Die Genese eines Gotteslästerers

Der junge US-Autor Shalom Auslander macht in seinem ersten Roman "Eine Vorhaut klagt an" deutlich, wie viel Irrsinn im Religiösen steckt

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn es einen gütigen, gerechten und allwissenden Gott gibt, dann ist diese Welt mit ihren Ungerechtigkeiten und Schrecken nicht erklärbar. Oder anders gesagt: Angesichts der Übel dieser Welt kann das göttliche Wesen, so es denn existiert, nicht gütig, gerecht und allwissend sein. Denn sonst würde es eine solche Welt nicht zulassen. So oder ähnlich ließe sich das Konzept der théodicée auf den Nenner bringen. Die Folge daraus wäre: Gott muss fehlerhaft sein.

In Gottes Fehl und Tadel liegt auch das alles übergreifende Thema in dem neuen Roman des jüdisch-amerikanischen Schriftstellers Shalom Auslander begründet. Dieser erzählt in "Eine Vorhaut klagt an" von seinem Aufwachsen inmitten der jüdisch-orthodoxen Gesellschaft, einem Reifeprozess unter der göttlichen Knute. Wie viel eigenes Erleben er seinem gleichnamigen Alter Ego in dem Roman hat angedeihen lassen, macht allein schon der Untertitel "Erinnerungen" deutlich. Er hätte sich die Geschichte lieber ausgedacht und sich "eine Menge sauteurer Sitzungen beim Analytiker erspart", sagte Auslander im Interview mit dem "KulturSpiegel", aber der Roman sei letztlich auch Ergebnis und Konsequenz all dieser Treffen. Diesen Ernst und Tiefgang erwartet man zunächst gar nicht, hat man Auslanders Buch einmal zur Hand genommen. Der Roman ist zwar eine bitterböse Abrechnung mit der Orthodoxie und dem Religiösen gleich welcher Couleur - wenn auch exemplifiziert am Judentum -, hauptsächlich aber eine höchst amüsante Erzählung um das Zweifeln und Hadern mit den Misserfolgen und Enttäuschungen eines Heranwachsenden.

Auslander exerziert in seinem Roman die rasante Entwicklung der kindlichen Gottesfurcht zu einem ausgewachsenen Zweikampf mit dem Göttlichen. Steht am Anfang des Romans noch der von der Tora gebannte kleine Shalom, schließt der Roman mit einem abgekämpften, frisch gebackenen Mister Auslander, der in der Beschneidung seines Sohnes nur noch eine weitere göttliche Ohrfeige zu erkennen glaubt. Eine Ohrfeige für die unzähligen Sünden, die er im Laufe seines Lebens heimlich gesammelt hat.

Und so ist "Eine Vorhaut klagt an" eine höchst subjektive Interpretation einer erlebten Wirklichkeit im Lichte der religiösen Indoktrination. Denn nicht die Realität stellt das Leben Auslanders im Roman unter den göttlichen Scheffel, sondern der Held des Romans ordnet sein Dasein dem Allmächtigen unter, ohne das dafür eine zwingende Notwendigkeit besteht. So ist mit Gott in diesem Roman vielmehr die Orthodoxie der Religionen gemeint, die die Lebenswirklichkeit des Jungen prägt und das Göttliche zu ihren Zwecken vereinnahmt , um es schließlich zu einer Drohgebärde umzudeuten.

Inmitten der jüdisch-orthodoxen Gesellschaft der amerikanischen Kleinstadt Monsey, in der Auslander aufwächst, sind schnell mehrere dutzend Verfehlungen gesammelt, sofern das Dasein nicht auf die Weisheiten der Tora beschränkt wird. Dies ist bei Shalom Auslander jedoch nicht der Fall! Alles was sünd- und lasterhaft ist, zieht ihn an wie ein Magnet. Schon als kleiner Junge klappert er - am heiligen Sabbat - die Fastfood-Ketten seines Viertels ab, um sich mit dem verbotenen Schweinefleisch heimlich den Magen voll zu stopfen. An den jüdischen Feiertagen entflieht er der erdrückenden Atmosphäre des Elternhauses und zieht durch die großen Shoppingmalls, um all das mitgehen zu lassen, was nicht niet- und nagelfest ist. In der Pubertät liest er eifrig die sündigsten Pornomagazine, die er auftreiben kann und beschmutzt sich mit ihrer Hilfe auf eine ganz neuartige Weise. Als Heranwachsender konsumiert er allerlei bewusstseinserweiternde Mittel und verstößt so gegen die gesellschaftlichen Konventionen. Shalom Auslander kreiert sich ein neues, wildes Leben außerhalb der jüdisch-orthodoxen Regeln, welches halb aus tatsächlichen Verstößen und halb aus Möchtegern-Erzählungen besteht.

