Vielseitige Einblicke

Die Internationale Zeitschrift für Philosophie widmet sich der Globalisierung

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von Andreas Graeser, Dominic Kaegi, André Laks und Enno Rudolph herausgegebene „Internationale Zeitschrift für Philosophie“ (IZPh) ist ein gutes Stück neues akademisches Deutschland. Im Jahre 1992 gegründet, erscheint sie halbjährlich und behandelt jeweils in mehreren Beiträgen wichtige Themen von allgemeinem Interesse in historischer und systematischer Perspektive. Angesichts der Themenvielfalt lässt die IZPh noch einmal etwas von der Universalkompetenz der Philosophie erahnen. Dabei ist sie offen für den interdisziplinären Diskurs. Die IZPh widmet sich in ihrem 2. Heft des 17. Jahrgangs (2008) dem Thema „Globalisierung“, dem sich sechs Autoren aus unterschiedlichen Fächern nähern.

Manuel Bachmann, Studienleiter „Philosophie und Management“ an der Universität Luzern, betrachtet das Thema von einem wirtschaftsphilosophischen Blickpunkt aus als ein „ideologisches Projekt der Managementphilosophie“. Im Management von Unternehmen spiegelt sich Globalisierung in „kultureller“ und in struktureller Hinsicht. Wer im System Weltwirtschaft bestehen will, brauche, so die ideologische Vorgabe, eine „global gültige Führungs- und Unternehmenskultur“, die sich formal in der Matrixorganisation als Paradigma der Unternehmensführung für „global player“ niederschlage. Diese verdichtet die besondere „Spiritualität“ des Unternehmens und seines Managements zur „corporate religion“, die den Konzern im Chaos globaler Märkte erkennbar werden lässt. Bachmann zeigt damit den Dogmatismus einer sich als Paradebeispiel von Rationalität verstehenden Wissenschaft auf und beschreibt, wie sich Unternehmen mit dieser Ideologie dem gegebenen Umfeld nicht unter-, sondern überordnen.

Mitherausgeber Andreas Graeser, emeritierter Professor für Philosophie, widmet sich einem grundlegenden Problem, dem sich die globalisierte Welt in ihrer kulturellen Fragmentierung gegenübersieht: „Dürfen wir glauben, was wir glauben wollen?“ Nach einigen konzeptionellen Überlegungen zu den „Quellen des Sollens“, insbesondere zum Unterschied von epistemischen und ethischen Beurteilungen von Glaubenssätzen sowie der Rekonstruktion der philosophischen Fachdebatte über den Status von Glaubensakten plädiert Graeser dafür, „die Idee der Rechtfertigung ernst zu nehmen“, nach der Glaubensakte „unter der Forderung stehen, der Norm der Wahrheit zu genügen“. An dieser „Ethik des Glaubens“ müssen sich auch religiöse Glaubenssätze – und damit Religionen – messen lassen. Wie das aber in der globalen Praxis aussehen kann, wo ja die Differenz des einen „Für-wahr-haltens“ zu einem anderen „Für-wahr-halten“ gerade den kulturellen und religiösen Unterschied bezeichnet, bleibt offen, auch wenn Graeser darauf verweist, dass man die Unmöglichkeit der Rechtfertigung des eigenen Glaubens vor dem Anderen nicht „unter Hinweis auf die sogenannte Vor- oder Vorurteilsstruktur allen Verstehens in Zweifel ziehen“ könne, ohne damit jegliche Kritik an Aussagen unmöglich zu machen. Dennoch: Es scheint sehr optimistisch, die „Wahrheitsorientierung des Glaubens“ zur Grundlage einer Art „Rechtfertigungspflicht“ zu machen. Es zeigt sich die Differenz von philosophischer Argumentation und praktischen Lebensvollzügen.

Eher um letztere geht es im Beitrag von Thomas Held über die Schweiz. Die Leserin und der Leser erfahren vom „Avenir Suisse“-Direktor einiges über unseren südlichen Nachbarn, der in vielen internationalen Zusammenhängen lange als „Sonderfall“ galt, sich aber in den 1990er-Jahren dem einsetzenden Globalisierungstrend nicht entziehen konnte und wollte, wurde in der Schweiz doch „die Erfolgsgeschichte der jüngsten Globalisierungswelle“ (Hervorhebung im Original) geschrieben. Auf ihr schafften die Eidgenossen den Anschluss an die führenden Wirtschaftsmächte, was, so Held, an „gewissen Qualitäten“ respektive „Tugenden“ der Schweiz liege. Held diskutiert drei zentrale Elemente: 1.) die heterogene Kultur, die sich von der anderer europäischer Nationalstaaten abhebt (verschiedene Sprachen, verschiedene Konfessionen) und damit eine Art Erfahrungsvorsprung in Fragen der Integration des Anderen darstellt, 2.) die „strukturelle Kleinheit“, die das Land für den Umgang mit ständigem Ressourcenmangel bestens trainierte und 3.) die Tendenz zur unbürokratischen Problemlösung.

All diese „Tugenden“ haben das Land so globalisierungsfähig gemacht wie kaum ein zweites. Mit Blick auf Deutschland erkennt man, warum es hier noch nicht so globalitätsaffin zugeht wie in der flexiblen, wendigen und weltoffenen Schweiz. Hierzulande gelten geradezu drei tradierte „Laster“ als Hemmnisse für eine positive Ausgestaltung des Globalisierungsprozesses: Deutschtum, Größe, Bürokratie. Helds Bestandsaufnahme klingt einsichtig. Und auch die Analyse der negativen Rückwirkung des Globalisierungsprozesses auf die „Tugenden“ und des problematischen Versuchs, sie trotzdem zu bewahren, kann überzeugen. Fazit: Es ist auch nicht alles Gold, was in der Schweiz glänzt.

