Deutsche Befindlichkeiten in Ost und West

Peter Bender schreibt in seinem Buch „Deutschlands Wiederkehr“ über unsere Nachkriegsgeschichte

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das letzte Buch, das der am 11. Oktober 2008 im Alter von 85 Jahren verstorbene Journalist und langjährige ARD-Korrespondent Peter Bender verfasst und veröffentlicht hat, erschien 2007 unter dem Titel „Deutschlands Wiederkehr. Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945 – 1900“. Bender, der als publizistischer Wegbereiter von Willy Brandts Ostpolitik gilt, beschreibt hier die deutsche Nachkriegsgeschichte als Zeit einer unnatürlich geteilten Nation und macht deutlich, dass die vierzigjährige Existenz zweier deutscher Staaten die Existenz Deutschlands mehr und mehr in Frage gestellt, aber nicht aufgehoben hat. Bundesrepublik und DDR blieben, so lange sie bestanden, aufeinander bezogen.

Gerade die Zeiten der schlimmsten Feindschaft ließen erkennen, so Bender, dass hier eine Nation mit sich selber kämpfte. Kein Land in Europa habe sich so viel Sorgen um seine Identität gemacht und habe so viel Not mit dem Begriff „Nation“ wie gerade die Deutschen, meint er und weist darauf hin, dass man in Deutschland unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem geflohen sei, das früher das Selbstbewusstsein der Deutschen begründet hatte – nämlich vor der Nation und der Macht, vor der Geschichte und der Politik. Die damalige große geistige Leere hätten die meisten mit angestrengter Bemühung um das Nächstliegende, um das Überleben und den Wiederaufbau verdrängt. Manche Bürgerlichen suchten Halt und Rettung in der deutschen Kultur, die eine andere Art von Überlegenheit begründen sollte über die amerikanische Zivilisation und die russische Barbarei.

Immerhin hatte Deutschland 1945 eine dreifache Niederlage erlitten – militärisch, politisch und moralisch. Das Land war rechtlos. Über alles verfügten von nun an die Sieger, über seine Grenzen, seinen staatlichen Wiederaufbau und die Neuordnung seiner Wirtschaftsordnung. Sie schrieben den Deutschen ihre Staatsordnung vor, in den westlichen Besatzungszonen die Demokratie, in der östlichen das Sowjetmodell. Sie versuchten sogar, die Deutschen durch Umerziehung zu ändern. Kein Wunder, dass sich in Bonn und Ost-Berlin jene Politiker durchsetzten, die aus fester eigener Überzeugung anstrebten, was ihre Vormächte wünschten: eine unlösbare Bindung der Bundesrepublik an den Westen und der DDR an den Osten.

Vierzig Jahre lang steckten die Bundesrepublik und die staatstragenden Gruppen der DDR im gleichen Zwiespalt. Ihr Leben hing an der Macht, von der sie sich zu emanzipieren suchten. Fünfundvierzig Jahre, fast ein halbes Jahrhundert, doppelt so lange wie Weimar und die Nazi-Zeit zusammen, hielt dieser Zustand an. Erst ganz allmählich spielte sich das Verhältnis zu den ehemaligen Besatzungsmächten ein, die im Laufe der Zeit mehr und mehr als Verbündete auftraten und auf die Demonstration ihrer Macht verzichteten.

Bender führt klar vor Augen, dass die Teilung Deutschlands das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, den Hitlerdeutschland entfesselt hatte, gewesen war und dass die Folgen der Teilung vor allem die Ostdeutschen zu tragen hatten. Gerieten sie doch unter eine zweite Diktatur, in ein schwieriges Wirtschaftssystem und in den minder entwickelten Teil Europas. Zudem versiegte für alle Deutschen nun mehr und mehr die östliche Quelle ihrer Kultur. Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder blieben und bekamen russische und polnische Verehrer. Mit Günter Grass, Siegfried Lenz und Christa Wolf wird die letzte Generation sterben, deren Werk von der Herkunft ihrer Autoren aus dem Osten lebt.

