Dem Hermann-Mythos auf der Spur

Themen und Perspektiven einer literaturwissenschaftlichen Tagung zu „Hermanns Schlachten“

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Suche nach den Wurzeln ist ebenso schwierig wie notwendig und gestaltet sich umso komplexer, je tiefer diese Wurzeln und je bedeutsamer das Pflänzchen, das diesen Wurzeln entsprossen ist. Im Falle Hermanns (Arminius) haben wir es zudem mit einer ausgewachsenen Pflanze zu tun, die sich bereits seit dem 15. Jahrhundert durch unsere (Geistes-)Geschichte rankt und schon von so manchen Strömungen zur Begrünung des eigenen Gärtchen herangezogen wurde.

Vor der diesjährigen 2000-Jahr-Feier jener berühmten Schlacht, die unter verschiedenen Namen – als Varusschlacht, Schlacht im Teutoburger Wald oder eben Hermannsschlacht – Eingang in die verschiedensten Annalen gefunden hat, hat es sich deshalb angeboten, diesen Mythos systematisch zu hinterfragen, und zwar aus der Perspektive der Literaturwissenschaft. Diese Annäherung ist insofern mehr als legitim, als die historischen Quellen, zumindest auf germanischer Seite, praktisch nicht vorhanden sind, der Mythos ‚Hermann‘ dafür aber umso unerschütterlicher im kollektiven Bewusstsein verankert ist und dort im Verlauf der Geschichte wahrlich nicht nur Gutes getan hat.

Gerade auch im Kontext des derzeitigen Diskurses um die soziologisch-intelektuellen Strömungen des 19. und ihre Bedeutung für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist die Frage nach Entstehung und Ausprägung des Hermann-Mythos mehr als aktuell, denn auch literarische Bearbeitungen dieses Stoffes, dabei vor allem das Kleist’sche Drama, gehören zu den zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Kriegstreiberei missbrauchten Werken und sind damit ein Instrument der dunklen Seiten unserer Vergangenheit. Das Bestreben, diesem Phänomen nachzuspüren, ist dabei einer von mehreren roten Fäden, die sich durch die vier Abteilungen des Tagungsbandes ziehen.

Mit der Frage, was einen Helden zum Helden und im literarischen Kontext zu einer Figur nationaler Identifikation macht, beschäftigt sich die erste Abteilung. Dort sucht man allerdings den Vortrag über Hermann vergebens – die Figur des Römerbezwingers wird immer wieder unter verschiedenen Blickwinkeln und gleichsam nebenbei skizziert, bei der Auseinandersetzung mit dem Römerbild der Deutschen, bei der Analyse der Wetterphänomene der Hermannsschlacht bei Kleist und Grabbe, bei den Ausführungen zu den verschiedenen Figurationen der Thusnelda bei Schlegel, Klopstock, Kleist und Grabbe und auch bei den Betrachtungen zu Scheffels Gedichtvarianten, die dem vielfach zitierten „Als die Römer frech geworden“ zugrunde liegen.

Etwas müßig gestaltet sich demgegenüber die Suche nach dem „wahren“ Ort der Schlacht – zwar wird hier seit Jahrhunderten viel geforscht und noch mehr spekuliert, doch aufgrund des bereits erwähnten Fehlens zuverlässiger historischer Quellen kann der Ort der Schlacht noch immer nicht zweifelsfrei belegt werden. So beschränkt sich dieser Teil letztendlich auf die beiden wichtigsten literarischen Quellen (Johannes Cincinnius (1539) und Daniel Casper von Lohenstein (1689)). Der dritte Beitrag dieser Abteilung widmet sich der um 1800 durch die Entstehung der Kartografie maßgeblich mitbegründeten Wahrnehmung des realen Lebensraumes aus der Vogelperspektive, die Klopstock bereits 1769 mit seiner Beschreibung der „Hermann’s Schlacht“ literarisch vorweggenommen hat.

Klopstocks drei Hermann-Bardieten sind denn auch der Ausgangspunkt des dritten Teils, der sich mit Repräsentation und Deutungsproblematik vor dem Hintergrund von Macht und Einfluss im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigt, dabei aber auch schon Einiges vorwegnimmt, was eigentlich das Thema der vierten und letzten Abteilung ist, nämlich politisch motivierte Instrumentalisierung und Gewalt. Das tertium comparationis beider Teile ist das Kleist’sche Drama, dessen Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte bereits bezeichnend ist: 1808 entstanden, wird „Die Hermannsschlacht“ 1821 erstmals gedruckt und 1860 uraufgeführt. Umfassender Erfolg ist dem Stück aber erst nach der Reichsgründung 1871 beschieden – bis 1945 wird es dann immer wieder instrumentalisiert, um die Kampfeslust deutscher Soldaten zu steigern; Inszenierungen und die darin verwendeten (und nicht verwendeten!) Motive und Bilder spiegeln dabei verschiedene Facetten dieser Instrumentalisierungen wieder.

Umgekehrt bietet aber gerade Kleists Drama auch, und damit endet die Aufsatzsammlung, genug Material für eine solche Instrumentalisierung und Polarisierung – Gewalt und Hass enden deshalb nicht mit dem Dritten Reich, sondern sind als Thema bis heute (und heute leider wieder!) aktueller denn je. Ein zugegebenermaßen ungewöhnliches Schlussthema einer literaturwissenschaftlichen Tagung, geschuldet dem Bestreben, die behandelten Themenkomplexe bis in unsere Realität hineinreichen zu lassen und über den eigenen Tellerrand im geisteswissenschaftlichen Elfenbeinturm hinauszublicken.

Je nach eigenem Standpunkt wird man dies gelungener oder weniger gelungen finden – wer es literaturwissenschaftlich eher kompakt mag, dürfte aber unabhängig davon das eine oder andere vermissen, wie den bereits erwähnten, expliziten ‚Hermann-Aufsatz‘, der sich mit der Gestaltung dieser Figur in den unterschiedlichen Bearbeitungen beschäftigt, oder vielleicht auch die Positionierung des Hermann-Mythos im Kontext verschiedener anderer Heldenfiguren, die ähnlich mythifiziert und instrumentalisiert worden sind.

Wer literaturwissenschaftliche Motivgeschichte in einem etwas weiter gefassten Kontext versteht, der hätte sicher auch einen Streifzug durch die Opernbearbeitungen dieses Stoffes interessant gefunden; hier verweist nicht nur die Menge (über 70 allein im 18. Jahrhundert!) auf die Ausprägung des Publikumsinteresses und damit auch auf die Rezeption des Mythos, sondern es geben auch die Themenschwerpunkte dieser Bearbeitungen einen Einblick in die jeweiligen gesellschaftlichen Prioritäten – vom Fokus auf die Liebesgeschichte zwischen Hermann und Thusnelda im 18. Jahrhundert bis hin zu den stark politisch gefärbten Bearbeitungen vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Nun kann eine Tagung selbstverständlich nicht alles leisten – aber sie kann, und das hat diese Tagung durchaus erreicht – die Forschung auf den neuesten Stand bringen und ihr eine mögliche neue Richtung geben. Dennoch: Das letzte Wort zu ‚Hermanns Schlachten‘ ist noch nicht gesprochen.

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Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.): Hermanns Schlachten. Zur Literaturgeschichte eines nationalen Mythos.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2008.
347 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783895287145

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