Parallelwelten

In Peter Stamms viertem Roman „Sieben Jahre“ pendelt ein Mittvierziger zwischen zwei Frauen und zwei Leben

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Achtzehn Jahre haben sie miteinander ausgehalten, im Guten wie im Schlechten. Sie: schön, klug und wohlhabend, „mit Charme und natürlicher Sicherheit“. Er: mäßig talentiert und gelangweilt, aber „mit Potenzial“. Von Leidenschaft oder gar Liebe war zwischen den beiden nie die Rede. Dafür von ähnlichen Lebenszielen – Architekturbüro, Haus und Kind – und der Zukunft als gemeinsames Projekt. Doch in einer auf das bloße Funktionieren reduzierten Beziehung ist die Krise vorprogrammiert. So stehen nun auch Sonja und Alex vor den Trümmern ihrer Ehe.

Für die Auseinandersetzung mit altbewährten Themen wie unerfüllte Erwartungen, vorhersehbare Niederlagen und Enttäuschungen, nicht gelebtes Leben ist der 1963 geborenen Schweizer Peter Stamm bekannt. Erzählt wird zumeist aus der Sicht eines Mannes mittleren Alters, scheinbar gleichgültig und schonungslos ehrlich. So war es schon in „Agnes“ (1998) und „An einem Tag wie diesem“ (2006). Sie schreien „Freiheit“ und meinen „Glück“. Und doch haben sie Angst – wie Alex angesichts der aggressiven Inbesitznahme der von ihnen gebauten Wohnhäusern durch die „Massen“ gesteht – vor dem „wuchernden Leben, das sich ihren Plänen entzog“.

Auch ihn fasziniert nach Jahren der Anstrengung das Leben ohne Verantwortung und ohne Ziele. Immer wieder treibt ihn das Gefühl, in der Beziehung zu Sonja besser sein zu müssen, als er in der Wirklichkeit ist, in eine andere Welt, zu der Polin Iwona. Warum er sich zu dieser ungebildeten und vollkommen reizlosen Frau, die sich illegal im Land aufhält und als Putzfrau verdingt hat, hingezogen fühlt, kann er sich beim besten Willen nicht erklären. Sexuelle Obsession muss es sein, die Lust am Kränken und Verletzen. Und man schaut zu, wie sich die beiden bei jedem ihrer – überwiegend stillen – Treffen miteinander abquälen.

Als Iwona nach all den Zurückweisungen und Erniedrigungen flüsternd ihre Liebe gesteht, kann man nicht anders als zu staunen. Zwar heißt es an einer Stelle des Buches erklärend, dass „derjenige glücklicher ist, der liebt, und nicht der, der geliebt wird“, doch soviel bedingungslose Hingabe verwirrt – auch Alex, für den der Gedanke an Iwonas Liebe plötzlich „etwas Erhebendes“ hat. Das Tier im Manne ist damit scheinbar gezähmt, trotzdem gelingt es ihm, sich der Frau wieder länger zu entziehen.

Weder die Kinderlosigkeit der beiden noch das Kind, das Iwona sieben Jahre später statt Sonja bekommt, lassen die Ehe scheitern. Mit erschreckender Kühnheit entscheidet man sich für die Adoption des Kindes, stößt mit Prosecco sogar auf die Entscheidung an, auch wenn es in der Tiefe der Seele heftig brodelt. Iwona verzichtet auf Drängen Alex’ auf das Kind und verschwindet endgültig. Die Bestimmungsgewalt über seine Geschichte, „eine Parallelwelt, die meinem Willen gehorchte und in die ich mich begeben konnte, wann immer ich wollte, und die ich verließ, wenn ich genug von ihr hatte“, hatte er aber längst verloren. Sonja geht auch, zehn Jahre später.

Peter Stamms neuer Roman ist schwere Kost, eine irritierende Lektüre, die man trotzdem nicht aus der Hand legen möchte. Menschliche Abgründe werden in ihm mit bekannter Präzision, Gelassenheit und sprachlicher Schmucklosigkeit meisterhaft ausgelotet.

Titelbild

Peter Stamm: Sieben Jahre. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
298 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783100751263

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