Ohne Eros geht nichts

Über Friedrich Christian Delius’ Roman „Die Frau, für die ich den Computer erfand“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nein, ich traue den Autobiografien nicht, nicht mal meiner eigenen. Da nehm ich mir doch lieber vor, eine ganze Nacht vor einem Recorder zu sitzen, sieben, acht, zehn, zwölf Stunden reden und sich ausfragen lassen“, bekennt der Computerpionier Konrad Zuse (1910-1995). Der Protagonist in Friedrich Christian Delius’ neuem Roman verbringt als alter Mann eine Sommernacht in der Rhön an der Seite eines Journalisten, dem er bereitwillig Rede und Antwort steht.

Zuse hatte 1941 den ersten funktionstüchtigen Computer vorgestellt, danach 14 Ehrendoktorhüte gesammelt, war aber kein Trommler in eigener Sache, sondern ein eher zurückhaltender Mensch. Zuse berichtet seinem Zuhörer, dass er dreißig Jahre lang „als Erfinder verkannt und als Spinner verleumdet“ wurde und „ein weltberühmter Unbekannter“ war.

Seine leidenschaftliche Begeisterung für die Tüftelei an seinen Rechenmaschinen vergleicht Zuse mit einer erotischen Beziehung („Ohne Eros entwickelt sich nichts im Leben.“) und erhebt den Dichter Rilke zu einer Art geistigen Übervater: „Ohne Rilkes Regel hätte ich nicht durchgehalten.“ Danach müsse der Mensch in sich gehen und prüfen, er müsse eine innere Stimme hören, die sagt: Ich muss!

Für den 66-jährigen Delius stehen in diesem Roman nicht die verbürgten Tatsachen im Vordergrund, so wenig wie es Rolf Hochhuth 1987 in seinem Buch über Zuses britischen Konkurrenten Alan Turing darum ging, eine historische Dokumentation zu verfassen.

Belegte Fakten und dichterische Imagination mischen sich bei der Annäherung an die reale Person in beiden Fällen. Bei Delius, der zuletzt so unterschiedliche Bücher wie „Mein Jahr als Mörder“ (2004) und „Bildnis der Mutter als junge Frau“ (2006) vorgelegt hat, geht es um Leidenschaft, um das 100-prozentige Aufopfern für eine Sache, für den Gleichschritt zwischen Passion und Profession, aber auch um das bedingungslose Zuhören eines Biografen und um das Buhlen eines gealterten Genies um verspätete Anerkennung und um das Ausräumen von Irrtümern.

Delius’ Zuse-Figur ist ein höchst ambivalentes Wesen. Er mag einerseits nicht den gesellschaftlichen Rummel um die Verleihung seines 14. Ehrendoktors, andererseits fühlt er seinen in der Vergangenheit gezeigten Pioniergeist in der öffentlichen Wahrnehmung nicht adäquat gewürdigt. Mal tritt Zuse als pointierter Zeitgeistkritiker auf („Was ich höre und lese, wird irgendwie immer läppischer, infantiler, ärmer an Ausdruck und Raffinesse.“), dann scheinen seine Schwärmereien für die vor mehr als 100 Jahren verstorbene Ada Lovelace in einem metaphysisch-platonischen Nebel zu verschwinden. Jene Ada, die mathematisch hochbegabte Tochter des britischen Dichters Lord Byron, ist nach Zuse „die Frau, für die ich den Computer erfand“.

Alles hat Zuse in Privatinitiative organisiert und finanziert, Forschungsgelder gab es für ihn nicht, zwischendurch wurde er von den Nazis gar eingezogen, kehrte aber schnell wieder aus Polen in die elterliche „Forschungswohnung“ nach Berlin zurück: „Natürlich habe ich an Waffen gearbeitet, mitgearbeitet, mit den zwei Seelen in der Brust“, erklärt Zuse, der in seinen Erinnerungen wiederholt Faust und Mephisto als Vergleiche heranzieht und am Ende der Gesprächsnacht trotzig erklärt: „Meine Seele, bitte sehr, geschenkt, auf sieben Magnetbändern“.

Delius’ künstlerische Annäherung an den Wissenschaftler Konrad Zuse zeugt von großem Respekt vor dessen Lebensleistung, dennoch kann sie formal nicht vollends überzeugen. Zuses gesprochenes Wort, seine assoziativen, ins monologische abdriftenden Ausführungen werden von Delius stilistisch nicht aufgebrochen. Die langen Passagen in indirekter Rede und die seltsam passive Rolle des Journalisten, der zumeist nur als Stichwortgeber aus dem Hintergrund fungiert, lassen keine wirkliche Nähe entstehen. Schade, denn die Zuse-Figur – mit all ihren Ecken und Kanten – ist reizvoll.

Titelbild

Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009.
283 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783871346422

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