenden Skepsis gegen alles Deutschnationale. Im Historikerstreit etwa bezog er klar Position gegen die Deutschtümler. Auch die Deutschtumstuerei der 1980er-Jahre im Gefolge der Kohl'schen "Wende" gefiel ihm nicht: "Warum in aller Welt soll ein Deutscher, der heute das Centre Pompidou in Paris besucht, sich fragen: ,Wer bin ich? Was ist meine nationale Identität?' Das ist doch alles im Ernst gar nicht wahr. Überhaupt mag ich das Wort ,Deutsche Frage' auf den Tod nicht leiden."

Tilmann Lahmes informierende Biografie spart die unvollkommen gebliebenen privaten Geschichten Manns nicht aus. Glück in der Liebe fand er nicht. Trotzdem bleibt im Rückblick eine versöhnliche Episode bedeutsam. 1955 bereits hatte Golo Mann den jungen Studenten Hans Beck kennen, und wohl auch lieben gelernt. 1964 aber, so schreibt Lahme, "erklärte ihm Hans Beck, er werde Vater und wolle seine Freundin heiraten... Ein schwerer Schock für Golo Mann."

Doch man arrangierte sich. Jahre später adoptierte Golo Mann Hans Beck, nunmehr Hans Beck-Mann, und schuf sich so eine Art Familie. Nach dem Tod des Adoptivsohns 1986 vermerkte Golo Mann im Tagebuch: mit der Familie "und ihren Sorgen werde ich verbunden bleiben, ich glaube sogar noch stärker als je". Wie richtig er vorhergesehen hatte. Golo Mann starb am 7. April 1994 im Haus von Ingrid Beck-Mann. Die ausgebildete Krankenschwester hatte ihn, wie zuvor auch schon die 1992 verstorbene Schwester Monika, bis ans Ende betreut.


Titelbild

Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
550 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783100432001

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Titelbild

Tilmann Lahme (Hg.): Golo Mann "Man muss über sich selbst schreiben". Erzählungen, Familienporträts, Essays.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
271 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100479150

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