Eigene Begeisterung und Selbstzweifel

Edward Gorey schreibt ein skurriles Buch über die Mühen, einen Roman zu schreiben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen Roman zu schreiben, ist für die meisten Menschen nicht leicht. Auch nicht für Ronald Frederic Melf. Am 18. November jeden zweiten Jahres beginnt er mit einem neuen Roman, dessen Titel er sich willkürlich aus seinem kleinen grünseidenen Notizbuch auswählt, in das er infrage kommende Titel während des ganzen Jahres einträgt. Diesmal wird es: "Eine Harfe ohne Saiten". Ein schöner Titel, aber dummerweise ist ihm bisher noch kein Stoff eingefallen, der passen würde.

Mit dem ersten Schnee beginnt er die ersten Seiten zu füllen. Ja, jetzt klappt es. Wochen später sitzt Melf in der Badewanne und denkt über eine Rückblende nach, die "zwar ungeheuer dicht ist, aber im ersten Kapitel ein wenig unmotiviert wirkt. Kann er sie im zweiten Kapitel unterbringen Wenn ja, dann wo? An sich passt natürlich dieser Ritt durch das tibetische Grenzgebirge, akustisch untermauert von der Onomatopoesie der Gebetsmühlen, schlecht in die Atmosphäre einer Tea Party auf dem Rasen von Schloss Moralsholm." Allerdings enthält sie "einige unübertreffliche Passagen, die nicht verlorengehen dürfen." Man sieht, Melf hat es nicht leicht.

Punktgenau und unübertrefflich ironisch schildert Edward Gorey den komplizierten Entstehungsprozess eines Romans. In sehr kurzen Kapiteln schildert er eindringlich die Probleme, die der Autor hat: Die eigene Begeisterung über die Seiten, in denen er erzählt, wie "Lund zurückkehrt und beinahe sofort entseelt in das Grab sinkt, das seine selbstmörderisch veranlagte Zwillingsschwester für sich selbst im Garten geschaufelt hat. So etwas wäre eben doch keinem anderen eingefallen." Oder die Selbstzweifel, als Melf merkt, dass er Lund im neunten Kapitel doch noch brauchen könnte - leider hat er ihn da schon umgebracht. Die Mühen, die er unternehmen müsste, um eine neue Figur einzuschieben. Die Begegnungen mit den von ihm erfundenen Figuren. Die plötzliche Gewissheit, dass das alles "unmöglicher Unsinn, wenn nicht gar grauenhafter Mist" ist, was er da geschrieben hat.

Nur ein ganz klein wenig übertrieben scheint, was Gorey beschreibt. Aber zusammen mit seinen Zeichnungen, die die Geschichte illustrieren, wirkt dann doch alles so skurril und glaubhaft zugleich, so abstrus überzeichnet und doch so menschlich nachvollziehbar, dass man ständig zwischen Lachen und Mitleid schwankt. Virtuos spielt Gorey mit den düsteren Seiten des Autorendaseins, in sparsam andeutenden und gleichzeitig überbordenden Helldunkelzeichnungen gießt er noch ein wenig mehr Bosheit über die Geschichte aus. Gorey ist ein Klassiker des grotesken, schwarzen Humors, der jetzt vom Diogenes Verlag endlich wieder neu herausgegeben wird.


Titelbild

Edward Gorey: Eine Harfe ohne Saiten. oder Wie man Romane schreibt.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Wolfgang Hildesheimer.
Diogenes Verlag, Zürich 2009.
64 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783257021134

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