Abspann

Die Desillusionierung des "American Dream"

Von Julia SchmitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schmitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Saul Karoo, Anti-Held des Romans Abspann, ist ein übergewichtiger, versoffener Kettenraucher um die 50, mit einer Unfähigkeit zu Liebe und Intimität und jeder Menge anderer neurotischer Verhaltensweisen. Der angesehene Skriptflicker und Umschreiber von Drehbüchern hat er keine Krankenversicherung, da er der Auffassung ist, dass es für seine Krankheiten keine Behandlung gebe und er somit auch keine Versicherung brauche. Wenn Robert Musil uns in seinem Mann ohne Eigenschaften die Zertrümmerung der Fundamente des 19. Jahrhunderts gezeigt hat, so demonstriert uns Tesich die amerikanische Popkultur der imaginativen Bildwelten in Saul Karoo, dem Mann ohne Identität. Als zeitkritischer und satirischer Roman ist "Abspann" die Desillusionierung des "American Dream", der die wahren Gegebenheiten zeigt.

Der Autor Steve Tesich, der selbst viele Stücke und Drehbücher ("The World According To Garp") geschrieben hat, weiss, wie die Film- und Medienbranche aussieht und wie verkommen sie ist. Dass moralische Werte oder Prinzipien im Filmbuisness keine Rolle spielen, wird besonders gut an der Figur des authentisch gezeichneten Filmproduzenten Cromwell gezeigt, der nur auf Profit aus ist und gnadenlos alles vermarktet, was zu vermarkten ist.

"Abspann" regt darüber hinaus allgemein zur Reflexion über die amerikanische Gesellschaft (oder auch die deutsche, denn viele Probleme sind auch in unserer Gesellschaft so anzutreffen) an. Sowohl Sauls Problem, nur in der Öffentlichkeit intim (nicht im sexuellen Sinn) sein zu können, seine aus endlosen Scheidungsgeprächen bestehende Ehe, ferner die Unfähigkeit seinem Adoptivsohn die nötige Vaterliebe zu schenken, sind keine spezifischen Schwierigkeiten, die mit seinem Beruf zusammenhängen, sondern grundlegendere und tiefere Probleme. Hier wird wieder einmal die These Erich Fromms bestätigt, dass der Bindungswille vorhanden ist, aber die Bindungsfähigkeit in unserer Konsum- und Leistungsgesellschaft schwindet und letztlich zu einer Wegwerfgesellschaft führt.

Um so mehr trifft es den Leser, als Saul Karoo trotz der Überwindung seiner Bindungsängste scheitert. Als er wieder versucht, die Fäden seines Leben in die Hand zu nehmen und zu entwirren, wird ihm ironischerweise gerade diese neu erwachte Aktivität zum Verhängnis. Saul Karoo verheddert sich bei dem Versuch, die Lebensfäden seines Sohnes Billy mit seinen eigenen und denen von Billiys leiblicher, dem Jungen jedoch noch unbekannten, Mutter zu verknüpfen. Er begeht einen verhängnissvollen Fehler, der den Leser Übles ahnen lässt.

Eine wahrhaft "amerikanische Tragödie", die dem Leser einerseits Verachtung und andererseits Mitgefühl für Karoo abverlangt, als er schließlich erkennt, dass "nicht ein einziger Moment der Nichtliebe je wiedergutgemacht werden" kann. Tesichs letzter Roman ist eine gelungene Gesellschaftskritik, die in die unendlichen Sphären des Alls entführt.

Titelbild

Steve Tesich: Abspann. Aus d. Amerik. v. Heidi Zerning.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
522 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3100800214

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