Die Bundesrepublik beanspruchte, für alle Deutschen zu sprechen. Das tat auch die DDR. Beide sahen die Ursache der Teilung allein auf der Gegenseite. Sie fochten ihren eigenen Kampf miteinander aus und hatten, im Unterschied zur übrigen Welt, den Krieg im eigenen Land. Dabei hatten Kommunisten und Nichtkommunisten Angst voreinander. Für das deutsche Bürgertum galten Kommunisten als das absolut Böse, als tödliche Gefahr für jegliche menschliche Zivilisation. In den Konzentrationslagern waren zwar oft Kommunisten mit Verschwörern des 20. Juli zusammen eingesperrt gewesen. Dort hatte die gemeinsame Not durchaus auch Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gestiftet. Nur hatten diese hinterher selten Bestand.

Zwischen beiden deutschen Staaten bestand allezeit ein Missverhältnis, weil der Weststaat dem Oststaat unerreichbar überlegen war und blieb, nicht nur wegen seiner größeren Bevölkerungszahl, sondern vor allem durch das weitaus größere Wirtschaftspotential, durch seine demokratische Legitimation und seine Freiheit in den Lebensverhältnissen.

Detailliert und anschaulich schildert der Autor die Jahre vor und nach dem Mauerbau, die Zeit des Eisernen Vorhangs und zeigt, wie die Verfremdung, die beide Staaten durch ihre Systeme erfahren hatten, nun auch mehr und mehr zur Entfremdung von einander geführt hatte. Dabei bringt er vieles genau, insbesondere die Befindlichkeiten in Ost und West, auf den Punkt. Er erläutert anhand von Beispielen und Anekdoten, ohne die Fakten zu vernachlässigen, wie die Deutschen nebeneinander lebten und wie unterschiedlich in beiden Staaten mit der Nazi-Vergangenheit umgegangen wurde. Im Westen setzte man sich erst spät mit ihr auseinander, im Osten gab man sich einem „beruhigenden oder beruhigten Antifaschismus“ zufrieden.

Auf zwanzig Jahre Feindschaft folgten Entspannung und Koexistenz. „Früher hatten wir gar keine Beziehungen“, so charakterisierte Egon Bahr einst diese Zeit, „jetzt haben wir wenigstens schlechte“. Wie dem auch sei, fast überall im Osten lebte es sich, laut Bender, in den letzten zwei Jahrzehnten des Kommunismus leichter, mancherorts sogar freier. Zu danken sei dies freilich weniger der Liberalität der Regierenden gewesen als ihrer Schwäche.

Natürlich erinnert Bender auch an die aufregenden Momente der Wiedervereinigung und verhehlt deren Schattenseiten nicht. Beide deutsche Regierungen waren unvorbereitet, als sich mit der Öffnung der Mauer die deutsche Frage stellte. Zunächst waren Hoffnungen und Jubel groß – auf beiden Seiten. Lange Gesichter gab es indes, vor allem im Osten, als sich nur eine Lösung anzubieten schien: die Ausdehnung der Bundesrepublik auf das Gebiet der DDR. Kohl hatte zwar suggeriert, dass die Einheit umsonst zu haben sei und den Ostdeutschen alles bringen werde, was sie sich wünschten. Doch nach der Wende gebärdete sich die Bundesrepublik als Sieger, ließ von den Einrichtungen der DDR fast nichts bestehen und organisierte das „Beitrittsgebiet“ wie die Bundesrepublik.

Anderthalb Jahrzehnte nach der Vereinigung der Staaten war die innere Einheit noch nicht erreicht. Aber es hätte auch ganz anders kommen können, gibt Bender zu bedenken, wenn nämlich das sowjetische Imperium nicht rechtzeitig zusammengebrochen wäre. Doch so konnten sich die Bundesrepublik und die DDR vereinigen, als sich die Deutschen noch als Nation empfanden – „wir hatten Glück.“

Mit großem Einfühlungsvermögen, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, gelingt es dem Buchautor, die deutsche Geschichte während der letzten sechzig Jahre durch fairen Vergleich von Ost- und Westdeutschland dem Leser nahezubringen, mit einfachen und klaren Worten, dezidiert und gründlich. Allerdings möchte man gelegentlich – das sei nicht verschwiegen – hinter manche Aussage ein dickes Fragezeichen setzen. Gleichwohl dürfte für spätere Generationen, insbesondere für Schüler, Studenten und Historiker, dieser mit Zeittafel, annotierter Bibliografie und Personenregister ausgestattete Band eine wichtige historische Quelle und ein unentbehrliches Nachschlagewerk sein.

Titelbild

Peter Bender: Deutschlands Wiederkehr. Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945-1990.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007.
325 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-13: 9783608944662

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