„Kunst ist schlimmer als Heimweh“

In Thomas Kapielskis Gedankendschungel ist Platz für die unterschiedlichsten Gewächse

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ach, was könnte man zitieren, immer wenn man ein neues Buch von Thomas Kapielski gelesen hat. Geradezu als Aphorismencollage, als buntes Mit-, Nach- und Durcheinander von Elogen und Sottisen, Verrissen und Ermahnungen, ernst Gepredigtem und heiter Dahingesagtem ließe sich solch eine Besprechung anlegen und würde damit auch formell ganz nahe dran sein an ihrem Objekt. Denn „Mischwald“, Kapielskis erste Veröffentlichung im Suhrkamp Verlag, kommt – wie ein Großteil ihrer Vorgänger bei MERVE, Maas, Zweitausendeins oder Karin Kramer – als ein Kompendium des Alltags und seiner (Nicht-)Bewältigung daher, als Tag-, Nacht-, Arbeits- und Sudelbuch, Bericht erstattend über ein knappes Jahr (2006/07) im Leben des Berliner Autors, Künstlers, Kunstkritikers, Fotografen und Schauspielers.

Für Kapielski ist alles relevant, was er zwischen dem ersten Augenaufschlag am Morgen und der letzten Flasche Bier vor dem Zu-Bett-Gehen erlebt – auch wenn das manchmal arg wenig zu sein scheint, man täusche sich nicht. Und kaum etwas bleibt von literarischer Bearbeitung verschont. Er nimmt uns mit auf Lesereisen und zu Vernissagen, wird unwirsch, wenn sich Kunst als hehre Botschaft geriert und doch nur „Neovandalentum“ ist und bricht eine Lanze für alte Freunde, die der Betrieb – welcher auch immer, Kapielski mag sie alle nicht – stets abgestoßen hat. Er schreibt über Matratzen und Lehrer, Angela Merkel und Fernsehkochshows, den Islam und Ungarns weite Ebenen (Letzteres wird natürlich in der ungarischen Übersetzung und auf nicht weniger als sechs vollen Seiten präsentiert, wozu der Meister Fotos von Mähdreschern geschossen hat.) und würde doch nichts lieber tun als Ruhen und Rasten: „Daß ich leidlich vermögend gar nichts mehr täte außer Lesen und Sinnen, ist längst ausgemacht.“

Doch Kapielski-Neulinge könnten allzu schnell auf den (vor-)witzigen Ton und das Heiter-Aperçuhafte des Mannes hereinfallen und die Schublade mit der Aufschrift „Literarische Ulknudeln“ zu seiner Heimstatt erklären. Ist sie aber nicht. Ganz abgesehen davon, dass vieles in „Mischwald“ einen unüberhörbar melancholischen Grundton besitzt – die Familie zerbricht, Freunde sterben, das Verhältnis zum Sohn wird immer komplizierter –, verbirgt sich auch im scheinbar flapsig Hingeworfenem meist ein Surplus an philosophischer Lebenserkenntnis.

Jegliche Art von Bedeutungshuberei ist Thomas Kapielski fremd. Er ist skeptisch bei allem, was ein Literatur- und Kunstverständnis, für das er nur Hohn übrig hat, auf die ganz großen Podeste gestellt hat. Günter Grass? Ein Herumkramer in „halblinken Schubladen“. Immendorff? Ein „schlechter Preß- und Hofmaler“ mit den „ultrabanalsten Absichten“. Neo Rauch? „Tief im Schlick… anderen Kitsches“ stehend und sicherlich bald von der nächsten Mode abgelöst und verweht.

Doch so unerbittlich er tadelt – und das meist in nicht mehr als einem Nebensatz, einer kleinen Bemerkung am Rande, die, gerade weil sie so beiläufig erfolgt, umso härter trifft –, so überschwänglich lobt er auch. Theodor W. Adorno und Günther Anders werden zu Vorbildern erklärt, Hans Imhoff zu Deutschlands bestem Dichter erhoben („Alles andere Geschmeiß dagegen.“), Bernhard Koltermann (1921-2007), dem „Peggasus fonne Ruhr“, Jes Petersen (1932-2006), Verleger und Galerist, und etlichen anderen Mitstreitern und Stammtischfreunden widmet Kapielski so ausführliche wie liebevolle Nachrufe.

Am mitreißendsten aber ist er schon immer, wenn er seiner Sprache – scheinbar unkontrolliert – die Zügel schießen lässt. Da ist es dann schon beinahe egal, wovon er spricht – ob von „Gender-Uschis“ oder vom „traunken (= trinken + trauern)“, von „Qnst“ oder dem „achtsamen Aufmupf“ als Charakteristikum des zeitgenössischen Konformismus –, der Leser wird einfach hineingezogen in diese Mischung aus Hoch- und Umgangssprache, aufgepeppt mit Archaismen und Wortneuschöpfungen, gelegentlichen Ausbrüchen ins Hochpoetische und aufgesammelten Sprachblüten von unterwegs. Da wird ein einziger Blick hinab in einen Berliner Hinterhof mitunter zu purer Sprachspielerei, einem irritierenden Flimmern des Vokabulars, das ins Poesiebuch jedes schreibenden Anfängers gehörte: „In meinem Hinterhof des Sommers: Narzissen und Violen, Nelken, Lilien, Majoran. Rot Rosen, weiß Gilgen, edle Narzissel, englische Schlissel, schöne Hyazinth, türkische Bind, himmelfarbne Ehrenpreis, Dunpan gelb und weiß, silberne Gloggen, guldne Flocken, Maßlieb und Rosenmarin, Gesprengelte Morgenröslein, stolze Schwertlilgen, krause Basilgen, zarte Violen, blutrot türkisch Wassertost, schneeweiß Augentrost“. Und nahezu auf jeder Seite findet sich nach der Lektüre ein dickes Ausrufezeichen – das manchmal etwas krumm aussieht, weil nebenbei das Lachen einen schüttelte – und markiert eine jener Weisheiten, wie sich sich derzeit bei keinem anderen als Thomas Kapielski finden: „Leute, die wissen, warum eine Kunst gut ist, wissen gar nichts, die sollen Führungen machen.“

Titelbild

Thomas Kapielski: Mischwald.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
350 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125977

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