Von Wien bis Wien

Ein kleiner Rundblick über das Nachkriegs-Wien aus der Sicht seiner Kinder

Von Katrin HagedornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Hagedorn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wiedersehen mit Wien". "Die Traumstadt". "Wiener Variationen". So oder so ähnlich sind die kurzen Texte, Essays oder Gedichte betitelt. Sie erzählen von den ersten Stunden nach der Rückkehr in die Heimatstadt, von verlorenen Stunden, Stunden der Hoffnung und der Erwartung, von quälenden Erinnerungen und vergessenen Orten. Jeder Text begegnet dieser Stadt auf unterschiedliche Weise, sie unterscheiden sich nicht nur im Inhalt sondern auch im Stil. Dennoch haben sie alle eines gemeinsam: Menschen, deren Heimat Wien ist und bleiben wird, treten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in ihre Kindheitsstapfen zurück und setzten sich nach vielen Jahren oder Jahrzehnten mit ihrer Heimat literarisch auseinander.

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen autobiographische Texte österreichischer Exilautoren: Die einen sind bekannte Österreicher, die anderen eher Unbekannte. Die einen kehrten direkt nach 1945 nach Wien zurück, die anderen konnten diesen Schritt erst viele Jahre später wagen. Die einen sind auf Spurensuche in ihrer alten Heimat, als Journalisten oder Fotografen, die anderen wollen ihre erlebte Vergangenheit mit all ihren Grausamkeiten und Schicksalsschlägen aufarbeiten, sie verarbeiten. Jeder geht seine eigenen Wege, hat eigene Fantasien und Pläne. Doch kein Autor kommt als Tourist nach Wien, denn er ist ein Kind dieser Stadt, seiner Heimat. Es sind nicht nur schöne Erinnerungen, die die Autoren beschäftigen. Einige ehemalige "Wiener" haben den Bezug zu ihrer Heimat verloren, sie haben mit ihrem Lebensabschnitt in Österreich abgeschlossen und finden keine Verbindung mehr zu dieser Stadt. Wieder andere träumen sich in ihre Kindheit zurück, sehen sich spielend in den Straßen Wiens und können ihre Vergangenheit nicht loslassen. Viele geschilderte Wien-Bilder sind ambivalent in ihren Aussagen, auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Ursula Seeber, Innsbruckerin und Leiterin der Exilbibliothek im Literaturhaus in Wien, stellt in diesem Buch eine kleine Auswahl von Texten vor. Mitunter sind es Glücksgriffe, die die Herausgeberin der Reihe "Österreichische Exilbibliothek" im Picus Verlag mit diesem Potpouri präsentiert. Doch nur wenige Texte sind auch für "Aussenstehende" ein literarischer Genuss. Häufig bleibt man wie ein Beobachter am Rand stehen und findet keinen Bezug zum Text. Viele der autobiographischen Texte ermöglichen keinen direkten Zugang, sie schildern Ereignisse oder Gefühle weder persönlich noch objektiv. Eine spürbare Intention fehlt. Mitunter sind die Gedichte oder Essays sehr trivial und zugleich unmissverständlich wie Eintragungen eines Tagebuches, die nur den Schreiber selbst tangieren. Fesselt dann ein Text den Leser und lässt ihn mit wenigen Worten teilhaben an Ereignissen und Gefühlen, dann bleibt ihm nach einem kurzen Lesevergnügen nur der Einstieg in einen neuen, unbekannten Text. Die verschiedenen kleinen Geschichten der Exilautoren geben keinen kompakten Überblick, sie zeichnen kein abgerundetes Wien-Bild. Statt dessen wiederholen sich die Eindrücke, die die Rückkehr nach Wien charakterisieren. Die Straßen der Kindheit, die Schandflecke, die der Krieg zurückgelassen hat, die bekannten Gesichter, um Jahre gealtert, sie alle sind sich eben doch in vielerlei Hinsicht ähnlich. Auch stilistisch prägen die Autoren kein neues Bild, das den Leser beeindrucken könnte.

Allenfalls die Gedichte, Aphorismen oder Epigramme stechen aus der Masse heraus. Man überliest sie nicht. In kurzen und doch so effektiven Sätzen schaffen es Autoren wie Felix Braun, Hans Weigel, Thomas Bernhard, Helmut Qualtinger, eine ganz eigene Atmosphäre aus Wien in ihre Gedichte einzubinden, sie erlebbar und fühlbar zu machen. Gerade diese lyrischen Gedanken über das Wien der Nachkriegszeit bilden kleine, erlebnisreiche Inseln in dem ruhigen und gleichmäßigen Ozean aus schlichten Geschichten österreichischer Exilautoren. Wenngleich einige Texte es schaffen, ein bestimmtes Detail auch für einen Nichtkenner der Stadt Wien anschaulich, ja fast malerisch zu beschreiben, so verliert sich ihr Effekt zu leicht in der Masse.

"Es war wia beim Heirigen... es war wia a riesiger Heiriger...!" Mit "Echte Wiener oder Hab´n Sie a Ahnung" ist Helmut Qualtingers kurzer Auszug aus seinem Buch "Der Herr Karl" überschrieben. Da haben wir sie, die typischen Wiener, wie sie jeder Karikaturist skizziert, wie sie in jedermanns Vorstellung existieren. Oder haben wir doch "keine Ahnung" von der Wirklichkeit, dem wirklichen Wien? Das Buch schafft es nicht, uns eine annähernde Wahrheit zu vermitteln. Es bleibt mit seinen Texten auf der einen Seite zu oberflächlich und ausgrenzend, auf der anderen Seite zu detailliert und tiefgehend. Ein Buch, in dem sich unspektakuläre und interessante Texte fast die Waage halten.

Titelbild

Ursula Seeber (Hg.): Ein Niemandsland, aber welch ein Rundblick!
Picus Verlag, Wien 1998.
232 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3854524226

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