Der Meister des Unmachbaren

Michael Petery nähert sich in seinem Roman „Michelangelo – Der Zorn des Schöpfers“ behutsam und sensibel dem Florentiner Wunderkind und Ausnahmekünstler an

Von Heike GeilenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Geilen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch wenn schon zahlreiche Autoren einen Roman über Michelangelo (vollständiger Name: Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni) geschrieben haben, stellt sich immer wieder aufs Neue die Frage, ob ein derartiges Unternehmen überhaupt als sinnvoll erachtet werden kann. Kann man über einen solchen Ausnahmekünstler überhaupt einen literarischen Text verfassen, ohne nicht von vornherein an der Größe eines solchen Stoffes zu scheitern? Wiederum reizt wahrscheinlich gerade so ein gewaltiges Sujet wie das Leben Michelangelos immer wieder zu künstlerischer Gestaltung. Irving Stones Roman „Michelangelo – Inferno und Ekstase“, der zugleich die Vorlage für den gleichnamigen Film von Carol Reed gab, ist allerdings beredtes Beispiel, dass dieses Unterfangen gelingen kann.

Nun hat sich Michael Petery, der Theologie, Romanistik und klassische Philologie studierte sowie Gründer und Inhaber eines Bildungsreiseunternehmens ist, an dem Universalgenie versucht; sich behutsam und sensibel dem Florentiner Wunderkind angenähert. In seiner handwerklich auf bemerkenswertem Niveau agierenden Trilogie, deren zweiter und dritter Teil in dem vorliegenden Buch „Michelangelo. Der Zorn des Schöpfers“ vereint sind, betrachtet der Autor auf 680 eng bedruckten Seiten das Leben und Wirken des Künstlers, beginnend im Jahr 1508 bis zu seinem Tod am 18. Februar 1564.

Auf den ersten Blick gewinnt der Leser den Eindruck, dass das Buch gewissermaßen auf zwei Ebenen angelegt wurde. Zum einen gibt es die eher sachliche Erzählung von Michelangelos äußeren Lebensdaten und zum anderen die Schilderung seiner durch Intuition oder Mutmaßung gewonnenen psychischen Entwicklung. Doch mit zunehmender Verinnerlichung des Textes verschmilzt die Wahrnehmung dieser Zweiteilung und die beiden Ebenen werden als ein bewusstes Ganzes erspürt. Petery versucht die inneren Zusammenhänge dort auszuloten, wo es nur sehr wenig oder gar kein konkretes Quellenmaterial gibt. Aber keineswegs verfängt er sich in blinden Spekulationen, sondern der Autor kehrt mit den Möglichkeiten der Literatur Wahrscheinlichkeiten heraus, um Michelangelo und seine Kunst besser verständlich zu machen. Dazu erklärt er in einem Interview: „Denn eines ist klar: die Werke Michelangelos sind nicht als solche in fertiger Vollendung vom Himmel auf die Erde versetzt worden, sondern es muss den Menschen Michelangelo gegeben haben, der an dieser Aufgabe gerungen hat, gekämpft, auch gehadert und gezweifelt. Eine auf den ersten Blick rein sachliche Darstellung der Biografie Michelangelos, die nur seine Erfolge und Leistungen aneinander reiht, ist sicher weit mehr von der konkreten Lebenswirklichkeit Michelangelos entfernt als der Versuch, den ich in meinem eigenen Buch unternommen habe.“

Michael Petery zeichnet ein äußerst menschliches Bild des Ausnahmegenies. Er stimmt nicht in den blinden und enthusiastischen Bewunderungschor ein, der Michelangelo heroisiert und als einen Halbgott darstellt, der vom Himmel her kommt und die Menschen in Sachen der Kunst unterweist. In seinem Roman wird aus dem Übermenschen ein fehlbarer Mann mit Stärken und vor allem Schwächen. Geradezu großartig gelingt ihm das in Passagen, wo das Fertige noch unfertig war. So zum Beispiel, als Michelanglo zum ersten Mal der schier unbezwingbar großen leeren Fläche der Decke der Sixtinischen Kapelle gegenüberstand und alles Kommende nur als ungewisse Vorstellung in seinen eigenen Ideen vorhanden war. Petery geht mehr als einmal in seinen Schilderungen an jenen Punkt in Michelangelos Biografie zurück, wo es bestenfalls eine erste Ahnung vom kommenden Werk geben kann und entwickelt dann ausgehend von diesem ersten Gespür seine Darstellung vom Fortgang des entstehenden Werkes. Durch die Deutlichmachung dieses Prozesses erreicht der Autor eine tiefgreifende psychologische Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit.

Gegen Mitte des Romans kristallisieren sich immer mehr Rückblenden auf Michelangelos Kindheit heraus. Hier sind unschwer Freud’sche Einflüsse zu spüren. Dazu der Autor: „Freud hat als Erster die Bedeutung der Kindheit für die weitere Entwicklung eines Menschen aufgezeigt. Und in diesem Sinne versuche ich, Michelangelos Kindheit in meinen Roman mit hineinzunehmen. Wenn ich eine plausible Darstellung von Michelangelos Leben liefern möchte, kann ich seine Kindheit unmöglich ausblenden.“ Michael Petery webt kunstvoll, die durch den frühen Tod von Michelangelos Mutter bei der Geburt seines jüngsten Bruders erlittene Traumatisierung, die den Künstler sein ganzes Leben hindurch verfolgt haben muss, ein. „Nicht umsonst erscheint das Bild von Mutter, Sohn und Tod immer wieder in seinem Werk, von seiner ersten bekannten Arbeit in der Bildhauerschule zu Florenz, der Madonna an der Treppe, bis hin zu seiner letzten Pietà, die sich heute in Mailand befindet und an der Michelangelo noch wenige Tage vor seinem Tod mit neunundachtzig Jahren arbeitete“, informiert der Autor.

Entstanden ist, vor dem Hintergrund der florentinischen und vatikanischen Renaissance zu Anfang des 16. Jahrhunderts, in seinem Duktus ein dem damaligen Zeitgeist angepasstes Werk, das den Leser geradezu in den Geist des großen, aber auch zerrissenen Künstlers eintauchen und mit ihm verschmelzen, ihn Teilhaber an seinen Gedankengängen, an seinem Gefühlsleben und an seinen künstlerischen Prozessen werden lässt. Ein – trotz seiner Fülle und Opulenz – wunderbares, ein kluges Buch, mit einem ungeheuer hohen Maß an Empathie in den Menschen Michelangelo Buonarroti.

Titelbild

Michael Petery: Michelangelo. Roman.
MBR Bildungsreisen, Ismaning 2008.
680 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-13: 9783981044812

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