‚Out of Place‘

Markus Schmitz resümiert in „Kulturkritik ohne Zentrum“ die Rezeption von Edward W. Saids postkolonialen Schriften

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literatur zu Leben und Werk des palästinensisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward W. Said gibt es bereits in unüberschaubaren Mengen. Diese wählt – in grobe Kategorien eingeteilt – entweder eine biografische, eine kulturkritische, eine soziologische oder eine politische Perspektive und konzentriert sich auf autobiografische Elemente in Saids Schriften, die vielschichtigen thematischen Aspekte seines Schaffens oder dessen Rolle innerhalb der postkolonialen Kritik. Die Entstehungsbedingungen von Saids Werken und die Rezeption dieser in postkolonialen, aber auch in gesellschaftspolitischen Diskursen wurden dabei bisher weitgehend ausgeklammert. Besonders im deutschsprachigen Raum besteht – im Gegensatz zur englisch- und arabischsprachigen Welt– noch keine umfassende Auseinandersetzung mit Saids Werk. Diese Lücke füllt nun Markus Schmitz mit seiner Studie „Kulturkritik ohne Zentrum. Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation“.

Ausgehend von einigen Schlüsselstudien Saids – der wenig beachteten Dissertation „Joseph Conrad and the Fiction of Autobiography“ (1963), der Essaysammlung „Beginnings: Intentions and Methods“ (1975), die sich mit der poststrukturalistischen Wende der amerikanischen Literaturkritik beschäftigt, der als Trilogie betrachteten Werke „Orientalism“ (1978), „The Question of Palestine“ (1979) und „Covering Islam“ (1981), in denen das vom ‚Westen‘ konzipierte Bild des ‚Orientalen‘ zentral ist, dem thematisch anschließenden „Culture and Imperialism“ (1993) und der Autobiografie „Out of Place“ (1999) –, beleuchtet Schmitz einerseits die Entwicklung von Saids spezifischer Kulturkritik sowie andererseits die Rezeption seiner Thesen. Das Interesse von Schmitz richtet sich dabei auf das bisher wenig diskutierte Verhältnis der innerhalb der angloamerikanischen Akademie institutionalisierten Kritik zu interkulturellen Diskursen im Nahen Osten (vor allem Kairo, Beirut und Ramallah), zählen doch die intellektuellen Debatten des Nahen Ostens seit den 1990er-Jahren (neben denen der USA) zu den wichtigsten Wirkungsräumen Saids. Im Mittelpunkt dieser cross-kulturellen Rezeptionsanalyse steht dabei sowohl das westliche als auch das arabische Publikum, über alle Grenzen kultureller und sozialer Differenz hinweg. Die von Schmitz analysierten Rezeptionsdokumente entstammen einem großen Korpus an Schriften aus der akademischen Literaturkritik und Historiografie, der politischen Theorie, dem journalistischen und kreativen Schreiben sowie den audio-visuellen Künsten. Was Saids eigene Schriften betrifft, so hält sich Schmitz an die Vorgehensweise „Said gegen Said“ zu lesen, um die konkreten Räume und Inhalte postkolonialer Praxis weiter differenzieren zu können.

