Mein Spott ist Spätlese

Zum 70. Geburtstag von Georg-Büchner-Preisträger Volker Braun

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Mein Spott ist Spätlese / aus der Hanglage meines Bewusststeins", heißt es im 1999 erschienenen Gedichtband "Tumulus". Volker Braun hat immer die leisen Töne bevorzugt, das klassenkämpferische verbale Gepolter war nie seine Sache: sanfte Ironie, feinsinnige philosophische Sentenzen hat er stets mit einem untrüglichen Gespür für gesellschaftliche Veränderungen gepaart - zuletzt in "Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer" (2008). Darin setzte er sich mit den gravierenden Veränderungen im Arbeitsalltag und dem Verschwinden vieler industrieller Arbeitsprozesse auseinander.

Als ihm 2000 der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde, erklärte Braun: "Büchner war für mich bald nach Beginn meines ernsthaften Schreibens die Autorität überhaupt. Er war ein Maß und eine Herausforderung." Den revolutionären Furor Büchners sucht man in Brauns Werken jedoch vergeblich, und dennoch finden sich in seinen Werken Spuren großer Dichtkunst, die von Friedrich Schiller über Anton Tschechow bis Bertolt Brecht reichen.

Volker Braun, der vor 70 Jahren in Dresden geboren wurde, arbeitete vor seinem Philosophiestudium in einer Druckerei und im Tiefbau. Seine ersten künstlerischen Meriten erwarb er 1965 (auf Empfehlung von Helene Weigel) als Dramaturg am Berliner Ensemble. Unzählige Theaterstücke, Lyrik- und Prosabände hat er zu DDR-Zeiten veröffentlicht und war einer der hochdekorierten Autoren des sozialistischen Staates (Heinrich-Heine Preis, Heinrich-Mann-Preis, Nationalpreis 1. Klasse).

Dabei war Volker Braun weder ein staatstragender Dichter, noch gehörte er zu den lautstarken Dissidenten. "Ich glaube, die Schwierigkeiten, die man hatte, hat man sich selbst an den Hals geholt - durch die Wahl der Stoffe und durch die Art, sie zuzuspitzen und zu schärfen", bemerkte Braun im Rückblick auf die DDR-Zeit. Ähnlich wie Stefan Heym glaubte er lange an einen dritten Weg, an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz.

Zwei Jahrzehnte lang haben Volker Brauns literarische Figuren "Hinze und Kunze" die DDR-Kulturzensoren beschäftigt. Neun Stasi-Offiziere und 32 Informanten sollen sich um den Schriftsteller "gekümmert" haben, nachdem aus dem 1968 uraufgeführten Stück "Hans Faust" im Jahr 1973 die überarbeitete Bühnenfassung "Hinze und Kunze" erschienen war, in dem sich der Bauarbeiter Hinze auf einen Pakt mit dem Parteisekretär Kunze (eine Art sozialistischer Mephisto) einlässt und Karriere macht. Ein widerwilliges Arrangement, denn Hinze hat die Schwächen des Systems erkannt und durchschaut. Zugespitzt brachte Braun, dem es ähnlich wie seiner Figur Hinze erging, 1983 die "Berichte von Hinze und Kunze" in Prosaform heraus. Es waren Texte, die stark an Brechts Keuner-Geschichten erinnerten und in denen die Widersprüche zwischen Herr und Knecht, Macht und Ohnmacht und Mann und Frau thematisiert wurden. Zwei Jahre später ließ er die beiden Paradefiguren noch einmal in einem Roman wieder aufleben, und aus der zeitlichen Distanz lässt sich heute konstatieren, dass Volker Braun mit "Hinze" und "Kunze" die Mechanismen des Sozialismus viel präziser und subtiler demaskiert hat, als alle stimmgewaltigen Systemkritiker zusammen. Erst vier Jahre nach der Veröffentlichung im Westen konnte das Buch auch in der DDR erscheinen. Auch sein Theaterstück "Die Übergangsgesellschaft" (1988) präsentiert diese meisterhafte Mischung aus Poesie und Gesellschaftsanalyse.

Nach der Wende blieb Volker Braun weiterhin bei den leisen, bedächtigen Tönen. Zwar mahnte auch er einen langsameren Übergang an, aber seine Stimme war frei von jedweder "Ostalgie": "Wir haben doch nichts verloren, wir haben eine Welt, in der wir uns befinden und in der wir uns immer befanden. Wir haben jetzt vielleicht eine andere Erfahrung", erklärte der Autor im Jahr 2000 in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau". Vor fünf Jahren ist Braun noch einmal ein ganz großer Wurf gelungen - mit dem schmalen Prosastück "Das unbesetzte Gebiet".