Stichwort Bildung

Zu Mary Wollstonecrafts Schrift zur Verteidigung der Frauenrechte in neuer Übersetzung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den bekanntesten Sequenzen der Philosophie- und Geistesgeschichte dürfte Immanuel Kants Definition der Aufklärung zählen. In einer Ausgabe der „Berlinischen Monatsschrift“ aus dem Jahre 1783 bestimmte er sie als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ und verband mit ihr die Aufforderung: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Weit unbekannter ist hingegen, dass eine englische Zeitgenossin des Königsberger Transzendentalphilosophen Formulierungen fand, deren Ähnlichkeit derart frappierend ist, dass man zu der Annahme neigt, sie habe sich dessen „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ zu eigen gemacht.

„Der Geist, der entschlossen seine eigenen Grundsätze bildet, muss stark sein“, erklärt Mary Wollstonecraft in ihrer „Verteidigung der Frauenrechte“ von 1792, „denn es herrscht eine Art intellektueller Feigheit vor, die viele Menschen vor dieser Aufgabe zurückschrecken oder nur halb tun lässt“. Daher wolle sie „Frauen dazu überreden, das Wagnis einzugehen, sowohl körperlich als auch geistig Kraft zu erwerben“.

Abgesehen davon, dass sich Wollstonecrafts Ermutigung an ihre Geschlechtsgenossinnen richtet, entspricht ihr Anliegen dem Kants. Und die Formulierung ihres Vorhabens, „es zu wagen, meine eigene Vernunft anzustrengen“, deckt sich sogar fast wörtlich mit seiner Maxime. Ob die englische Feministin die Schrift des berühmten Weltweisen und Alleszermalmers allerdings tatsächlich gelesen hatte oder ob vielmehr zwei große Geister zur gleichen Erkenntnis gelangt sind, ist nicht überliefert, oder vorsichtiger ausgedrückt: Es entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten. Soviel aber ist klar: Die Lektüre von Wollstonecrafts „Verteidigung der Frauenrechte“ ist nicht weniger zu empfehlen als die der Aufklärungsschrift Kants.

So auffallend diese Ähnlichkeiten sind, so gravierend unterscheiden sich allerdings Kants und Wollstonecrafts Auffassungen darüber, was Frauen vermögen und was nicht. Und da hat die Frauenrechtlerin allemal das bessere Ende für sich. Wenn sie etwa erklärt, es sei eine „Farce, irgendein Wesen tugendhaft zu nennen, dessen Tugenden sich nicht daraus ergeben, dass es seinen eigenen Verstand benutzt“, dann unterscheidet sie implizit zwar ähnlich wie Kant zwischen moralgemäßen Handlungen und Handlungen aus Moral, doch ist sie ganz und gar nicht dessen Ansicht, Frauen seien qua Geschlecht unfähig, aus Prinzipien zu handeln und darum nur zu dem moralgemäßen Handeln fähig. Anzumerken ist allerdings, dass Wollstonecraft hierbei nicht wie Kant den Ausdruck „Moral“ benutzt, sondern von „Tugend“ spricht.

Was Wollstonecraft über Frauen und Männer – nicht zuletzt über einige Herren der Aufklärung – dachte und welche Frauenrechte sie wie verwirklichen wollte, lässt sich nun wieder leichter nachvollziehen. Denn kürzlich hat der ein-FACH-Verlag eine von Petra Altschuh-Riederer bewerkstelligte neue Übersetzung ihrer „Verteidigung der Frauenrechte“ herausgebracht. Ursula I. Mayer hat ein Vorwort beigesteuert, in dem sie zurecht darauf hinweist, dass es den Frauen Wollstonecraft zufolge gegenüber den Männern vor allem an einem fehle und fasst den Mangel unter dem Stichwort „Bildung“ zusammen.

So verteidigt Mayer die Autorin gegen den wiederholt erhobenen Vorwurf, sie habe ihren Text „in einem holprigen Stil hingeschrieben“. Möglicherweise, so vermutet Mayer, habe die „versierte Schreiberin“ mit der wohl absichtlich „unausgefeilten Sprache“ gerade dieser Schrift positiv auf Leserinnen wirken wollen, die „selbst sprachliche Unzulänglichkeiten hatten“. Doch ist man gar nicht auf die Mutmaßungen der Herausgeberin angewiesen: Wollstonecraft selbst äußert sich in dieser Frage und erklärt zu Beginn ihres Textes ausdrücklich, sie werde es „verschmähen, meine Sätze zu wählen oder meinem Stil Schliff zu verleihen“, denn sie „wünsche eher durch die Kraft meiner Argumente zu überzeugen, als durch die Eleganz meiner Sprache“. Diese Argumente, so Wollstonecraft weiter, „werden von einem unparteiischen Geist diktiert“. Denn sie „plädiere für mein Geschlecht – nicht für mich selbst“.

Wollstonecrafts Themenspektrum bündelt sich zwar in der Bildungsfrage, ist aber zugleich weit gefächert und reicht von „geschlechtsspezifische[n] Tugenden“, deren Existenz sie „leugnet“, über Aufklärungsphilosophen wie den „gottlos[en]“ Jean-Jacques Rousseau und seine „wilde[n] Chimären“ und den „unverschämte[n] Müll der Galanterie“, bis hin zu „maskulinen Frauen“, Prostitution, Berufstätigkeit und Mutterschaft. Auf manche Ansichten und Thesen hat sich der Staub der Jahrhunderte gelegt, und man wünschte sich, sie mögen am besten ganz unter ihm verschwunden sein wie etwa Wollstonecrafts Homophobie, anderes hingegen ist noch immer – oder gerade wieder – aktuell. Doch davon ganz unabhängig: Wer sich für die (Theorie)Geschichte des Feminismus interessiert, kommt schwerlich an Wollstonecrafts grundlegender Schrift vorbei.

Titelbild

Mary Wollstonecraft: zur Verteidigung der Frauenrechte.
Herausgegeben von Ursula Meyer.
Übersetzt aus dem Englischen von Petra Altschuh-Riederer.
ein-FACH Verlag, Aachen 2008.
290 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783928089487

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