Fröhliche Sozialintegration
Hans Joas' Idee eines partikular gestützten Universalismus
Von Johan Frederik Hartle
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie "Entstehung der Werte" beschäftigt den Berliner Soziologen Hans Joas in seinem gleichnamigen Buch. Damit ist keineswegs die Frage nach ökonomischen Werten gestellt, wie es die kritische Sozialwissenschaft gerade an der Freien Universität Berlin vor einer Generation beschäftigt hat, geschweige denn die marxistische nach dem abgeschöpften Mehrwert. Hans Joas gehört einer neuen Generation von Sozialwissenschaftlern an. Sie gehören auch im übertragenden Sinn in das neue Berlin und widmen sich mit gutem sozialdemokratischen Hintergedanken der Möglichkeit universalistischer Sozialintegration. Optimistisch suchen sie nach dem normativen Potential der kapitalistischen Moderne und dessen Beitrag zur vernünftigen Regulation der gesellschaftlichen Ordnung.
Der Autor selbst hat sich vor allem durch seine Veröffentlichungen zur Sozialtheorie des amerikanischen Pragmatismus verdient gemacht. Seine Reformulierungen der pragmatistischen Handlungstheorie sind breit rezipiert worden und haben eine wichtige Stellung in der Theorieentwicklung der gegenwärtigen Sozialwissenschaften gewonnen. Pragmatistische Autoren beschäftigen ihn in diesem Buch auch - wenn auch nicht ausschließlich. Nicht zuletzt mit William James und John Dewey versucht er, "die Entstehung der Werte" als interaktive "Transzendierung des Selbst" zu verstehen.
Der besondere Kniff des zuerst 1997 erschienenen Buches, das nun in der Neuausgabe vorliegt, besteht in einem Versöhnungsangebot. Die beiden Extreme, die hier vereint werden sollen, markieren entscheidende Gegenpositionen auf der Landkarte zeitgenössischer politischer Philosophie. Sie sind mit dem Projekt eines liberalistischen Universalismus und dem Gegenprojekt des Kommunetarismus benannt, der auf partikulare Werte baut.
Die Versöhnung unterschiedlicher theoretischer Geltungsansprüche zieht nicht nur widerstreitende Schulen gegenwärtiger Theoriebildung ein; sie greift auch in die Geschichte zurück. Joas widmet sich der Wertphilosophie, die im nachmetaphysischen Zeitalter nach Perspektiven positiver Vergemeinschaftung jenseits abstrakter Verpflichtungen suchte. Allerdings geht schon die Frageperspektive über die originäre Wertphilosophie hinaus, die eine stark ahistorische Tendenz hatte. Es geht Joas um "die Entstehung der Werte" und damit um deren historische Kontingenz. Diese Leitfrage stiftet den etwas vagen Zusammenhang zwischen der genealogischen Moralkritik Friedrich Nietzsches und der intersubjektivistischen Deutung der Entstehung der Werte in der Philosophie John Deweys.
Ist der theoriegeschichtliche Teil auch sehr informativ: so richtig erschließt sich der Zusammenhang des Buches erst zum Schluss. Im letzten Teil wird die Perspektive spannend. Im showdown begegnet Hans Joas dem heimlichen Übervater Jürgen Habermas. Joas möchte werthafte Voraussetzungen in den gesellschaftlichen Diskurs einbeziehen, um Sozialintegration in der unhintergehbaren Identität der Individuen zu fundieren.
Die Kritik an der Diskursethik erfolgt immanent. Auch diese Auseinandersetzung ist sehr versöhnlich. Das ganze Buch hat den Charakter eines akademischen Händeschüttelns. Im freundlich-dialogischem Gestus bespiegelt sich aber nicht zuletzt ein eingespieltes und etabliertes Milieu akademischer Theorie. Immer birgt jedoch die Inszenierung der scientific community als peer group die Gefahr, bestimmte theoretische Zirkel zu verabsolutieren. Nicht selten blinzelt der Flirt bundesrepublikanischer mit angelsächsischer Philosophie mindestens an der jüngeren französischen Philosophie und der marxistischen Tradition vorbei.
Zu einem theorie-imannenten Problem wird das in dem Augenblick, wo von der symbolischen Verzerrung sozialer Normen durch den Sozialcharakter vermeintlich allgemeiner Werte und Normen gar nicht mehr die Rede ist. Gut möglich immerhin, dass auch die neuerliche Synthese von partikularen Werten und universalistischen Normen nicht die symbolische Erniedrigung gesellschaftlich Deklassierter durch etablierte Werte und Normen zu berücksichtigen in der Lage ist. Soziale Ungleichheit kommt in seinem Buch bei aller Differenziertheit nicht vor.
Vermutlich aber bleibt eine solche Kritik hilflos, weil sie sich nicht selbst schon in den Denkfiguren der exklusiven scientific community bewegt. Natürlich verhalten sich die Prinzipien einer monumentalen Hollywoodproduktion indifferent gegenüber den Errungenschaften des Experimentalfilms. Und so lässt sich der letzte Eindruck charakterisieren, den das Buch hinterlässt: Das Buch als schönes Gedankenspiel, das sich erst in der Schlussszene so richtig auflöst. Wie ein Hollywood-Film vergnügt auch das Buch durch höchstes technisches Niveau und die bestbezahlten Schauspieler, während es doch an der gesellschaftlichen Erfahrung des Rezipienten vorbei zielt. Allerdings hat der Rezipient seine Rezeptionsgewohnheiten schon so darauf eingestellt, dass er es nicht richtig bereuen kann, sich damit aufgehalten zu haben.
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