Neue Pirouetten des Biographismus

Michael L. Baumanns Buch über B. Travens wahre Identität

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ret Marut alias B. Traven alias Berick T. Torsvan ("called also Hal Croves") hatte offensichtlich Spaß an Mystifikationen und versuchte noch als Autor von Weltruhm seine wahre Identität zu verbergen. Schon der Name Ret Marut war Maskerade, deren Bedeutung oder Ursache wir nicht kennen. Die biographische Forschung hat versucht, B. Travens wahre Identität zu ermitteln und der Camouflage ein Ende zu bereiten. Doch sie hat seine angenommenen oder falschen Identitäten nur zum Teil widerlegen können, zum anderen Teil aber um neue Varianten bereichert.

Seit den Forschungen von Rolf Recknagel und K. S. Guthke ist weithin konsenzfähig, dass sich hinter dem Pseudonym B. Traven niemand anderes verbirgt als ein ehemaliger Schauspieler und Journalist, Regisseur und Revolutionär, der vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland aufgewachsen ist und während des Krieges zu schreiben anfing, der seit 1917 die in München erscheinende Zeitschrift "Der Ziegelbrenner" herausgegeben und 1919 eine nicht unbedeutende Rolle in der von Kurt Eisner proklamierten Münchener Räterepublik gespielt hat, der 1923 erst ins englische, dann ins kanadische und schließlich ins (mittel-) amerikanische Exil geflohen ist, im südlichen Mexiko unter Indianern gelebt und dort auch sein Frühwerk geschrieben hat.

In der "1st Books Library", einer führenden virtuellen Bibliothek (http://www.1stbooks.com), deren Titel man sich direkt aus dem Netz auf den Rechner ziehen kann, ist nun ein Buch des Traven-Forschers Michael L. Baumann erschienen. Seit Mitte der siebziger Jahre publiziert Baumann, Professor für amerikanische Literatur (Emeritus) über Traven, er ist der Hauptvertreter der sogenannten "Erlebnisträger"-hypothese, welche besagt, dass Traven die in seinen Büchern dargestellte Welt gar nicht selbst gesehen bzw. "erlebt", sondern aus zweiter Hand habe.

In seinem neuesten Buch diskutiert Baumann diverse Spuren, die zum wahren Urheber dieses großen erzählerischen Werkes führen sollen, eines Werkes, das bis heute unter dem Aliasnamen "B. Traven" veröffentlicht wird. Er schildert die Person, die sich hinter Marut, Torsvan, Croves und anderen Alias-Namen verbirgt und vermutlich von 1882 bis 1969 gelebt hat, als obskurantistischen Charakter, der seltsame Dinge getan und ein eigenartiges Verwirrspiel um seine Identität getrieben habe. Er wägt verschiedene Thesen gegeneinander ab, die bis heute die Traven-Forschung bewegen: so etwa die These, Kaiser Wilhelm II. habe eine gewisse Helene Maret geschwängert, eine irische Schauspielerin aus Pennsylvania, und sei somit Ret Maruts Vater; oder die These, Traven-Marut sei identisch mit dem illegitimen Sohn einer Fabrikarbeiterin und eines Töpfers und Ziegelbrenners aus Schwiebus, einem gewissen Otto Albert Max Feige, ebenfalls 1882 und nur zwei (bzw. 22) Tage vor Marut geboren!

"Es ist eine Schande, dass wir nichts davon wissen", beklagte einst Martin Walser dieses mühsame Stochern im Dunklen einer Biographie. Selbst Gerd Heidemann, jener "stern"-Reporter, der mit gefälschten Hitler-Tagebüchern die Welt zum Narren hielt, gehörte zu den Spurensuchern. Und zweifellos hat der Schriftsteller B. Traven viele deutsche Autoren beeindruckt. Martin Walser, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre auf der Suche nach einem demokratischen Sozialismus, empfahl seinem Verleger Siegfried Unseld, eine Gesamtausgabe des Œuvres vorzulegen und "die deutschen Originale zu retten". Traven habe offenbar viel länger deutsch geschrieben als man bis dato habe annehmen können.

Das Werk, das Martin Walser gern im Insel Verlag gesehen hätte, ist freilich damals wie heute von der Büchergilde Gutenberg betreut worden, deren Lektor Ernst Preczang als Travens Entdecker gelten kann. Die Büchergilde Gutenberg gilt als bedeutendste Buchgemeinschaft der Arbeiterbewegung und hatte in der Zeit der Weimarer Republik ihre Hochphase, in der auch einige von Travens weltberühmten Romanen erschienen sind, darunter "Die Baumwollpflücker" (1925), "Das Totenschiff" (1926), "Die Brücke im Dschungel" (1927), "Der Schatz der Sierra Madre" (1927), "Die weisse Rose" (1929), "Der Karren" (1931). Als Martin Walser durch einige Amerika-Aufenthalte auf Traven aufmerksam geworden war, setzte auch in Deutschland eine zweite große Rezeptionswelle ein, gestützt durch die 1977 bis 1982 von Edgar Päßler herausgegebene Werkausgabe der Büchergilde in 17 Bänden, sowie durch die biographischen Bemühungen von Guthke, Recknagel und anderen. Heute partizipieren Verlage wie Diogenes, Rowohlt und Volk und Welt an diesem Werk, während sich die Literaturwissenschaft im engeren Sinne auffällig zurückhält.

Nur der Biographismus feiert hier fröhliche Urständ´ und wird noch in seinen krudesten Varianten diskutiert. Deshalb sei hier eine neue lanciert: B. Traven alias Ret Marut alias Otto Feige war in Wahrheit ein Sohn Kaspar Hausers und ein Enkel Napoleons. Zusammen mit der letzten (leider falschen) Zarentochter Anastasia war er maßgeblich an der Zeugung Prinz Ernst Augusts von Hannover beteiligt. Wir werden über das Schicksal dieser These berichten.

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Michael L. Baumann: Mr. Traven, I Presume. B. Travens wahre Identität.
Selbstverlag Michael Fleischer, ohne 1999.
108 Seiten, 5,50 EUR.
ISBN-10: 1585001414

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