Literarische Landschaft Österreichs
Klaus Zeyringer über die Entwicklung der Literatur von 1945 bis 1998
Von Ralf Georg Czapla
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Eigenständigkeit Österreichs als Literatur- und Kulturlandschaft innerhalb des deutschen Sprachraums ist in der Vergangenheit nicht nur von den Autorinnen und Autoren des Landes, sondern ebenso von Literaturkritikern und Literaturwissenschaftlern mit Nachdruck behauptet worden. Österreichische Literatur als deutsche zu kategorisieren, nur weil sie deutschsprachig ist, hieße, die spezifischen regionalen, sozialen, historischen und auch politischen Voraussetzungen ihrer Entstehung zu leugnen.
Klaus Zeyringer, geboren in Graz und derzeit als Professor an der Université Catholique de l'Ouest im französischen Angers tätig, lässt seine Darstellung der österreichischen Literatur, die eher eine tour d'horizont als eine das Werk jeder Autorin und jedes Autors bis ins Detail auslotende Untersuchung sein will, 1945 beginnen, in jenem Jahr also, als mit der Gründung der zweiten Republik Strukturen für eine demokratische Zukunft geschaffen und der Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit gezogen schien, stellte sich Österreich seitdem doch als ein relativ stabiles politisches Gebilde dar, das nicht mehr Gefahr lief, in den Einflussbereich einer nach territorialer Hegemonie strebenden Weltmacht zu geraten. Das nationale Bewusstsein Österreichs, das die Nationalsozialisten zugunsten eines großdeutschen ausgelöscht hatten, begann sich neu zu konstituieren, und zwar in nahtlosem Anschluss an jenen fragwürdigen Patriotismus, der für die Zeit vor der "Heimkehr Österreichs ins Reich" bezeichnend gewesen ist und unverkennbar austrofaschistische Züge trug. Schriftsteller wie Ilse Aichinger und Thomas Bernhard äußerten unverhohlen ihre Skepsis, indem sie etwa auf die Austauschbarkeit nationalsozialistischer und christlicher Symbole verwiesen, und gerieten neben anderen zu öffentlich angefeindeten Kritikern der konservativen Österreich-Ideologie. Mit der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten 1986 und seinem erklärtermaßen ambivalentem Verhältnis zum Dritten Reich nebst seiner eigenen Rolle als Deutscher Soldat sieht Zeyringer schließlich eine Neuformierung der politischen Landschaft Österreichs eingeleitet, die den Bedeutungszuwachs für die FPÖ begünstigte, eine bis dahin nur von einem einstelligen Prozentsatz der Bevölkerung unterstützten Partei.
Zeyringer zeigt in beeindruckender Weise Konstanten und Wandlungen des literarischen Österreich-Bildes seit 1945 auf, das stets zwischen der Darstellung der Welt im Kleinen und der Weltbetrachtung, zwischen Idyllenkonstruktion und -negation oszilliert. In keinem anderen Land haben Autorinnen und Autoren wohl unmittelbarer auf politische und gesellschaftliche Veränderungen reagiert. Zeyringer vermeidet es, literarische Wertungen vorzunehmen. Das Spektrum der von ihm berücksichtigten Literatur reicht von mittlerweile kanonisierten Autoren wie Thomas Bernhard, Peter Handke, Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl, Elfriede Jelinek oder Erich Fried bis hin zu jüngeren wie Robert Menasse, Robert Schneider oder Evelyn Schlag. Aus der Zusammenschau konstituiert sich eine Sozialgeschichte der österreichischen Literatur zwischen 1945 und 1998, die zugleich als offene Literaturgeschichte angelegt ist.
Seit Jörg Haiders Sieg bei den jüngsten Parlamentswahlen und seiner Kampfansage an die Intellektuellen des Landes sehen sich die österreichischen Autorinnen und Autoren einer neuen Herausforderung gegenüber. Das nächste Kapitel österreichischer Literaturgeschichte kann geschrieben werden.