Spiel mit Identitäten

"La belle Roumaine" von Dimitru Tsepeneag gibt sich geheimnisvoll und verzaubert alle Männer

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob Mehmet, Dieter, Johannes, Igor oder Mihai - mit allen geht sie ins Bett. Und Jean-Jacques träumt zumindest häufig davon, es mit ihr zu tun. Auch auf Wolfgang und den Engländer wirkt sie außerordentlich anziehend. Doch wer ist die geheimnisvolle Schöne, die sich mal Ana, mal Hannah, mal Aneta nennt? Ist sie wirklich Ärztin oder vielmehr Prostituierte oder aber in geheimem Auftrag unterwegs in Europa? Sicher ist, dass sie aus Rumänien kommt, aus einem exotisch anmutenden Land, das ihre Rätselhaftigkeit noch unterstreicht. Rumänien ist nicht Russland, wo man Wodka trinkt und woher Igor, der Bibliothekar und KGB-ler stammt, der diesem Wässerchen stets munter zuspricht, ohne betrunken zu werden. Das stellt sein französischer Freund Jean-Jacques fest, der in Paris ein Café betreibt, in das die Frau, die alle Männer betört, seit einiger Zeit regelmäßig einkehrt.

Erotik und Verbrechen durchziehen den ganzen Roman, der gleichsam europäische Räume und Mentalitäten, Geschichte und Gegenwart einfängt. Die Handlung trägt sich in Frankreich und Deutschland zu, Erinnerungen führen nach Rumänien, Polen, Tschechien, Italien, in die beiden deutschen Staaten. Der Autor präsentiert einen Reigen von Nationalitäten und spielt mit den Personen als Prototypen ihrer Kultur.

In den Dialogen mit den Liebhabern, darunter den deutschen Philosophieprofessoren Dieter und Johannes, gibt die weibliche Hauptfigur nach und nach partiell und dabei widersprüchlich Details aus ihrem Leben preis. In Rückblenden auf Kindheit und Familienbande wird die rumänische Geschichte des 20. Jahrhunderts in Ausschnitten reflektiert. Ihr leiblicher Vater verschwand, der Ziehvater gab ihr den jüdischen Namen und kam in Auschwitz um. Die Mutter starb in kommunistischer Zeit im Krankenhaus ohne priesterlichen Beistand. Die Vergangenheit holt die Frau schließlich wieder ein, als sie vorgeblich bei einem Überfall in Paris attackiert und beschimpft wird.

In den geschilderten Begebenheiten, die mitunter aus der Sicht verschiedener Personen erzählt werden, verschmelzen Realität und Traum. Das Geschehen erscheint facettenhaft und widerspruchsvoll. Dimitru Tsepeneag, geboren 1937 in Bukarest, war in den 1960er-Jahren Mitbegründer des Oneirismus-Konzepts und der bis 1971 bestehenden oneirischen Gruppe in Rumänien. Er bleibt in diesem Roman dem Konzept von damals treu, denn "den Traum kann man nicht erzählen, er muss dargestellt, rekonstruiert, geschrieben, wiedergeschrieben werden". Und so entstehen erzählerische Varianten von Episoden und Erinnerungen, die immer wieder neue Details offenbaren. Vieles bleibt vage und der interpretatorischen Fantasie des Lesers überlassen. Dahinter steckt gleichsam die Erörterung, wie, warum und woran man sich erinnert und welche Rolle das Unterbewusste und die Verdrängung in diesem Zusammenhang spielen.

Ein kleines, unter dem Bett verstecktes Aufnahmegerät nimmt nicht etwa die Gespräche der jeweiligen Liebespaare auf, sondern die Geräusche der Liebesspiele. Denn mit dem Untergang des Systems im östlichen Europa sind Spione wohl ohne Führung und Auftrag.

Der Übersetzung von Ingrid Baltag hätte die Durchsicht eines Lektor ganz gut getan. Stellenweise erscheint der Text holprig, nicht immer sind Ausdruck und Stilebene adäquat.


Titelbild

Dimitru Tsepeneag: La belle roumaine. Roman.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Ingrid Baltag.
Wieser Verlag, Klagenfurt 2007.
334 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-13: 9783851296990

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