Der Unsympath

Leif GW Persson leistet sich einen korrupten, chauvinistischen und unfähigen Ermittler

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krimi-Ermittler sind nicht immer sympathisch, aber sie haben ihre guten Seiten: ein weiches Herz, einen akzeptablen Charakter, eine Neigung zur Gerechtigkeit, Hartnäckigkeit, irgendetwas in jedem Fall, das es Lesern möglich macht, sie zu mögen. Einen Evert Bäckström kann niemand mögen. Von sich selbst überzeugt, ein Großkotz, korrupt und chauvinistisch, faul und verfressen ist er auch, er säuft wie ein Loch und was seine Potenz angeht – man kann es sich denken.

Unter seinen Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzen und sonstigen, ist Bäckström angemessen unbeliebt, und dass er neuerdings wieder als Mordermittler tätig sein darf, ist eine Art Rache an der schwedischen Menschheit. Wenigstens erklären kann sich das nicht wirklich jemand.

Diesem Bäckström nun wird die Ermittlung in einer Mordsache übertragen, die angesichts der sonstigen Umstände Nachrang hat. Ein ehemaliger Finanzmensch, der mittlerweile an der Flasche hing, ist nach einem Saufgelage erschlagen worden (mit einem Topfdeckel). Flaschen mit Hochprozentigem, eine Küche und ein Wohnzimmer, die halbwegs unter Müll und Gelageresten begraben sind, zeugen davon. Ein Zeitungsbote entdeckt die Leiche am nächsten Morgen.

Klare Sache, offensichtlich sind der Tote und ein Kumpan im Suff in Streit geraten, wegen einer Nichtigkeit vielleicht. Einer der beiden war stärker, der andere zog den Kürzeren. Da alles voller Fingerabdrücke ist, kann es kaum lange dauern, bis der Täter gefasst ist. Eine Sache, die nicht einmal der kleine, dicke Bäckström versauen kann, wie seine Vorgesetzten einhellig der Meinung sind.

Wichtiger ist ihnen ein misslungener Raubüberfall, bei dem die Geldboten niedergeschossen worden sind. Zumal kurze Zeit später einer der beiden mutmaßlichen Täter tot aufgefunden wird und der zweite verschwindet. Anscheinend hat jemand nach dem Fiasko gründlich aufgeräumt. Und die Hintermänner sind schnell gefunden, immerhin ist ihnen eine hundertköpfige Sonderkommission auf der Spur.

Die fünf Ermittler im Team Bäckströms hingegen mühen sich mit einem Mord im schwedischen Säufermilieu ab. Welch ein Abstieg für jeden von ihnen. Nur dass sich mit der Zeit ein Zusammenhang zwischen dem kleinen und dem großen Fall herauskristallisiert. Und Bäckström, der unberührt seine Bahn zieht, lässt sich von seinen Kollegen nicht mehr bremsen. Nach und nach rühren er und sein Team – eigentlich lässt er rühren, lässt sich vor allem berichten und schwafelt von Ahnungen – an allem, was die beiden Fälle ausmacht.

Das ärgert seinen direkten Vorgesetzen Toivonen (ein finnischer Hinterwäldler, so Bäckström), der mit dem Raubüberfall befasst ist, das ärgert die Hauptverdächtigen, denen das Umfeld arg chaotisch zu werden droht und die deshalb sogar Bäckström selber aufsuchen, dessen Korrumpierbarkeit in Gaunerkreisen allgemein bekannt ist.

Bei dieser Gelegenheit kommt es zu einem großen, slapstickartigen Showdown, den Bäckström, dessen Schieß- und Kampfkünste arg zu wünschen lassen, wie durch ein Wunder nahezu unverletzt und schließlich als Held überlebt, während die Schwerkriminellen schwerverletzt darniederliegen und nach und nach das Zeitliche segnen.

Man kann über Bäckströms Ermittlerkünste denken und sagen, was man will – Perssons zeigt eigentlich, dass er vor allem seinen Leuten nicht im Weg steht und sie hervorragende Arbeit machen. Bäckström selber ist vor allem damit beschäftigt, die nächste Völlerei zu organisieren, oder sich von der letzten auszuruhen. Aber wenigstens bewegt sich irgendetwas, wenn er mit einem Fall befasst ist. Am Ende sogar in die richtige Richtung, soll heißen, in Richtung Täter. Wie das geschehen kann, bleibt letztlich dem Autor überlassen, der das Ganze sogar einigermaßen plausibel und wahrscheinlich aussehen zu lassen vermag. Große Kunst, wenn man es mag, dass man eine Hauptfigur nicht mögen kann. Harvey Keitels „Bad Lieutenant“ war im Vergleich dazu ein echter Sympathieträger.

Perssons Roman ist also (auch) ein Experiment in Sachen Leidensfähigkeit seiner Leser. Sein gesamter Text ist darauf aus, seine Leitfigur so unsympathisch und unvorteilhaft wie nur möglich aussehen zu lassen. Das wird vor allem dann problematisch, wenn man als Leser auf der Suche nach Identifikationsfiguren ist. Oder wenn man immer noch an das Wahre, Gute und Schöne glaubt. Kein dieser Erwartungshaltungen erfüllt Persson, ganz im Gegenteil, er demontiert sie geradezu systematisch. Und spätestens unter diesem Gesichtspunkt ist Perssons „Sühne“ beachtlich.

Titelbild

Leif GW Persson: Sühne. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Holger Wolandt und Lotta Rüegger.
btb Verlag, München 2009.
448 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783442752096

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