Der Berliner Jurist und Rechtsphilosoph Hasso Hofmann bespricht ein Konzept, das im globalisierten Zeitalter dem paradigmatischen „Sachzwang“ zum Opfer zu fallen droht: das Soziale innerhalb des rechtlichen und politischen Systems. Bislang fand es in Kernbegriffen nationalstaatlicher Ordnung einen prominenten Platz: soziale Marktwirtschaft, Sozialstaat, Sozialversicherungssystem – Figuren zur Gewährleistung eines der obersten Ziele des Staates: soziale Gerechtigkeit. Hofmann, der die gerechte soziale Ordnung für „nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine unverzichtbare regulative Idee“ hält, analysiert die zentralen Konzepte unter den Bedingungen der Globalisierung, stellt bekannte rechtsphilosophische Theorien vor (Rawls’ Differenzprinzip, Walzers bereichsorientiertes Verteilungsmodell, Kerstings Postulat politischer Solidarität) und verweist auf neuere Arbeiten zu diesen juristischen, politischen und ethischen Fragen – ein hervorragender Überblick zum Thema Sozialordnung in unseren Tagen.

Wo leben wir heute – in der einen Welt oder doch eher in vielen Welten? Dieser Frage geht der Politologe und Philosoph Henning Ottmann in ökonomischer, politischer und moralphilosophischer Hinsicht nach. Ottmann ist der Ansicht, dass wir „nicht nur der einen Welt, sondern ebenso den vielen Welten begegnen“, wobei „die große Frage ist, ob sie miteinander vereinbar sind“. Eine Schlüsselrolle spiele dabei „global governance“ im Sinne der Schaffung von Institutionen und Strukturen, die Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit zum Leitmotiv internationaler Beziehungen erheben und zugleich Vielfalt ermöglichen. Ottmann nennt das Stichwort: Anerkennung des Anderen. Er erinnert weiterhin an den Reformbedarf der politischen und ökonomischen Weltorganisationen, die sich erst noch zu „repräsentativen Institutionen“ entwickeln müssten. Schließlich mahnt er jedoch auch die Entwicklungsländer zu mehr Eigeninitiative („Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Probleme der Entwicklungsländer ist hausgemacht!“) und weniger Opferkult, dessen Exkulpationsstereotype nicht mehr verfangen („Die ständige Klage über Kolonialismus, Neokolonialismus ist irgendwann auch nur noch eine faule Entschuldigung für das, was man selber zu leisten hätte.“). Das ist alles nicht neu, doch Ottmanns dichte Zusammenstellung von Argumenten und Positionen trägt zum Verständnis der komplexen Probleme unserer Welt zwischen „McWorld und Dschihad“ (Barber) bei.

Gut die Hälfte der Zeitschrift macht ein ganz besonderer Zugang zum Thema aus – Karl Löwiths Japan-Aufenthalt zwischen seinem Italien-Exil (1934-36) und seinem Leben in Amerika (1941-52). Der Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann stellt die Frage, ob Karl Löwiths Sendai, eine kleine Universitätsstadt, in welcher der Philosoph mit der unfreiwillig globalisierten Biografie von 1936-41 lehrte, nur ein „exotisches Provisorium“ war oder doch so etwas wie ein „japanisches ,Alt-Marburg‘“. Hausmann entscheidet sich für „Provisorium“, da die Situation an der Tôhoku-Universität Löwiths Denken kaum befruchtet habe. Der sehr kenntnisreiche 70-Seiten-Aufsatz ist für Löwith-Freunde ein absolutes Muss (allein schon wegen der zahlreichen Querverweise in den sehr ausführlich gehaltenen Fußnoten), für alle anderen wohl eher unerheblich, denn die detaillierte biografische Aufarbeitung dieses literatur- und philosophiegeschichtlichen Kapitelchens ist zu speziell, um eine eher allgemein an Globalisierungsfragen interessierte Leserschaft ansprechen zu können.

Es stellt sich die Frage nach dem Anschluss dieser filigranen Forschungsarbeit an die eher essayistischen Texte zu aktuellen ökonomischen, politischen, rechtlichen und ethischen Globalisierungsfragen, die untereinander zumindest die übergeordnete Thematik verbindet, in Teilen auch das darin enthaltene Problem des richtigen Umgangs mit dem Anderen. Doch dass die Betrachtung aus völlig unterschiedlichen Perspektiven erfolgt, ist angesichts der Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas „Globalisierung“ kein Mangel an Stringenz, sondern schlichte Notwendigkeit. Es ist das große Verdienst der IZPh, so unterschiedliche Ansätze in einem Heft vereinigt zu haben. Umso bedauerlicher, dass sich die Herausgeber der IZPh mit dieser gelungenen Ausgabe verabschieden. Vorläufig. Nach ihren Angaben ist die Gründung eines neuen Organs unter dem Dach eines anderen Verlags bereits in Planung.

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Andreas Graeser / Dominic Kaegi / André Laks / Enno Rudolph (Hg.): Internationale Zeitschrift für Philosophie Heft 2, 2008. Schwerpunktthema: Globalisierung - interdisziplinär.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2008.
143 Seiten,
ISSN: 09423028

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