Von liebreizenden Heiligen, süßen Fratzen und der Sehnsucht Liebe

Zum 125. Geburtstag des ungarischen Schriftstellers Ernö Szép ist sein Roman „Die Liebe am Nachmittag“ neu aufgelegt worden

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf die Frage, wer er sei, pflegte Ernö Szép in seinen letzten Jahren mit dem gleichermaßen selbstironischen wie melancholischen Satz „Ich war Ernö Szép“ zu antworten. Um die Jahrhundertwende zunächst als feinfühliger Lyriker und einfallsreicher Publizist geschätzt, später als Theaterautor, der den Marotten der dekadenten Budapester Gesellschaft mit satirischer Schärfe begegnete, gefeiert, tat es ihm ohne Zweifel weh, im kommunistischen Ungarn ignoriert zu werden. Vor kurzem als Vorläufer einer modernen urbanen Literatur wiederentdeckt, genießt sein Werk endlich jene Aufmerksamkeit, die ihm gebührt. Mit dem Roman „Die Liebe am Nachmittag“ (1935) wird nach Sándor Márai und Antal Szerb endlich auch dieser dritte Elegant der Zwischenkriegszeit dem deutschen Publikum präsentiert.

Der Ich-Erzähler Mihály, ein erfolgreicher Theaterautor und Journalist, berichtet über eine Begegnung der besonderen Art: „Ich bin sechsundvierzig geworden. Vor zwei Monaten. Mir ist etwas so Schönes widerfahren“. Die 19-jährige Schauspielerschülerin Iboly, nicht richtig hübsch und auch mäßig talentiert, dafür munter und unbefangen plappernd, steht eines Tages vor ihm und möchte mit ihm Zeit verbringen. Zwar nervt ihn der Backfisch gehörig und er schämt sich auch für ihr ärmliches Aussehen, doch die Hoffnung auf ein unverfälschtes Gefühl der Liebe, das er, ohne sich dies einzugestehen, verzweifelt sucht, treibt ihn immer wieder zu ihr. Er wehrt sich dagegen auf seine Weise: indem er sie arrogant und altväterlich behandelt.

Eigentlich verbindet den kultivierten Mihály zu diesem Zeitpunkt eine heimliche Liebschaft mit der wohlhabenden, verheirateten „5 Fleur“, wie er sie nach ihrem Parfüm nennt. Sie ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein, die ihm die für die Liebe vorbehaltenen Stunden am Nachmittag versüßt. Doch was ursprünglich als herzschonende Beziehung begann, kann der Schwärmerei und der lebendig-lustigen Zweisamkeit mit Iboly immer weniger entgegensetzen. Ihre Beziehung ist zu einer routinierten Affäre geworden, wie es sie in Europas Großstädten, auch in Budapest, zahlreich gibt.

Dies offenbart der schonungslose Beobachter und Flaneur alter Schule genauso beiläufig wie er seine geistreichen Wahrnehmungssplitter über das sich im Nachglanz des Habsburgerreiches sonnende ungarische Bürgertum in seine Überlegungen einflicht. Seine Katastrophenmeldungen über Bankenpleiten, Spekulanten und um sich greifende Armut sind denen von heute nicht unähnlich. Dementsprechend sind die Anstrengungen, die man unternimmt, um den Schein zu wahren, immer größer. Als berühmter Künstler wird auch Mihály zu Kaffeehausbesuchen (New York oder Gerbeaud), Soirées, Tennisturnieren oder Bällen im Hotel Gellért eingeladen. Allesamt Vergnügungen, die ihn in seiner angeschlagenen finanziellen Situation – er hangelt sich von Kredit zu Kredit und muss seine Familie unterstützen – weiter belasten. Mihály ist müde und manchmal verbittert, doch lehnt er es ab, von seiner Dame ausgehalten zu werden.

Mihály ist nicht einfach ein Frauenheld, chauvinistisch und berechnend. Auch ändern sich mit dem Älterwerden seine Ansprüche an die Liebe: „Langeweile, Krankheit, Hässlichwerden, Sich-anderswohin-Träumen, tausendmal Ausreißen-, Fliehenwollen und doch immer bleiben müssen: sich gegenübersitzen und einander ins vergreisende Antlitz schauen und schließlich das Sterben des andern mitansehen: das ist die Liebe.“ Sich einzugestehen, dass er das, was er sucht, bei keiner der beiden Damen finden kann, fällt ihm, der sein eigener größter Kritiker ist, nicht schwer. Auch als sich Iboly ihm anbietet, belässt er es beim harmlosen Flirt und ermutigt einen jungen Nebenbuhler, den Besitzer einer prosperierenden Metzgerei, erneut Kontakt zu Iboly zu knüpfen. Statt einer Bühnenkarriere hat er für Iboly, die die Hauptrolle in der Prüfungsvorstellung bekommt, das kleinbürgerliche Glück vorgesehen.

Werkgeschichtlich steht „Die Liebe am Nachmittag“, in dem es auch um existenzielle Fragen wie Selbstfindung, verfehltes Leben, Älterwerden und Tod geht, am Ende einer literarischen Karriere. Der am 30. Juni 1884 im österreichisch-ungarischen Huszt geborene und aus ärmlichen Verhältnissen stammende Szép, der als junger Mann nach Budapest kam und bald zu den Autoren der Zeitschrift „Nyugat“, mit der die Zeitrechnung moderner ungarischer Literatur beginnt, gehörte, wurde 1944 wie viele ungarische Juden in ein Arbeitslager interniert. Dass er nicht wie Antal Szerb dem faschistischen Terror zum Opfer fiel, verdankte er dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der ihm einen Schutzpass ausstellte. Das Grauen der Ghettos beschrieb er in einem zu Hass unfähigen Ton, der ihm in jeder Lebenslage typisch blieb, in seinem letzten Roman „Emberszag“ (deutsch „Menschengeruch“). Die zeitlose stilistische Eleganz und subtile Ironie, die Ernö Zeltner in „Die Liebe am Nachmittag“ so gekonnt ins Deutsche übertrug, ist auch seinem letzten Text zu eigen.

Titelbild

Ernö Szép: Die Liebe am Nachmittag. Roman.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner.
dtv Verlag, München 2008.
300 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423246880

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