Treuer Verleger, liberaler Geist und wagemutiger Geschäftsmann

Peter Kaeding beschreibt in „Die Hand über der ganzen Welt“ das romanhafte Leben des Johann Friedrich Cotta

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Unruhe springt schnell auf den Leser über: So viele Aufgaben übernimmt der junge Verleger Johann Friedrich Cotta. Mit einem Haufen Schulden kauft er gezwungenermaßen vom Vater eine heruntergewirtschaftete Buchhandlung in Tübingen. Klug, sparsam, wissbegierig und mit einem Schuss Chuzpe macht er aus dem ‚hässlichen Entlein‘ der Buchhandelsszene innerhalb weniger Jahre den ‚königlichen Schwan‘ der deutschen Verlagsgeschichte. Zu seinen Autoren zählt der Verleger bald nicht nur Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe, sondern auch Heinrich Heine, Ludwig Börne, Friedrich Hölderlin, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Heinrich von Kleist.

Außerdem engagiert sich Cotta politisch, indem er in repressiver Epoche mutig liberale Zeitungs- und Zeitschriftenprojekte gründet und mit Nachdruck sogar über die deutschen Länder hinaus durchsetzt. Später wird er Volksvertreter in Schwaben, streitet für die Judenemanzipation und reist als Geheimgesandter nach Paris, München und Berlin. Zur erfolgreichen Verhandlung der preußisch-bayerischen Zollverträge gratuliert ihm König Ludwig I. von Bayern persönlich, denn „die Grundlage zu einem so wichtigen und so vielfachen Nutzen versprechenden Staatsvertrag wird […] immer sein Werk bleiben“.

Cotta begnügt sich auch damit noch nicht. Ihn interessiert die technische Entwicklung – generell und als interessante Investitionsmöglichkeit. Der Kauf der gerade funktionsreif gewordenen Dampfdruckerpressen aus dem Hause König liegt ja noch nahe, aber Cotta legt auch Geld in der Dampfschifffahrt auf dem Bodensee oder dem Rhein an. Kein Wunder, dass er stets „in Eil“ schreibt, reist, liest und entscheidet.

Die in einem nicht unangenehm altmodischen Erzählton gehaltene Verleger-Biografie Peter Kaedings stellt diese Überfülle von Ereignissen streng chronologisch vor, so dass man atemlos dem rasanten Aufstieg Cottas folgt. Aus seiner tiefen Bewunderung für einen Bürger, der Geschäftssinn, kulturelle Ader und liberales Engagement erfolgreich verbindet, macht der Autor keinen Hehl. Es gibt schließlich Gründe dafür, beweist Cotta doch, dass man trotz anständiger Honorare, Vorschüsse und geradezu unglaublich großzügiger Bonuszahlungen immer noch Geld verdienen kann – sogar in extremen Krisenzeiten des Krieges, des drohenden Staatsbankrotts und von Revolutionen. So etwas gelingt freilich nur, wenn man zu rechnen versteht und auch dann noch bescheiden lebt, wenn andere längst den Luxus genießen.

Obwohl diese Biografie im Cotta-Verlag erschien, ist sie keine idolatrische Festschrift geworden. Gleichwohl hätte man sich hie und da eine kritischere Sicht vorstellen können: Der verehrungswürdige Mann hätte damit noch mehr Profil gewonnen. Das Mäkeln liegt Kaeding, der schon Bücher zu August von Kotzebue und Adolf Freiherr Knigge geschrieben hat, nicht. Immer wieder hat man außerdem den Eindruck, Cotta habe nur seine Literaten und seine Zeitungen gefördert, wohingegen der so lästige wie wichtige Geschäftsalltag kaum in den Blick genommen wird.

Für den heutigen Leser kann es durchaus eine Art Service bedeuten, wenn Kaeding unentwegt und seitenlang Briefe paraphrasiert – das literarische Deutsch um 1800 versteht ja kaum noch jemand. Leider weiß man oft nicht genau, von wann ein Brief stammt und wo das Referieren von der Autormeinung abgelöst wird. Vollkommen unverständlich ist, dass sich Kaeding nur auf alte Literatur stützt, als seien in den letzten fünfzehn Jahren nicht unverzichtbare Werke zu Cotta von Helmuth Mojem, Roger Münch und vor allem Bernhard Fischer erschienen.

Abgesehen davon lässt sich das Buch ganz besonders Verlegern, Buchhändlern und Autoren empfehlen, finden sich doch darin immergrüne Themen wie „dünne Kapitaldecke“, „Publikumsgeschmack versus Kunst“, „Überproduktion“, „unverschämte Autoren“, „Druckfehlerteufel“, „Abrechnungsstreit“ sowie „Freies Schreiben versus festes Gehalt“.

Die wichtigste Lehre, die man aus Cottas Leben ziehen kann, ist aber die, dass genaues Wissen, genaues Rechnen und stetiger Fleiß unverzichtbare Grundlagen sind. Ohne einen Haufen Frustrationstoleranz und einen Hauch „göttliche Frechheit“ hätte es Cotta freilich nie zum Verleger-Genie gebracht.

Titelbild

Peter Kaeding: Die Hand über der ganzen Welt. Johann Friedrich Cotta, der Verleger der deutschen Klassik.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009.
493 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783768197120

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