Weniger wäre mehr

Salman Rushdies Roman "Die Bezaubernde Florentinerin" entzaubert eher

Von Kirsten SandrockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Sandrock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich kennt sich Rushdie auf dem Terrain der historiografischen Metafiktion bestens aus. Seine "Mitternachtskinder" erzählen die Geschichte Indiens in preisgekrönter Form nach, und auch seine Kurzgeschichten begeistern regelmäßig durch die Verbindung von Fakten und Fiktion, die eine Unterscheidung zwischen beidem unmöglich macht. Dabei begeisterte Rushdie in der Vergangenheit vor allem durch die Freiheit, die er sich selbst und seinen Lesern in der Ausgestaltung der Geschichte(n) lässt. Figuren und Handlungsstränge sowie historische Begebenheiten werden mit der Zwanglosigkeit des magischen Realismus behandelt und sprechen der Leserschaft einen Status der Autonomie zu, der nicht länger im Streben nach Vollkommenheit oder westlichem Rationalismus begründet liegt, sondern in der postmodernen Lückenhaftigkeit des Subjekts und der postkolonialen Sujets.

Anders ist dies leider in Rushdies neuestem Werk "Die Bezaubernde Florentinerin". Zwar wird auch hier mit den Formeln der historiografischen Metafiktion gearbeitet und die Vergangenheit Indiens und Italiens unter Rückgriffen auf teils fiktionale und teils historische Figuren neu geschrieben. Doch wirkt der Roman trotz Rushdies gewohnter literarischer Finesse und seinem Humor am Ende ungewohnt eindimensional, geht er doch sonst so ergreifend präsentierten Themen wie Migration und Exil oder die Suche nach Heimat und Liebe - allesamt Leitmotive in Rushdies Œuvre - in seltsam abgeklärter, um nicht zu sagen verbrauchter Art und Weise an. Dieses Gefühl der Langeweile kommt vor allem durch die scheinbare Vollkommenheit des Werkes zustande. Die Ausarbeitung der Figuren und der historischen Kontexte wirkt oftmals übereifrig - und eine neunseitige Literaturliste am Ende des Buches belegt die gefährliche Nähe zum Didaktisieren, in die Rushdie sich in seiner Inszenierung der "Bezaubernden Florentinerin" begibt.

Die "Bezaubernden Florentinerin" Qara Köz, auch genannt "Schwarzauge", ist eigentlich gar keine Florentinerin, sondern eine abtrünnige indische Prinzessin aus dem Haus des Großmoguls Akbar. Dessen Nachkommen werden in Rushdies Roman mit dem geheimnisvollen Verschwinden der Prinzessin konfrontiert und rollen den Mythos ihrer zauberhaften Schönheit erneut auf, als im Jahr 1572 ein italienischer Reisender an den Hof Akbars kommt und behauptet, der Sohn der nunmehr bereits lange verstorbenen Prinzessin zu sein. Somit wäre er natürlich auch der Neffe des Großmoguls und an dessen Erbe beteiligt.

Gekonnt führt Rushdie den Leser in diese Geschichte zwischen Fakt und Fiktion ein und umgibt ihn dabei mit Hinweisen und Erklärungen zur östlichen und westlichen Lebenswelt der frühen Neuzeit. Divergente Kulturpraktiken wie etwa das Feilschen oder das Baden werden dabei genauso erörtert wie das Symbol des Falken, das gleichzeitig Macht und Männlichkeit repräsentiert, oder die Verwendung der ersten Person Plural im Sprachgebrauch des indischen Herrschers. Dieser ist zwar von der Intimität und Individualität des Singular Subjekts fasziniert, gibt jedoch dessen Verwendung schnell wieder auf, als seine Geliebte nicht nur mit Befremdung auf seinen Wechsel von "Wir" auf "Ich" reagiert, sondern den Großmogul deshalb sexuell weniger anregend findet. Szenen wie diese lassen auf die gleichsam humorvolle und feinsinnige Art schließen, mit der Rushdie sonst das Mysterium Mensch so wunderbar beschreiben und von dessen Bedürfnissen nach Liebe, Macht und Zugehörigkeit erzählen kann, ohne diese erklären zu wollen.

Schade nur, dass der Autor diesmal nicht überall so zwanglos und diskret bleibt. Weite Teile des Romans ergehen sich in pädagogisch wirkenden Erklärungen und neigen zu Wiederholungen, die selbst die spannendsten Motive kraftlos wirken lassen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Großmogul zum x-ten Mal die Perfektion seiner nur in Gedanken existierenden Geliebten beleuchtet und somit in recht aufdringlicher Weise die Kraft der Imagination betont. Das Gleiche gilt für die Figur des italienischen Reisenden Niccolo Vespucci. Dieser exponiert zwar gekonnt die Illusion der Wirklichkeit und auch im Roman wortwörtlich von der Autorität des Geschichtenerzählens. Doch wirken seine Ausführungen am Ende phrasenhaft und flach in ihrer ausgefeilten Rhetorik, die sowohl den anderen Charakteren als auch den Lesern das Gefühl von Überlegenheit übermittelt.

Was in Rushdies neuestem Werk fehlt, sind schlichtweg die Lücken und gedanklichen Zwischenräume, die es den Lesern erlauben würden, ihre eigenen Ideen und Fiktionen in die Geschichte einzubringen. Perfektion duldet eben kein Gegenüber, so dass der ursprüngliche Autor-Leser-Dialog einem dichterischen Monolog weichen muss. Diese Entmündigung des Lesers lässt den Roman trotz seiner scheinbaren Vollkommenheit eindimensional wirken. Manchmal ist weniger doch einfach mehr.


Titelbild

Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009.
448 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498057831

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