Gefangen im drahtlosen Netzwerk

Terézia Moras Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Terézia Mora ist alles andere als eine Vielschreiberin. Vor zehn Jahren wurde die damals noch völlig unbekannte Autorin für eine Erzählung aus ihrem später erschienenen Band „Seltsame Materie“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Ihr erster Roman trug 2004 – in Anlehnung an ein bekanntes Ingeborg-Bachmann-Gedicht – den Titel „Alle Tage“. Nun hat sich die 38-jährige Schriftstellerin wieder fünf Jahre Zeit gelassen und ihren zweiten Roman vorgelegt. Wie in den Vorgängerwerken, in denen es vor allem um Außenseiter in fremden Kulturkreisen ging, hat Terézia Mora wieder einiges von der eigenen Vita in den Plot eingehen lassen.

Sie erzählt eine einzige Woche aus dem Leben eines ungleichen Paares. Die weibliche Hauptfigur Flora stammt, wie die Autorin, aus Ungarn und will als Übersetzerin arbeiten. Ihr Mann Darius ist wie Moras Ehemann Spezialist für drahtlose Netzwerke.

Doch mit dem Protagonisten wird man als Leser nicht recht warm. Er ist ein unsympathischer Typ von Anfang vierzig, nicht groß, aber dafür stark übergewichtig, nicht kreativ, aber stattdessen anpassungsfähig, nicht besonders intelligent, aber mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz ausgestattet. Als die Online-Welt noch richtig boomte, war Darius irgendwann in seinem dubiosen amerikanischen Unternehmen für ganz Europa als Vertreiber von drahtlosen Internet-Netzwerken zuständig – genau wie es der Romantitel suggeriert „der einzige Mann auf dem Kontinent“.

Terézia Mora erzählt diese moderne Tragikomödie mit großer Raffinesse, sie arbeitet mit Zeitdehnung und Raffung und kann so das Tempo spielerisch variieren. Es geht um Geld, um viel und schnell verdientes Geld, um Aufstiege und Abstürze, um schlechte Zahlungsmoral und windige Unternehmensstrategien. Obwohl wir es mit einem höchst aktuellen Sujet zu tun haben, erzählt Mora keineswegs zeitgeistkonform, sondern bisweilen ausufernd und mit leicht antiquiertem Unterton. Die hektische Welt des Darius Kopp wird so mittels der Sprache künstlerisch aufgebrochen.

Kopp findet nie ein gesundes Maß, weder in seinem Job noch privat. Er gibt vor, rund um die Uhr arbeiten zu müssen, ist quasi 24 Stunden per Laptop online, und wenn es Probleme gibt, versucht er sie durch wahre Fressorgien zu kompensieren. Kein Wunder, dass ein solches Leben nicht funktioniert. Es kriselt in der Beziehung zur geliebten Flora, die nicht als Übersetzerin arbeitet, sondern als Kellnerin in einer Bar jobbt, es folgt die große ökonomische Krise am sogenannten „neuen Markt“ und damit einhergehend eine persönliche berufliche Krise. Als Darius von einem säumigen armenischen Kunden 40.000 Euro in einem Paket erhält, gerät der Netzwerker ohne Arbeitsvertrag auch noch in tiefe Gewissenskonflikte. Soll er das Geld als Ausgleich für nicht erhaltene Provisionen unterschlagen?

Ein Mann, der sich die weltweite Kommunikation mittels drahtloser Netzwerke auf die Fahnen geschrieben hat, scheitert beruflich elendig an der nicht vorhandenen Kommunikationsbereitschaft in seinem Unternehmen. Während sich Kopp noch mit Osteuropageschäften abstrampelt, ist er im US-Stammsitz von den Top-Managern schon längst abgeschrieben worden. Das liest sich gleichermaßen absurd wie bedrückend realistisch. Doch Terézia Mora lässt ihren Protagonisten nach dieser ereignisreichen Woche nicht gänzlich abstürzen. Die unerschütterliche Liebe zu Flora fängt ihn auf.

Titelbild

Terézia Mora: Der einzige Mann auf dem Kontinent. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
380 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783630872711

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