Keine Panik

Warum Sarah Kuttners Debütroman "Mängelexemplar" überzeugt

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Sarah Kuttner eine von den Guten ist, weiß man spätestens seit ihrer zauberhaften Latenight-Show auf Viva. Dass sie sich nicht nur verbal, sondern auch schriftlich auszudrücken vermag, hat sie schon mit ihren Kolumnen bewiesen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sie sich literarisch versuchen würde. Um es kurz zu machen: Mit "Mängelexemplar" hat Sarah Kuttner ein überzeugendes Debüt vorgelegt, das mit Witz und Tiefgang gleichermaßen aufwartet.

Kuttners Protagonistin Caro ist Mitte zwanzig, als sie sich wegen plötzlicher Panikattacken und Angstzustände in Behandlung begibt. Eine Erklärung hat sie nicht, obwohl sie ein nicht unbeträchtliches Bündel zu schleppen hat: Ihr Onkel hat sie, als sie ein kleines Mädchen war, missbraucht, ihre Eltern haben sich getrennt und ihr Vater sie vernachlässigt. Auch ihre Beziehung zu ihrem Freund Philipp führt sie nur, um nicht alleine zu sein. Allerdings glaubt sie, dass sie all das verarbeitet hat beziehungsweise stark und selbstironisch genug ist, um damit zu leben. Sie hält ihr bisheriges Leben nicht für den Auslöser ihrer Depression. Und so macht ihre Suche nach den Ursachen ihre Ängste und Trauer nur noch größer. Selbst Caros bester Freund Nelson, ihre beste Freundin Anna und ihre Mutter können ihr nur bedingt helfen. Denn so lange sie versucht, einen Ausweg zu suchen, ohne sich der Schwere ihrer Geschichte bewusst zu werden, solange sie diese mit Ironie überspielt, wird sich ihr Zustand nicht verbessern. In der Tat muss sie erst ganz unten ankommen, um es langsam wieder auf die Beine zu schaffen.

Sarah Kuttner vermag es mit ihrem literarischen Debüt nicht nur, eine unsentimentale, aber emotionale Geschichte einer jungen Frau zu erzählen, deren Traumata sie plötzlich einholen. Was Kuttner mit der mitfühlend erzählten Geschichte schafft, ist es, das Stigmata abzuschwächen, das einer psychischen Erkrankung anhaftet. Sie schärft das Bild der Depression und entfernt negative Konnotationen. "Wenn der Körper krank ist", so sagt Caros Psychotherapeut, "nehmen Sie doch auch Tabletten. Warum meinen Sie, dass, wenn ihre Seele Hilfe braucht, Sie keine Tabletten nehmen müssen?"

Die Quintessenz des Buches - von Kuttners bewundernswertem Humor mal abgesehen - ist, dass Hilfe zu brauchen nicht immer ein Zeichen für Schwäche ist. Sondern ein Zeichen, dass man krank ist und dringend Heilung sucht. Wofür man sich - warum auch? - nicht zu schämen braucht.


Titelbild

Sarah Kuttner: Mängelexemplar. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
261 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783100422057

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch