Die Hölle gut durchorganisieren

Peter Truschners neuer Roman „Die Träumer“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich lerne die Stadt kennen“: Roberts Bemerkung erscheint in neuem Licht, als nach seinem Tod seiner Frau Iris diverse Fotos präsentiert werden. Sie zeigen den Kulturwissenschaftler mit glücklichem Gesichtsausdruck in einem Tümpel, in Armeehosen und Arm in Arm mit halbnackten Jugendlichen. Von dem Doppelleben, das Robert nach seinem Rauswurf aus der Uni führte, wird die gefühlskontrollierte Karrierefrau jedoch nur Bruchstücke erfahren.

Der Leser dagegen darf dem schon im ersten Kapitel sterbenden Protagonisten dabei über die Schulter gucken, wenn sich diesem noch einmal sein Lebensfilm der letzten Wochen abspult. In Truschners Erstling „Das Schlangenkind“ (2001) ging es um die autobiografische Beschreibung einer Familienhölle in der Provinz. Der neue Roman des in Berlin lebenden Österreichers „Die Träumer“ handelt vom dräuenden Kampf der Kulturen in den Metropolen Europas. Und von einem orientierungslosen Intellektuellen mit Vatertrauma, der bei der Kollision mit der sozialen Realität sein Leben verliert.

Roberts ziellose Expeditionen in die Schattenzonen einer namenlos bleibenden Großstadt beginnen harmlos, als U-Bahn-Touren in die sogenannten Problembezirke an der Peripherie. Erst sitzt er tagelang an einem Platz und studiert die einzelnen Fraktionen des Prekariats, die sich dort versammeln, um getrennt, aber immerhin friedlich, die Zeit totzuschlagen: die Alkoholiker und Jugendlichen, die selbstgefällige Männlichkeit ausstrahlenden Türken und die Migranten aus Afrika, deren Unterhaltungen vor Gesprächslust überschäumen. Truschners empathische Schilderung der Rituale und Codes, die diesen Mikrokosmos beherrschen, würde jeder Sozialforscher als Meisterstück nicht-teilnehmender Beobachtung rühmen.

Seine Rolle als Zaungast gibt Robert jedoch auf, als er seinen ehemaligen Studenten Konrad wiedertrifft. Der einst verkopfte Einzelgänger lernt inzwischen Kampftechniken und ist Mitglied einer rätselhaften Gruppierung. Später wird auch Iris zu dieser Kontakt aufnehmen. Fühlte sich ihr Mann seit seiner Kindheit von der Dunkelheit angezogen, so Iris, die mit ihrem Catering-Service die Schönen und Reichen der Stadt bewirtet, vom Licht. Auch die Gruppierung hat eine Tagseite, das „Speisezimmer“. Iris sieht berührt die glücklichen Augen der Kinder des Viertels, die dort vermutlich ihre einzige warme Mahlzeit bekommen, Hausaufgabenhilfe und Bewegungsunterricht inklusive.

Der Leiter der privaten Tagesstätte, Merseburger, spielt gern den gutmütigen Bären und ist der helle Zwilling seines Kompagnons Voß. Für die Dauer eines Gewaltmarsches, fasziniert von den neuen Körpererfahrung, geht Robert dessen kruder Lebensphilosophie auf den verschwitzten Leim. Voß „ist davon überzeugt, dass man die Hölle gut durchorganisieren muss, damit sie nicht auf das Paradies übergreift.“

Truschner lässt den Bürgermeister die perspektivlose Jugend dieser Bezirke als „Abschaum“ bezeichnen. Nicht zufällig fällt damit eben jenes fatale Wort, mit dem auch Frankreichs jetziger Präsident und damaliger Innenminister Nicolas Sarkozy seinerzeit die rebellierende Jugend der Banlieues beschimpfte. Truschner führt vor, wie es in den von Staat und Gesellschaft sich selbst überlassenen „rechtsfreien Räumen“ gärt. Wie dort nach dem Prinzip der Selbstorganisation und unter dem Deckmantel der Nachbarschaftshilfe zwielichtige Bürgerwehren entstehen.

Denn Voß nimmt sich dieser Jugend an, die für diese Zuwendung dankbar ist, um sie für die Zeit nach dem endgültigen Zusammenbruch der Sozialsysteme zu drillen, wenn „wir […] uns von der Solidargemeinschaft wieder zur Kampfgemeinschaft“ entwickeln – mit dem Islam als willkommenem sinnstiftenden Feind. Einstweilen dient Voß’ Gruppe aber einer privaten Sicherheitsfirma als Rekrutierungspool. Auserwählte wie Konrad sind dann endlich raus aus ihrem Plattenbau und dürfen für den „rasant wachsenden Wirtschaftszweig“ ihre Auftraggeber beschützen, im Irak und anderswo.

Truschner gehört zu jener aussterbenden Autorenspezies, die stets aufs Ganze gehen muss; das macht ihn sympathisch. Dennoch wäre weniger oft mehr. Denn nicht nur der Erzähler kann sich nicht bescheiden und springt selbst innerhalb eines Kapitels von einer Figurenpsyche zur nächsten. Auch dem Autor scheint ein brandheißes Thema nicht genug zu sein, und so packt er in seinen überambitioniert wirkenden Roman noch die Konkurrenz von Schrift- und Bildmedien rein. Sie wird in Roberts Leben vom früh verstorbenen Vater, einem Hobbyfilmer auf der Suche nach der absoluten Aufnahme, initiiert.

Als symptomatisch muss gewertet werden, wie Truschner in seinem Bemühen um eine originelle, plastische Sprache des öfteren danebengreift und selbst Banalitäten mithilfe schiefer Vergleichen aufbläst: „Er leerte den Whisky in großen Zügen“, reicht da nicht, es muss noch „zwischen denen nicht mehr Zeit verging als zwischen dem Rot- und dem Grünsignal an einer Straßenkreuzung“ angehängt werden.

Hier den Wildwuchs zurechtzustutzen wäre die Aufgabe des Lektors. Interessanter ist da schon die Ästhetik des Gegenspiels und Widerspruchs, des fortwährenden Kampfes zwischen Ja und Nein, die der Autor seinen Protagonisten skizzieren lässt und die auch den Roman bestimmt. Selbst Nebenschauplätze wie die scheinbar kaputte Ehe von Robert und Iris erhalten im Lauf des Romans so ein Doppelgesicht, in dem ihr Geheimnis aufgehoben ist. Wie es Truschner aber gelingt, Voß’ „skurrile Mischung aus Sozialarbeit und Wehrsport“ so auszubalancieren, dass man sich nicht vorschnell von ihr distanzieren kann, ist schlicht gekonnt.

Titelbild

Peter Truschner (Hg.): Die Träumer. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007.
252 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552053267

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