Für die Mozarts der Wirtschaft

Professor Faltin zeigt als Marktführer: "Kopf schlägt Kapital" und fordert nun zum Tanz

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da steht ein Professor und behauptet: Jeder kann erfolgreich ein Unternehmen gründen. Natürlich glaubt das keiner, schließlich kennt sich ein Professor, zumal ein deutscher, mit Büchern, nicht aber mit dem rauhen Kampf im freien Markt aus. Also bleibt dem Professor nichts anderes übrig, als Taten folgen zu lassen. Er kauft in Indien Darjeeling-Tee, lässt diesen, in Umgehung aller Zwischenhändler, nach Deutschland transportieren, dort direkt am Hafen abpacken und verkauft ihn in Großpackungen ab 1 Kilogramm. Die Qualität ist top, der Preis konkurrenzlos, die Sache funktioniert. Rund zehn Jahre später ist der Professor mit seiner "Teekampagne" weltgrößter Importeur von Darjeeling-Blatt-Tee und rangiert damit noch vor internationalen Konzernen wie Lipton, Twinings und Unilever. Dort an der Spitze hält er sich bereits seit weiteren zehn Jahren - das alles als Nebenjob versteht sich.

So eine Story muss jedem PR-Profi vor Neid die Tränen in die Augen treiben. "Mir ging es nie um Tee", sagt Faltin. "Ich will zeigen, dass fast jeder Mensch in der Lage ist, von seinem Alltagswissen ausgehend ein unternehmerisches Konzept zu entwickeln". Noch nie, so Faltin, sei es so leicht und so risikoarm möglich gewesen, ein Unternehmen zu gründen wie heute - und zwar ausgehend von einem "Ideenkonzept".

Was bedeutet das? Zunächst einmal, dass es einiger Dinge nicht bedarf, die bisher fast unausweichlich mit einer Unternehmensgründung assoziiert wurden: Weder Kapital, noch Expertise in Business Administration, noch technologische Erfindungen oder Patente sind vonnöten. Im Gegenteil, die Beschäftigung mit Fragen der Betriebswirtschaftslehre könnten vom Kern der Sache ablenken, und technologische Neuerungen verlangen nach stetiger kostenintensiver Weiterentwicklung, werden schnell von den big players imitiert, optimiert und der Initiator so schließlich vom Markt verdrängt.

Faltins "konzeptkreative" Gründungen basieren daher auf dem Prinzip der Koordination von bereits etablierten hochprofessionellen Elementen. Intelligente Neu-Kombination ist das Erfolgsrezept. Beispiel "Ratio Drink AG": Hochwertiges Apfelsaftkonzentrat wird beim Hersteller gekauft, beim Abfüller verpackt und vom Versandbetrieb an die Kunden geliefert. Büro und Auftragsbearbeitung werden ebenso ausgelagert wie die Buchhaltung. Trotzdem erwirtschaftet die Ratio Drink AG Profit, da alle Abläufe maximal effizient gestaltet sind und die Idee - Saft aus Konzentrat und dem bekanntermaßen exzellenten Leitungswasser selbst zu mischen - den Kunden immer noch einen deutlichen Preisvorteil bietet. Klar, dass bei solcher Art Unternehmen der Gründer keine zusätzlichen Schichten schieben muss. Nachdem er die Idee geliefert hat, bleibt nur mehr die Kontrolle der Arbeitsabläufe.

Faltin fragt zurecht: Habe ich das Produkt erfunden oder maßgeblich verändert? Habe ich die Großpackung erfunden? Ist die Idee, Zwischenhändler zu umgehen, revolutionär? Habe ich einen immensen Kapitaleinsatz benötigt? Von all dem kann nicht die Rede sein. Die eigentliche Innovation liegt in der geschickten Anordnung der Komponenten und misst sich, ganz im Sinne Joseph Schumpeters, an der Marktfähigkeit, also daran, wie gut sie den Bedürnissen der Kunden gerecht wird.

An prominenten Beispielen für "konzeptkreative" Gründungen ist kein Mangel: Von Aldi über Ikea bis zu Skype und YouTube - stets stand nicht eine technische Erfindung, nicht ein Patent, sondern ein neuartiges Konzept, wie Kunde oder User seine Wünsche verwirklichen kann, im Zentrum. Wobei bei den drei Erstgenannten, wie auch bei den meisten von Faltins Konzept-Gründungen, sicherlich der Preisvorteil letztlich das schlagende Argument liefert (Skype machte einfach eine seit langem bekannte Standardtechnologie bedienerfreundlich und unterbietet damit die Preise der Telekom-Konzerne bei Weitem).