Doch Jahwe wartet geduldig auf den Tag der Rache, um dann, im vermeintlich schönsten Moment, hinterrücks zuzuschlagen. Auslander weiß das, lauert förmlich auf den göttlichen Schlag in den Nacken. "Ich stehe lange genug auf Gottes Schachbrett, um zu wissen, dass jeder Zug vorwärts, jede gute Nachricht - Erfolg! Heimat! Kind! - auch nur ein göttlicher Schachzug ist, eine Finte, ein Fake, eine Falle".

Und wie es sich für einen vernünftigen Schachspieler gehört, nimmt der Held des Buches immer wieder die Partie auf. Ist es anfangs lediglich der Reiz des Verbotenen, der ihn den weltlichen Sünden erliegen lässt, packen ihn später der sportliche Ehrgeiz und das pure Verlangen, aus Prinzip gegen die heiligen Regeln zu verstoßen und so Gott vor den Kopf zu stoßen. Letztlich scheitert Auslander aber in all seinen Versuchen, Gott erfolgreich selbst eine Falle zu stellen. Schon in der Mitte des Romans stellt er resigniert fest: "Der Mensch plant, und Gott lacht."

Neben dieses tragikomische Possenspiel Auslander kontra Gott tritt das Aufbegehren des Buchhelden gegen das Elternhaus, das Judentum und alles Religiöse. Dabei entwickelt die Erzählweise eine derart bitterböse Ironie und Komik, wie man sie schon lange nicht mehr lesen konnte. Naiv, wütend und zugleich um Verständnis suchend. Einfach köstlich. Der klügste Schachzug des Autors besteht darin, weite Teile des Romans dialogisch zu gestalten. So gelingt es ihm, die Grenze zwischen den tatsächlichen Gesprächen der Protagonisten und den Zwiegesprächen des Autors mit Gott zu verwischen.

Gott ist in Auslanders Buch jedoch keineswegs der große Triumphator, sondern wird vielmehr als zorniger, auf Macht versessener Mann entlarvt, der von Vergebung nichts wissen will. Ein Gott, der Moses erst vierzig Jahre durch die Wüste irren lässt, um ihm dann ein heiliges Land zu zeigen, dass er nicht betreten darf, weil er vor Jahren einen Stein geschlagen hat, muss sich nicht wundern, wenn sich seine Schäfchen von ihm abwenden. In Gottes Casino, so schreibt Auslander, gewinne eben immer nur die Bank.

Nach seiner Aufsehen erregenden Sammlung Kurzgeschichten unter dem Titel "Vorsicht, bissiger Gott" (2007) ist dem 38-jährigen Shalom Auslander mit "Eine Vorhaut klagt an" ein ebenso überzeugendes Romandebüt gelungen. In Philip Roth-Manier entblößt er die verknöcherten Absurditäten des Religiösen, die er selbst jahrelang inmitten seiner jüdisch-orthodoxen Familie erfahren und erdulden musste. Und trotz allem hat er nicht mit Gott gebrochen. Mit ihm diskutiere er weiter, gestand er dem "Spiegel". Gebrochen hat er wenn dann mit der Orthodoxie und dem Religiösen, denen er mit diesem Roman die wütende Anklageschrift verliest. Denn nicht Gott ist es, der sich über uns erhebt, sondern wir sind es selbst, die sich das Göttliche zu eigen machen und überhöhen. Und wozu das alles? Maybe only God knows!


Titelbild

Shalom Auslander: Eine Vorhaut klagt an.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld.
Berlin Verlag, Berlin 2008.
302 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783827007728

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