Freundliche Übernahme

Terry Kajukos Roman über Geschäftemacherei in der gerade ehemalig gewordenen DDR

Von Stefana SabinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefana Sabin

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich nach dem Fall der Berliner Mauer setzte die Auflösung der DDR ein. Dass es dabei nicht nur um den Zusammenbruch einer maroden Wirtschaftstruktur, sondern auch um eine – nicht immer nur – freundliche Übernahme durch ein stärkeres System ging, versucht der schwäbische Autor Terry Kajuko in einem Roman über den Einbruch des wilden Kapitalismus in den noch betulichen Sozialismus vorzuführen. Schon der „Wild Wild Ost“ spielt mit der Metapher vom Wilden Westen, wie sie von Literatur und Film vermittelt wurde: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der Kontinent noch nicht ganz erschlossen war, stand der Westen für Abenteuerlust, Überlebenskampf, Gesetzlosigkeit und Gier. Kajuko projiziert diese Stimmung auf den deutschen Osten und erzählt von Wirtschaftsabenteurern und Hochstaplern, die im Osten das große Geschäft suchen.

Im übertragenen Sinn des Titels sind Kajukos cowboys eine Gruppe von Architekten, Handwerkern und Anwälten, denen korrupte Lokalpolitiker zur Seite stehen, und die sich auf den Weg aus dem Schwabenländle nach Sachsen machen, um „das Ding zu schaukeln“, also um das große Geschäft zu machen. Sie geben vor, städtische Viertel und dann ganze Regionen den Bedürfnissen der modernen Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft neu zu erschließen. So treten die kleinen Fische aus Stuttgart in Dresden wie große Haie auf. „Ich denke nicht, Herr Bürgermeister, dass Sie die notwendigen Technologien und solch ein professionelles Management zur Verfügung haben wie wir“ – reden sie den arglosen Ossis ein, die die Rolle der Indianer übernehmen: sie haben keine Vorstellung, was die westliche Investition für Folgen hat, und dann haben sie keine Ahnung, wie sie den Schaden abwenden oder zumindest begrenzen können. So können die Wessi-Kapitalisten zuerst abräumen: das Geld, das die sächsische Gemeinde als Darlehen für den großen Um- und Aufbau genehmigt, wird gedankenlos für große Autos, Helikopter, für Sekt-, Kokain- und Kaviarfeste oder für Prostituierte ausgegeben. Dass nichts gebaut, nichts restauriert, nichts saniert wird, ist vorauszusehen. Das happy end besteht daran, dass das Erschließungsgebiet verkauft wird und „die Gemeinde ohne Schulden aus der Katastrophe“ geht, während die Wessi-Investoren vor einem selbstgeschaffenen Scherbenhaufen stehen.

Alle sind von Gier getrieben, die naiven Ossis ebenso wie die arroganten Wessis, und der Erzähler macht nicht einmal den Versuch, ihnen sympathische Züge zu verleihen. Die Handlung ist in kurzen, schnellen Kapiteln portioniert, die Sprache von einer hilflosen Grobheit. Der Erzähler moralisiert nicht, sondern berichtet von einer Goldgräbergeschichte aus dem deutschen Osten – also von Verhältnissen, die zwar vergangen sind, sich aber in die nationale Psyche eingeprägt haben. So erfasst dieser Roman, der weder unterhält noch amüsiert, auch ein historisches Moment.

Titelbild

Terry Kajuko: Wild Wild Ost. Roman.
Plöttner Verlag, Leipzig 2007.
248 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783938442333

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