Zwei Punkte wird Faltin nicht müde, immer wieder zu betonen: Erstens, BWL- oder MBA-Kentnisse haben nichts mit der Befähigung zum Unternehmer zu tun. Sie sind unabdingbar für die Verwaltung, besonders bei größeren Strukturen. Aber man kann sie sich verfügbar machen, indem man sie delegiert oder auslagert. Dieses Mozart-Prinzip, das sich aus Produktion und Verwaltung zurückzieht und nur mehr Elemente zu einem Ganzen orchestriert, verdankt sich der "Offenheit und Transparenz moderner Märkte sowie der Professionalität und Sicherheit in der Abwicklung", so Faltin, und nicht zuletzt den modernen, globalen Kommunikationsmedien.

Zweitens, habe fast jeder das Potential zum Unternehmer, betont Faltin und legt dar, wie problemlos es beispielsweise jedermann möglich wäre, über einen Broker per Termingeschäft Heizöl zu kaufen und sich dieses mit Nachbarn und Bekannten preisgünstig zu teilen. Bei seinem aktuellen Projekt für umweltfreundliche Energiesparlampen, der "CO2 KAMPAGNE", lädt der Gründer-Professor sogar direkt zum Mitmachen als Subunternehmer ein.

Faltins Buch "Kopf schlägt Kapital" inspiriert mit dem Reiz des Naheliegenden, das, was man tagtäglich vor der Nase hat, zu verändern, neuzuordenen oder zum Nutzen aller effizienter zu gestalten. Und was im Kleinen, Regionalen funktioniert, kann auch unversehens, dem Vorbild "Teekampagne" folgend, zum großen Erfolg werden - wie etwa die Homepage www.myphoto.de, deren Gründer mit der einfachen Idee, Digitalfotos in gedruckte Fotoalben umzuwandeln, dank einer Kooperation mit Schlecker über Nacht zum Marktführer in Deutschland aufstiegen. Ermutigend auch: Studien belegen, dass es keine festen Charakter-Eigenschaften des erfolgreichen Unternehmer-Typs gibt; Faltin ist überzeugt: Gründen lässt sich lernen. Am besten, während man es tut.

Wen das Credo "Jeder hat das Zeug zum Unternehmer" an den Nobelpreisträger und Grameen-Gründer Muhammad Yunus erinnert, der liegt richtig. Das Micro-Kreditsystem der Grameen-Bank in Bangladesch stellte die Banker-Gewissheit auf den Kopf, Arme seien weder kreditwürdig noch seien rentable Geschäfte mit Ihnen zu machen. Und auch Faltin sieht in seinem Plädoyer für eine neue Kultur des Entrepreneurship mehr als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche. Er zielt auf gute, sinnvolle Produkte, auf vernünftige Verbesserungen und auf den Social Entrepreneur, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen zusammenbringt. Er will anregen, echte Vorteile, echte Win-win-Situationen zu kreieren und nicht die x-te Marketing-Kampagne zu fahren, die Scheinbedürfnisse nach Überflüssigem weckt.

"Sparsamkeit, Einfachheit und Eigeninitiative" sind laut Faltin die Hebel, mit denen sich die Menschen "einen Teil der Ökonomie zurückholen und zu eigen machen" können. "Im System Wirtschaft muss der Übergang zu mehr Partizipation erst noch vollzogen werden, der uns für das System Politik schon selbstverständlich erscheint. [...] Die skeptische Interpretation des Marktes übersieht tendenziell dessen emanzipatorische Qualitäten. [...] Erst wenn das Wirtschaftsgeschehen für die meisten Menschen verständlich und zugänglich geworden ist und viel mehr Menschen als heute diese Möglichkeit auch aktiv wahrnehmen, haben wir das Ziel der Aufklärung erreicht: Menschen auch im Feld der Ökonomie mündig zu machen und sie in die Lage zu versetzen, offen, selbstbewusst und mutig in einer Gesellschaft mitzuwirken, in der die entscheidende Frage nach wirtschaftlicher Gestaltung nicht durch die wirtschaftliche Macht von wenigen bestimmt wird."

Also bittet Professor Faltin zum Tanz: "Entrepreneure braucht das Land!" Wer sich vor der Lektüre des (auch für Angestellte!) sehr empfehlenswerten Buchs über das Thema und Projekte des Autors informieren möchte, wird beispielsweise unter http://www.projektwerkstatt.com oder www.entrepreneurship.de fündig.


Titelbild

Günter Faltin: Kopf schlägt Kapital. Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen.
Carl Hanser Verlag, München 2008.
248 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446415645

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