Auf der Schattenseite einer tragischen Familiengeschichte
Selma Mahlknecht veröffentlicht mit „Es ist nichts geschehen“ eine packende Familienchronik mit kriminalistischen Elementen
Von Barbara Tumfart
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSelma Mahlknecht, eine junge vielversprechende Südtiroler Autorin legt mit ihrem aktuellen Roman „Es ist nichts geschehen“ ein eindrucksvolles Stück deutschsprachiger Gegenwartsliteratur vor. In einem Interview bekräftigt sie die Bedeutung der Beschäftigung mit Frauenschicksalen und zeigt sich besonders von Frauen in der Täterrolle fasziniert. So entführt die hauptberuflich als Lehrerin für Deutsch, Geschichte und Geographie an einem Realgymnasium tätige Schriftstellerin den Leser in ihrem Roman die schwierige und traumatische Lebensgeschichte dreier Frauen.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht die dominante Persönlichkeit der Großmutter, die sich nach dem langersehnten Ausbruch aus einer von Männern beherrschten bäuerlichen Umgebung durch die übereilte Heirat mit einem ihr stets fremd bleibenden Mann sich ein neues Leben in der Stadt aufbaut. Bald muss sie jedoch erkennen, dass sie für den Ehemann nur Mittel zum Zweck ist, der darin besteht, ihm einen Nachkommen zu schenken. Die Mutter selbst findet allerdings nie einen seelischen Zugang zur Tochter ihres Mannes und eine wechselseitige Hassliebe prägt fortan das schwierige Familienleben. Nach dem Tod der Tochter bei der Geburt ihres zweiten Kindes fällt der Großmutter nun die Rolle der Erziehung der beiden Enkeltöchter Sally und Bess zu, die sie mit großer Hingabe erfüllt. Doch die beiden jungen Frauen scheinen nur sehr schwer ihren Platz im Leben zu finden: Die ältere Bess scheitert an zahlreichen Versuchen sich beruflich zu etablieren, die um drei Jahre jüngere Sally begeht, erdrückt von der vermeintlichen Schuld am Tod der Mutter einen Selbstmordversuch. Außerdem wird die Familie durch ein seit Jahrzehnten gehütetes dunkles Geheimnis bestimmt. In nie abgeschickten Briefen, Monologen der beiden Schwestern und der parallel dazu geschilderten Lebensbeschreibung der Großmutter in Ich-Form tastet sich der Leser vorsichtig durch das Dickicht der tragischen Familiengeschichte. Welche Rolle spielt der schwer behinderte Bruder der Großmutter, der lange Zeit im gemeinsamen Familienhaushalt lebte? Warum tritt der vermeintliche Vater der beiden jungen Mädchen nur sehr selten in Erscheinung und ist völlig gehemmt im Umgang mit seinen Töchtern? Und warum wird in dieser Familie nie offen und ehrlich über Probleme gesprochen, sondern alles nur angedeutet oder gar beschönigend umgedichtet?
Dieser Roman geht dem aufmerksamen Leser ‚unter die Haut‘ und stellt eine besonders raffinierte, in schnörkelloser und nüchterner Sprache qualitativ hochwertige Familienchronik dar, die mitunter starke kriminalistische Elemente aufweist und eine gute Portion Spannung bereithält. Mit großem Interesse darf man auf ein weiteres literarisches Produkt aus der Feder dieser jungen Autorin hoffen. Ihr aktueller Roman hinterlässt unbestritten einen bleibenden und nachhaltigen Eindruck und garantiert ein hochwertiges Lesevergnügen.
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