Weiblicher Widerstand im Schatten männlicher Dominanz

Mit seinem historisch vielschichtigen Romandebüt „Exil der frechen Frauen“ bewegt sich der Schriftsteller und Germanistikprofessor Robert Cohen gekonnt zwischen Fiktion und Fakten

Von Luitgard KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luitgard Koch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

„Ich habe in New York in den 1980/90er Jahren emphatische Feministinnen kennengelernt“, verrät Robert Cohen, „diese Diskussionen haben meine Perspektive verändert.“ Nicht zuletzt deshalb stellt der gebürtige Schweizer mit Olga Benario, Ruth Rewald und Maria Osten, mutig drei Frauen ins Zentrum seines umfangreichen Epochenromans. Dass sich der Germanistikprofessor schon lange mit den politischen und ästhetischen Diskursen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt und so für sein Werk aus dem Vollen schöpfen kann, macht sich dabei positiv bemerkbar. Ende der 1980er-Jahre promovierte Cohen über Peter Weiss, beschäftigte sich mit marxistischer Literaturtheorie, mit der Weimarer Moderne sowie mit Exil- und Nachkriegsliteratur. Bertolt Brecht begegnete der 64jährige als Kind in Zürich noch selbst. Virtuos setzt er authentische Vorgänge und Gestalten, Überliefertes an Fakten und Dokumenten in bewegend intensive Szenen um.

Sein Blickwinkel birgt jedoch auch eine Gefahr. Um die historische Bedeutung seiner drei Protagonistinnen aufzuzeigen, muss Robert Cohen die berühmten Männer in ihrem Umfeld ebenfalls skizzieren. Denn im Gegensatz zu den Männern, in deren Schatten sie lebten, liebten, arbeiteten und diskutierten, sind die Namen der Frauen und ihr Schicksal weniger bekannt geworden. Diese Schwierigkeit meistert der Autor freilich mit Bravour. Letztlich stehen doch die Frauen mit ihrem Denken im Mittelpunkt seines außerordentlichen Tatsachenromans, der durch die Konstruktion parallel geführter Erzählstränge seinen epischen, internationalen und geschichtlichen Horizont gewinnt.

Persönliche Begegnungen der drei Frauen gibt es zwar nur wenige. Auch wenn sie recht verschieden sind in ihrer Herkunft und im Naturell, bewegen sie trotzdem gleichgerichtete Impulse und Hoffnungen. Gemeinsam ist ihnen vor allem das Verlangen nach einem selbstbestimmten Leben, gerade auch als Frau, sowie nach Partnerbeziehungen frei von bürgerlichen Besitzansprüchen. Ihr Bedürfnis nach Emanzipation im umfassenden Sinn, das auch ein entschiedenes Engagement für eine neue, nichtkapitalistische Gesellschaft beinhaltet, treibt alle drei gleichermaßen voran. Ergreifend führt der komplexe Roman vor, wie jenen „frechen Frauen“ ihr Ungestüm zwar auf brutale Weise ausgetrieben wird, sie jedoch unbeugsam ihr Suchen und ihr widerständiges Leben trotz alledem nicht aufgeben.

Einprägsam erzählt Cohens weit gespanntes Handlungsgeflecht Geschichte und Geschichten aus einer Zeit der Aufbrüche und der Verheerungen im vergangenen Jahrhundert, angefangen von den letzten Jahren der Weimarer Republik bis hin zu den ersten Kriegsjahren. Obwohl er durchaus kritische Fragen an die verschiedenen Ideologien aufwirft, stellt der Autor dabei diese Geschichten nicht nur als gescheiterte emanzipative Bestrebungen und revolutionäre Versuche, Niederlagen und katastrophale Verluste dar. Weder richtet er nachträglich enttäuscht über Illusionen, Verblendungen, Instrumentalisierungen, noch versucht er triumphal das Utopische abzutun, wie es dem Zeitgeist entspricht. Reale Geschichte entpuppt sich so als Reservoir, das Erfahrungen und Einsichten bereithält.

Meisterhaft gelingt es Cohen anhand der verbürgten Biografien seiner drei Protagonistinnen die geistigen Strömungen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Europa – und im Exil der europäischen Intellektuellen – zu entfalten. Diese Diskurse bilden das eigentliche Zentrum seines spannenden Textes. Unterschiedliche Sphären im antifaschistischen Exil der 1930er-Jahre und der internationalen Arbeiterbewegung werden so aufgeblendet. Gleichzeitig macht er mit seinem über 600 Seiten langen Who is Who der Geistesgeschichte das Wesen dieser Epoche, das Nomadische, sichtbar.

Schließlich hat der Autor selbst auch sein Leben immer wieder umgekrempelt und schon mehr als drei Leben für sich gefunden. Nach einem Filmstudium in Paris arbeitete er zuerst in der Werbefirma Advico seines Vaters Victor Cohen, mit der eigenen Televico ging es weiter, später bei Topic Film. Dort entstanden seine Experimental- und Dokumentarfilme. Und bevor er in die USA auswanderte, arbeitete er als Tauchlehrer.

Titelbild

Robert Cohen: Exil der frechen Frauen. Roman.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2009.
624 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783867890571

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