Alte und neue Medientheorie

Das "Kursbuch Medienkultur" als Einführung

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was tun Sie gerade? Sie lesen einen Text im Internet. Sie lesen einen deutschsprachigen Satz. Sie erkennen in einer bestimmten Schrifttype abgebildete Buchstaben.

Das alles dürfte Ihnen kaum "bewusst" gewesen sein, würden Sie hier nicht so naseweis darauf aufmerksam gemacht. Eigentlich wollten Sie sich nur über das hier zur Diskussion stehende Buch informieren. Sie wollten Inhalt, "Fremdreferenz" - und keine überflüssigen Hinweise auf Selbstverständlichkeiten.

Ganz so einfach ist es freilich nicht. Das ist ja gerade das Hinterhältige an Medien, ob es sich nun um natürliche wie Licht oder Luft handelt oder um künstliche wie Sprachen, Schriftarten, journalistische Darstellungsformen oder moderne Massenmedien: Wir bemerken sie gar nicht. Wir sehen und hören durch sie hindurch. Wenn wir Zeitung lesen, wollen wir ja nicht "die Zeitung" lesen, sondern informiert und unterhalten werden. Und übersehen dabei, wie sehr das, was uns interessiert, der Inhalt, durchs jeweilige Medium gefiltert und geprägt wird. Medien machen lesbar, hörbar, sichtbar, wahrnehmbar, all das aber mit der Tendenz, selbst gleichsam unwahrnehmbar zu werden.

Manchmal ist der Einfluss des Mediums nur marginal: Dass jede Zeitung in einer bestimmten Type gedruckt ist, wird den meisten erst auffallen, wenn das Blatt ein neues Layout erhält. Dann mag man sich ärgern oder freuen, den Inhalt berührt dies kaum, sieht man einmal ab von etwaigen Platzgewinnen oder -verlusten. Aber man vergleiche nur die Darstellung einer bestimmten Nachricht im Fernsehen und in der Zeitung.

Medium heißt Mitte und Mittleres, Vermittlung und Vermittler. Wie aber ist die Rolle, die Tätigkeit dieses "Dazwischen" beschaffen? Die heutigen Massenmedien (Fernsehen, Hörfunk, Internet, Zeitung) stellen das, was sie vermitteln, jeweils unter Bedingungen, die sie selbst schaffen und sind. Moderne Medientheoretiker wie Niklas Luhmann behaupten sogar, dass die Massenmedien die Realität, über die sie informieren, gar nicht vorfinden, sondern selbst erzeugen.

Medien bestimmen all unsere Kommunikation, unsere Aufnahme von Informationen aus der Umwelt. Permanent. Eine Kultur ohne Medien ist nicht denkbar. Darauf hat der fortgesetzte Medienwandel, der die Moderne mit der Ausbildung immer neuer Medien begründet hat, nachhaltig aufmerksam gemacht: von den moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts, die maßgeblich zur Überwindung der alten Ständegesellschaft führten, bis hin zum World Wide Web, durch das die Welt zum "global village" schrumpft. Deshalb gewinnt heute die Medienwissenschaft als eigenständige Disziplin zunehmend an Bedeutung.

Die Medien-Fakultät der Bauhaus-Universität Weimar hat eine übersichtlich geordnete, ausführlich kommentierte Einführung in die Medienkultur zusammengestellt, mit über 40 erhellenden Basistexten namhafter Medientheoretiker, darunter Walter Benjamin, Marshall McLuhan, Michel Serres, Theodor W. Adorno und Niklas Luhmann. Auch schwer zugängliche, gleichwohl aber die heutige Diskussion bestimmende Aufsätze wie Fritz Heiders "Ding und Medium" finden sich in dem Reader. Den Herausgebern gelang dabei die Erstellung einer Topographie von Fragen, die die Medienwissenschaft und -kritik heute bestimmen: von Fragen der Wahrnehmung und der Schriftlichkeit, der Beziehung zwischen Medien und dem Unbewussten bis hin zur Kybernetik und Kulturindustrie. Dem Spektrum medienkultureller Fragen steht dabei die Dokumentation unterschiedlicher Zugangsweisen gegenüber, seien sie technologischer, soziologischer, psychoanalytischer oder philosophischer Herkunft.

Eindrucksvoll gestaltet sich vor allem die Wiederlektüre Neil Postmans. Mitte der Achtziger wegen der von ihm geprägten Schlagworte wie "Das Ende der Kindheit" oder "Wir amüsieren uns zu Tode" als Kulturpessimist verspottet, sind seine Voraussagen über die Folgen des Mediums Fernsehen inzwischen allesamt eingetroffen: vom Zehnjährigen, der über Intimschmuck Bescheid weiß bis zur Büroangestellten, die virtuelle Moorhühner abknallt.

Titelbild

Claus Pias / Joseph Vogl / Lorenz Engell (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999.
544 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3421053103

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