Eine Romanfigur begehrt auf

William Conescus "Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse"

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Keine Frage: Es ist das Kratzen vom Stift des Autors. Die junge Frau wird gerade geschrieben...". So beginnt die fulminante erste Seite von "Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse", dem Roman-Debüt des amerikanischen Autors William Conescu. "Being Written" heißt der Titel im Original, und spiegelt damit genau das wider, was den eigenwilligen Plot der Geschichte ausmacht: Daniel Fischer, ansonsten ein eher durchschnittlicher Typ Anfang 30, mit einem guten Job, aber wenig Sozialkontakten, glaubt daran, dass er "geschrieben wird": Schon zum wiederholten Male ist ihm in den unterschiedlichsten Situationen seines Lebens ein Geräusch aufgefallen, das nur er zu hören scheint. Und schließlich hat er begriffen, worum es sich dabei handelt. Es ist das Kratzen eines Stiftes auf Papier, mit dem ein Autor über ihn schreibt. Nur waren Daniel bisher eher Nebenrollen zugeschrieben, so etwa "der Mann in der Schlange vor der Kinokasse". Doch das soll sich jetzt endlich ändern. Diese Gelegenheit will er nutzen, um sich zu einer der zentralen Figuren des Romans zu entwickeln.

Tatsächlich gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit der jungen hübschen Frau, die in der Kneipe sitzt, die er gerade betreten hat, auf sich zu ziehen und ein Gespräch zu beginnen. Und spätestens als er dann mit Delia, seiner neuen Eroberung, gemeinsam nach Hause geht und eine Liebesnacht verbringt, scheint seine Rolle im Roman einigen Aufschwung genommen zu haben. Die Freude währt jedoch nicht lange. Noch während er schläfrig im Bett liegt, taucht Graham auf, Delias Freund. Schnell merkt Daniel, dass Delia ihn benutzt hat, um Graham eifersüchtig zu machen. Verzweifelt beschließt Daniel, sich diesmal nicht damit abzufinden, nur eine Randfigur zu sein, die womöglich auf einer der nächsten Seiten ganz verschwindet. Um jeden Preis will er in der Geschichte bleiben, auch wenn er nicht weiß, worum es sich dabei überhaupt handelt. Doch wie kann er dafür sorgen, dass er für den Autor interessant bleibt?

Rat suchend kauft er sich ein Handbuch für Schriftsteller und versucht, dessen Instruktionen in die Tat umzusetzen. Und das scheint wirklich zu funktionieren: Entgegen seinen Erwartungen findet er mehr und mehr Zugang zu Delias Freunden, sogar Graham akzeptiert nach anfänglichem Zögern seine Anwesenheit in ihrem Kreis. Schon bald glaubt Daniel zu erkennen, dass die künstlerischen Talente Delias, die derzeit eher auf Eis liegen, ohne ihn nie in Schwung kommen werden und er beschließt, ihr auf eigene Faust unter die Arme zu greifen. Ganz ohne Hintergedanken ist er dabei allerdings nicht. Hofft er doch, dass sie mit dem Beginn einer glanzvollen Karriere als Sängerin in New York endlich Graham abserviert und ihn als neuen Mann an ihrer Seite willkommen heißt - womit sein Leben und seine Rolle als Romanfigur endlich den entscheidenden letzten Kick erfahren könnten.

Auf genau diesen Kick wartet man aber als Leser von "Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse" bis zum Ende vergeblich. Trotz der einfallsreichen Idee Conescus, eine Romanfigur aktiv in das Geschehen eingreifen zu lassen, brennt man mit immer größerer Ungeduld darauf, dass im Verlauf des Erzählens tatsächlich etwas von Belang geschieht. Umso enttäuschter ist man, als der "Knalleffekt", den Conescu an das Ende des Romans setzt, deplatziert und reichlich konstruiert daherkommt.

Auch die interessanten Erzählperspektiven (aus Daniels Sicht wird in der zweiten, aus der Sicht der anderen Figuren in der dritten Person erzählt) und das stilistisch durchaus beeindruckende Sprachvermögen Conescus ändern leider nichts daran, dass die Geschichte blass und "gewollt" wirkt. Weder ist die Figur Daniels in ihrer Mischung aus Mittelmaß und Egozentrik glaubhaft, noch kann man deren wachsende Tendenz, sich in eine Scheinwelt hinein zu steigern, emotional nachvollziehen. Noch weniger interessant sind die anderen Figuren, die nicht das Privileg haben, wenigstens durch ihre Attitüde, eine wichtige Romanfigur sein zu wollen, eine gewisse Originalität zu zeigen. Die vermeintlich "schrägen Typen" bleiben bemüht und schablonenhaft und wirken eher wie alberne Ostküsten-Teenies beim "Springbreak"-Amüsement denn als Erwachsene, die um ihre berufliche, private und künstlerische Erfüllung ringen.

So bleibt am Ende der Lektüre eher Enttäuschung und das Gefühl, dass Conescu zwar eine außergewöhnliche Idee hatte, ihm dann aber die Puste ausging, bei dem Versuch, diese erfolgreich zu Papier zu bringen. Dies sei einem Debütroman angesichts des offensichtlichen Talents des Autors aber verziehen. Und man darf gespannt sein, was Conescu als nächstes vorlegen wird.


Titelbild

William Conescu: Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky.
Aufbau Verlag, Berlin 2009.
213 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032609

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