Schach matt

Christoph Maria Herbst liest Stefan Zweigs "Schachnovelle"

Von Sandra RührRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Rühr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren, lebte von 1919 bis 1934 in Salzburg, emigrierte erst nach England und schließlich über die USA nach Brasilien. Er veröffentlichte 1901 seine ersten Gedichte, übersetzte Werke Paul-Marie Verlaines, Charles-Pierre Baudelaires und Émile Verhaerens und wurde vor allem durch seine zahlreichen Novellen und an historischen Persönlichkeiten orientierten Erzählungen bekannt. "Schachnovelle" erschien 1942, dem Jahr seines Todes, zunächst in Buenos Aires und ein Jahr später in Europa.

"Schach! Schach dem König!" ruft Dr. B. erregt aus. Diese kurz vor dem Ende der Novelle spielende Szene ist auf dem Cover der Hörbuchversion inszeniert: Der schwarze König liegt zur Seite gekippt da, im Hintergrund ist ein schwarzer Bauer zu sehen. Die Szenerie gibt sehr gut wieder, worum es in Stefan Zweigs Novelle geht: Bauer und König treten gegeneinander an, und der König scheint verlustreich aus dem Spiel gegangen zu sein. Und doch ist es der König, der das Bild dominiert.

Bauer und König sind in der Novelle charakterisiert durch Mirko Czentovic, den amtierenden Schachweltmeister, und "Dr. B.". Beide lernen sich eher zufällig auf einem Passagierdampfer nach Buenos Aires kennen und spielen schließlich Schach gegeneinander. Die Herren sind auf unterschiedliche Weise mit Schach in Kontakt gekommen: Czentovic galt während seiner Kindheit als scheu, querköpfig und geistig rückständig, und noch im Erwachsenenalter ist "seine Unbildung auf allen Gebieten universell". Aufgewachsen bei einem Pfarrer, spielt er das erste Mal Schach, um die angefangene Partie seines Ziehvaters zu beenden. Der durch und durch bäuerliche Junge mit seinen roten Backen und strohblonden Haaren schafft es, die Schachspieler der Nachbarstadt zu besiegen, erlernt daraufhin alle Feinheiten der Kunst und steigt zum Schachmeister auf. Was ihm allerdings verwehrt bleibt, ist das Können, Züge im Voraus blind zu konzipieren.

Dr. B., der einer hoch angesehenen alt-österreichischen Familie entstammt, hat zuletzt als Gymnasiast Schach gespielt und kommt erst wieder damit in Berührung, als er, gefangengenommen von der Gestapo, bei einem seiner zahllosen Verhöre ein Buch entdeckt und dieses entwendet. Wunderschön beschreibt Stefan Zweig die Vorfreude, die dieses Buch in Dr. B. auslöst und der Sprecher Christoph Maria Herbst inszeniert dies stimmlich perfekt, so, dass der Hörer gleichsam mitfiebert, welchen kostbaren Schatz Dr. B. ergattert hat: "Erst wollte ich die Vorlust auskosten, dass ich ein Buch bei mir hatte, die künstlich verzögernde und meine Nerven wunderbar erregende Lust, mir auszuträumen, welche Art Buch dies gestohlene am liebsten sein sollte: sehr eng gedruckt vor allem, viele, viele Lettern enthaltend, viele, viele dünne Blätter, damit ich länger daran zu lesen hätte."

Dr. B.s Enttäuschung darüber, lediglich ein Schachrepetitorium in seinen Besitz gebracht zu haben, ist nach diesem Satz mehr als verständlich. Und doch ist es besagtes Schachrepetitorium, das ihm das Nichts, das ihn umgibt, erträglicher macht: "Und immer um mich nur der Tisch, der Schrank, das Bett, die Tapete, das Fenster, keine Ablenkung, kein Buch, keine Zeitung, kein fremdes Gesicht, kein Bleistift, um etwas zu notieren, kein Zündholz, um damit zu spielen, nichts, nichts, nichts." Gegen dieses Nichts spielt er zunächst die beschriebenen Partien nach, um schließlich eine "Spaltung in ein Ich Schwarz und ein Ich Weiß" vorzunehmen und sich selbst als Spieler und zugleich Gegenspieler wählt. Im Gegensatz zu Czentovic beherrscht Dr. B. die Kunst des blinden Spiels.

So unterschiedlich die beiden Herren die Schachkunst erlernt haben, so verschieden sind sie auch in ihrem Äußeren und ihrem Verhalten beim Spiel gegeneinander: Da ist Dr. B., der durch seine "merkwürdige, fast kreidige Blässe" auffällt und beim Schachspiel "vollkommen locker und unbefangen" auftritt. Czentovic dagegen spielt "unbeweglich wie ein Block" und zeichnet sich durch starke körperliche Präsenz aus.

Am Ende scheint der König, Dr. B., geschlagen zu sein, geschlagen allerdings von seiner eigenen fanatischen Begeisterung für das Spiel. Dieser Enthusiasmus ist bei Schachweltmeister Czentovic nicht zu spüren, er agiert stets wie eine Maschine. Bei Dr. B. siegt am Ende das "Schachfieber" und macht ihn so zum Verlierer, weshalb er nach den beiden gegen Czentovic ausgerichteten Partien nie wieder Schach spielen wird. Doch die Bildkomposition des Covers verrät mehr: Nicht so sehr das Können des Schachweltmeisters steht im Vordergrund, der auch im Verlauf der Novelle nichts weiter war als "irgendein Prominenter", als vielmehr die Persönlichkeit Dr. B.s und seine geistige Stärke in der Isolation.

Diese unterschiedlichen Charaktere muss der eher aus dem Comedy-Bereich bekannte Christoph Maria Herbst, seine berühmteste Rolle ist die des Bernd Stromberg in der gleichnamigen Serie, bei seiner Lesung umzusetzen wissen. Ist man zunächst eher skeptisch, ob der ernste Stoff nicht zum Klamauk gerät, wird man äußerst positiv überrascht. Herbst liest zunächst sehr temporeich und rhythmisch, beinahe augenzwinkernd, was jedoch zum Beginn der Novelle passt. Danach hält er sich mit stimmlichen Ausschmückungen sehr im Hintergrund, lediglich Lachen wird inszeniert. Czentovic und Dr. B. erhalten eine akustische Maske: Den Schachmeister lässt Herbst in einer etwas höheren Stimme als seiner Erzählstimme sprechen, dem eher kränklich wirkenden Dr. B. verleiht Herbst Flüsterton. Mag die Charakterisierung des bäuerlichen und überheblichen Schachmeisters nicht gänzlich getroffen sein, so ist sie doch bei Dr. B. umso gelungener. Seinen bürgerlichen Ton hört man an Kleinigkeiten, etwa, wenn Herbst die Worte "Distanz" und "Blamage" französisch ausspricht.

Nach der inszenierten Version aus dem Jahr 2000, wobei Reiner Unglaub und Hans Eckardt in verteilten Rollen lesen, stellt Christoph Maria Herbst die beiden Hauptfiguren alleine dar. Er liest sehr erfrischend und interpretiert glänzend. Die Lesung ist ungekürzt, so dass nichts von der Vorlage verloren geht, allerdings erlaubt sich Herbst unauffällige Veränderungen. Diese stören den Fortgang der Novelle jedoch nicht im Geringsten.


Titelbild

Stefan Zweig: Schachnovelle. 2 CDs.
Argon Verlag, Berlin 2009.
145 min, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783866105348

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