Als Einstieg wählt Schmitz Konstantinos Kavafis’ „Warten auf die Barbaren“ aus dem Jahre 1904, in dem der Verlust des Barbaren als selbstkonstituierende Konzeptualisierung des Fremden als Ursache der Krise des abendländischen Alteritätsdiskurses angeführt wird. Ohne die eindeutige Bestimmung von dem, was als ‚anders‘ und ‚fremd‘ gelten kann, ist auch das ‚Eigene‘ nicht mehr auszumachen, denn dieses definiert sich immer auch über das ‚Andere‘. Dieser Ansatz zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk Saids, wobei er vor allem auf das Verhältnis zwischen dem ‚westlichen‘ Menschen und dem ‚Orientalen‘ oder ‚Moslem‘ fokussiert. Diesem Problem begegnete Said selbst Zeit seines Lebens, wie Schmitz erläutert: „Saids frühe Geschichte ist die eines palästinensisch-amerikanischen Christen im überwiegend arabisch-muslimischen Ägypten, aber auch die eines arabischen Kindes in britischen Kolonialschulen; die eines anglophonen Heranwachsenden in einer von der vorherrschenden sozialen Wirklichkeit Kairos völlig abgetrennt lebenden, überwiegend frankophonen Oberschicht.“ Später ging er zu Studienzwecken in die USA. So ergibt sich folgendes Bild von Saids Person: im Westen galt er als Araber, der zwar Ähnlichkeiten mit der amerikanischen Elite hatte, jedoch aufgrund seiner Abstammung nie ein vollständiger Teil eben dieser ausmachen konnte, während er im arabischen Kulturkreis als privilegierter Vertreter des dominanten amerikanischen Kulturbetriebs, der seine Wurzeln vergessen hatte, erfahren wurde. Für Said selbst stellte sich diese Frage nach einer eindeutigen Zugehörigkeit aber nie: für ihn waren alle kulturellen Elemente und Einflüsse Teil seiner Identität, keine konnte sich gegenüber einer anderen durchsetzen und diese verdrängen.

Schmitz zeichnet auch die seit den 1970er-Jahren zunehmende Politisierung Saids nach. Besonders die Publikation der Trilogie „Orientalism“, „The Question of Palestine“ und „Covering Islam“ brachte Said den Stempel ‚prominenteste Stimme der Palästinenser‘ ein. „Während die historische Fallstudie die Exklusion palästinensischer Erfahrungen in der westlichen Historiographie konstatiert, um daraufhin das Projekt einer palästinensischen Gegengeschichte zu skizzieren, konzentriert sich die medientheoretische Untersuchung auf die massenmediale Darstellung von Muslimen in den Vereinigten Staaten“, so der Autor. In diesem längsten und ausführlichsten Teil der Studie gelingt es Schmitz auch darzustellen, wie fortschrittlich Saids Thesen waren: das Islambild, das uns die Medien gegenwärtig präsentieren, folgen präzise den Methoden, die in „Orientalism“ beschrieben werden. Gerade nach den Anschlägen des 11. Septembers haben Saids Schriften wieder an Gültigkeit gewonnen.

Die philosophischen Grundlagen seiner Thesen entstammen unter anderem den Werken Michel Foucaults, Theodor W. Adornos, Antonio Gramscis und Julien Bendas, die Schmitz sehr gründlich und verständlich diskutiert. Auch grundlegende und wiederkehrende Begriffe aus Saids Theorien – wie In-Betweenness, Exterritorialität, Orientalismus – erklärt der Autor anhand passender Textbeispiele anschaulich. Dabei situiert er Said in einem größeren Kontext, indem er auch andere prominente Theoretiker der Postcolonial Studies wie Homi K. Bhabha, Gayatri Chakravorty Spivak, Frantz Fanon, Aijaz Ahmad, um nur einige zu nennen, anführt und Berührungspunkte zwischen ihren Thesen und denen von Said kritisch diskutiert.

„Kulturkritik ohne Zentrum“ ist ein Werk von großem transdisziplinärem Charakter, das Literatur-, Kultur- und Politikwissenschaft sowie Soziologie zu vereinen weiß. Es gibt nicht nur einen detaillierten Einblick in Edward Saids Leben und Wirken, sondern auch in dessen vielfältige Rollen als Literatur- und Kulturwissenschaftlicher, politischer Akteur, sowie der Rezeption und dem Nachwirken seiner Studien im angloamerikanischen als auch im arabischen Raum.

Titelbild

Markus Schmitz: Kulturkritik ohne Zentrum. Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation.
Transcript Verlag, Bielefeld 2008.
431 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783899429756

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