Der Literaturwissenschafter als flexibler Generalist

Über die praxisorientierte Einführung „Literaturwissenschaft. Studium – Wissenschaft – Beruf“ von Ursula Kocher und Carolin Krehl

Von Alexander PreisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Preisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band aus der Reihe „Akademie Studienbücher“ ist, wie die Reihe selbst, ein Kind jener Lehrplanumstrukturierung, die im Zuge des Bolognaprozesses die universitäre Landschaft nachhaltig verändert. Einführungen in die Teilgebiete der Geisteswissenschaften boomen daher, nicht zuletzt auch durch den Relevanz- und Praxisdruck, unter dem diese Wissenschaften schon bisher standen. Die Unterüberschrift der vorliegenden Einführung ist jedenfalls Programm: Auf rund 220 Seiten, eingeteilt in 16 Kapitel, erwartet den Leser eine Tour de Force durch die Literaturwissenschaft und weit darüber hinaus. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis eröffnet den Ausblick auf die vielgestaltigen Themen: Vom Universitätsbetrieb über die klassisch literaturwissenschaftlichen Themen (Gattungs-, Literaturtheorie, Geschichte der Literaturwissenschaft) bis hin zu Rede- und Präsentationskompetenz und eine Vorstellung möglicher Berufsfelder erwartet den Leser all das, was die Dreiheit des Titelzusatzes verspricht: Studium, Wissenschaft und Beruf.

Formal lässt das Buch keine Wünsche offen: Ein Serviceteil, der etwa eine Sammlung zentraler literarischer Institutionen oder Möglichkeiten zu Finanzierung des Studiums anführt sowie ein Anhang mit diversen Verzeichnissen und einem Glossar runden den Band ab. Die einzelnen Kapitel werden durch Fragen und Anregungen sowie annotierten Lektüreempfehlungen abgeschlossen. Dazwischen sorgen Randglossen und eine klare Absatzgliederung für die entsprechende Übersichtlichkeit.

Inhaltlich fängt das Buch bei der Beschreibung des Universitätsbetriebs an, um danach die traditionellen Felder der Literaturwissenschaft abzuhandeln (Was ist Literatur? Was ist Literaturwissenschaft? und so weiter). Positionen der Literaturtheorie und zentrale Begrifflichkeiten der Literaturwissenschaft werden ebenso referiert wie eine rudimentäre Geschichte der Disziplin. Das Autorinnenduo vergisst dabei nicht, die vorgestellten Konzepte (wie etwa Gattungen oder Nationalliteratur) gleichzeitig zu hinterfragen und zu dekonstruieren – und es vergisst auch nicht, die krisenhafte Position der Literaturwissenschaft, gerade auch im Hinblick auf ihr mögliches Aufgehen in der Kulturwissenschaft, zu thematisieren. Vom Abstrakten geht es zunehmend ins Konkrete: Ab dem siebten Kapitel werden Recherche- und Informationswege, die Planung des Arbeitsprozesses, aber auch Lese- und Arbeitstechniken besprochen. Dem dichten Programm entspricht die Kürze der Texte, die das Wesentliche aber immer auf den Punkt zu bringen verstehen. Weitere Kapitel blicken über das Studium hinaus und beschäftigen sich mit möglichen Berufsfeldern von Absolventen, dem Beruf des Lektors wird dabei ein eigenes Kapitel gewidmet.

Legt man die Maßstäbe anderer gängiger literaturwissenschaftlicher Einführungen an das Buch an, so überrascht es in zweierlei Hinsicht: Die in manch anderer Einführung eingesetzte Art der lustvollen literarischen Vermittlung, die sich selbst als Teil einer essayistisch-literarischen Darstellungsform begreift, wie etwa in der vielgelesenen „Einladung zur Literaturwissenschaft“ von Jochen Vogt, wird im vorliegenden Band durch einen sachlichen, nüchternen und direkten Stil ersetzt. Den Habitus jener belehrend-literarischen Verspieltheit, den andere Einführungen geradezu inszenieren, erreicht dieser Band nicht und will es auch gar nicht – dazu reichen die – wenn auch sehr gut gewählten – Bilder zu Beginn jedes Kapitels wie die wenigen literarischen Zitate nicht aus. Bis Seite 120 begegnet dem Leser, bis auf Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ – dieses dafür gleich dreimal – kaum ein literarisches Werk, geschweige ein Zitat. Dass der bücherputzende Narr aus Sebastians Brants „Narrenschiff“ emblematisch das Cover des Buches ziert, ist da nur der logische wie selbstironische Ausdruck einer Wissenskultur, die die Arbeit an und mit Literatur viel mehr mit Schlüsselkompetenzen, Fähigkeiten und Arbeitstechniken als mit der ausschweifenden Lust am Lesen und Schreiben verbindet und die gewissermaßen auch Ausdruck einer reflexiven Selbstökonomisierung ist. Das hier dargestellte Selbstbild des Literaturwissenschafters entspricht dem eines flexiblen Generalisten, der sich sowohl im Wissenschaftsbetrieb als auch privatwirtschaftlich zurechtfinden soll. Das sei freilich angemerkt und aber nicht direkt als Kritik zu verstehen, denn der Band hält eben das, was er verspricht und er geht mit seinem nüchternen Praxisbezug auch inhaltlich weit darüber hinaus, was andere eher klassisch orientierte und aktuelle Einführungen (etwa „Grundkurs Literaturwissenschaft: Für Ihren sicheren Studienerfolg“ von Oliver Jahraus) bieten. Sachlich, pragmatisch und vielgestaltig, so lässt sich die Einführung in die Literaturwissenschaft umreißen, auch wenn dabei die Literatur und die Lust am Lesen zu verschwinden drohen.

Titelbild

Ursula Kocher / Carolin Krehl: Literaturwissenschaft. Studium - Wissenschaft - Beruf.
Akademie Verlag, Berlin 2008.
224 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783050044132

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