Leben zwischen Collaboration und Résistance

Roger Judennes Roman "Der Marder und der Marschall"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ganz Frankreich ist unterworfen. Ganz Frankreich? Ganz Frankreich. Und manche Franzosen arbeiten sogar kräftig an ihrer eigenen Unterwerfung durch die Deutschen mit, sie kollaborieren, verraten Juden, Marquisards und Kommunisten, denunzieren ihre Nachbarn und lassen sich das gut bezahlen. Oder sie begleichen einfach nur ihre persönlichen Rechnungen, alte Familienfehden werden ausgetragen, die Opfer enden oft in deutschen KZs.

Von dieser Kollaboration in Frankreich erfahren wir nur selten etwas, selbst bei Franzosen ist das ein Tabuthema, ähnlich wie bei uns die Zugehörigkeit zur SS oder die Beteiligung an Wehrmachtsverbrechen. Selbst in Romanen oder Filmen kommt das Thema eher selten auf. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Roman "Der Marder und der Marschall". Gemeint ist der Maréchal Philippe Pétain, der als letzter Regierungschef der 3. Republik am 22. - 24. Juli den Waffenstillstand mit Deutschland und Italien geschlossen hat und von der französischen Nationalversammlung in Vichy als Chef de l'Etat Francais eingesetzt wurde, ein Faschist, der versuchte, die Unabhängigkeit zu wahren. Seit 1942 war er nur noch eine Symbolfigur, ohne Macht, bereit zur unbegrenzten Kollaboration, ein Befehlsempfänger der Wehrmacht. Ihm ist es anzulasten, daß die Verhaftungen von Juden, Widerstandskämpfern und Emigrierten oft von Franzosen durchgeführt wurden, von der Gendarmerie oder der Miliz.

Roger Judenne, Direktor der Ecole de la Brèche, hat diese Zeit als Folie für seinen Roman gewählt, der in der Beauce spielt, südwestlich von Paris, auf dem Land. Hier leben Bauern, Landarbeiter, Lehrer und Gendarmen zusammen, die allesamt irgendwie miteinander bekannt sind, etwas voneinander wissen, vor allem aber sich nicht allzusehr um Politik kümmern. Die Deutschen sind weit, Paris auch, Vichy erst recht. Man muß leben, wildert im Wald des Grafen und bedankt sich stets ironisch bei ihm, wenn man etwas gefangen hat (im Original heißt der Roman: "Les Braconniers du Maréchal", d.h. die "Wilderer des Marschalls", man schlachtet und verkauft auf dem Schwarzmarkt, und vor allem bekämpft man sich, ist neidisch und hält trotzdem zusammen. Es gibt auch Außenseiter, der "Marder" gehört dazu. Er ernährt seine Kinder mühsam durch Tagelöhnerarbeit, und er ist verliebt in Pierrette, die so schnell wie möglich ihren Hof verkaufen will, um in der Stadt einen kleinen Laden aufzumachen.

Und dann wird der Bauer Léon durch einen anonymen Brief verraten: Er hat auf dem Schrank noch eine verbotene Flinte liegen. Er kommt in Haft, wird gedemütigt und erhängt sich in der Scheune, als er wieder zu Hause ist. Schließlich taucht der erste Widerstandskämpfer auf und die ersten Waffenlieferungen aus England beginnen. Judenne schildert diese Welt ohne Rückgriffe auf die große Politik, schildert die illegalen Aktionen des Lehrers, der das Porträt von Pétain in der Schulklasse hinter die Tür gehängt hat, "und seit Beginn der Besatzung hielt er Schule bei weit geöffneter Tür, so daß die Visage des Marschalls mit der Nase an die Wand stieß". Judenne macht mit diesem Beispiel klar, daß es den meisten Leuten gar nicht um die Politik oder die Befreiung geht; sie leben nur ihr einfaches Leben, wie der Arzt, der seine Patienten umsonst behandelt und nur hoffen kann, daß er ab und zu eine Hirschkeule aus der Wilderei bekommt. Die Dörfler benutzen die Behörden für ihre kleinen Rachefeldzügen, aber auch, wenn es darum geht, etwas Gutes zu tun.

Etwas zu einfach ist das alles dargestellt, und auch sprachlich ist Judenne weit entfernt von den großen französischen Stilisten, die auf der Suche nach ihrer verlorenen Zeit sind. Wie anders wird doch z.B. bei Leon Werth die Kollaboration beschrieben, das Leben auf der Flucht, das Leben auf dem Lande, sehr viel detaillierter, sinnlicher und genauer, und vor allem sehr viel reflektierter.

Titelbild

Roger Judenne: Der Marder und der Marschall. Aus dem Französischen übersetzt von Manfred Zander.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 1999.
302 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3251004085

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