„In der Kunst das Leben selber finden“

Gunnar Decker hat sich mit seiner Franz-Fühmann-Biografie viel vorgenommen, etwas wirklich Neues legt er aber nicht vor

Von Karen RauhRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karen Rauh

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der aktuellen literarischen Diskussion fast vergessen, war Franz Fühmann für viele junge Intellektuelle in der DDR eine unbestrittene Größe. Er wurde intensiv gelesen und rezipiert. Sein Einfluss auf Schriftsteller wie Wolfgang Hilbig und Uwe Kolbe war groß. Fühmann wirkte dabei aber nicht nur durch seine eigenwillig akribischen Texte: Es war vor allem die Art, wie der 1922 im sudetischen Rochlitz Geborene mit seiner Biografie umging, die ihn von anderen Schriftstellern seiner Generation abhob.

Aufgewachsen in einem katholischen Elternhaus, überzeugter Wehrmachtsoldat, nach dem Krieg glühender Sozialist – das sind typische Brüche in der deutschen Kriegsgeneration. Untypisch ist, dass sich Fühmann damit auseinander setzte und immer wieder über das Warum seiner Wandlungen reflektierte. Dadurch wirkte er authentisch und imponierte denjenigen, die den Krieg als Kind erlebt hatten oder nach dem Krieg geboren waren. Auch über den letzten Bruch – das Scheitern des Sozialismus – legte er in seinen Texten Zeugnis ab.

Decker verfolgt diese Biografie der Häutungen und steckt sein Ziel sehr hoch: „Was das von Fühmann so genannte Eigentliche ist, will dieses Buch ergründen.“ Mit diesem Anspruch will er klüger als Fühmann selbst sein. Das gibt dem Ton seines Textes etwas Gönnerhaftes und reizt ständig zum Widerspruch. Wenn Decker in der Alkoholsucht von Fühmanns Vater eine zwangsläufige Linie zum Alkoholismus des Sohnes zieht, ist die Nähe zum Klischee schnell erreicht.

Decker unterwirft sich nicht dem Anspruch ein literaturwissenschaftliches Buch zu schreiben. Dennoch hätte etwas germanistisches Handwerkszeug dem Text gut getan: zum Beispiel genau zwischen dem zu unterscheiden, was Fühmann in seinen einzelnen Lebensphasen erlebte und dem, was er später darüber sagte oder schrieb. Zum Beispiel stand Fühmann dem Mauerbau erst später ablehnend-skeptisch gegenüber, keinesfalls schon 1961. Das geht aus Deckers Text nicht deutlich hervor. Stellenweise kommt das Buch wie ein einziger Strom aneinandergereihter Zitate daher, wobei man nie genau weiß, von wem sie sind: Von Fühmann selbst? Und wenn ja: Aus welchem Werk? Das erschwert den Lesefluss des Textes erheblich, der ansonsten in einer sehr anschaulichen Sprache geschrieben ist.

Störend wirken auch die seitenlangen Ausführungen um die Geschehnisse des 11. Plenums 1965 und der Biermann-Petition 1976. Sicher waren diese beiden Ereignisse für Fühmanns Leben prägend, aber ein komprimierter Abriss hätte es auch getan, zumal es schon eine Unmenge Publikationen darüber gibt.

Sehr pointiert dagegen schildert Decker das Ineinanderfließen von Literatur und Leben bei Fühmann und gibt damit seiner eigenen Vorgehensweise eine gut nachvollziehbare Rechtfertigung. Deckers Ausgangsfrage ist: „Doch kann uns das Leben eines Autors etwas über sein Werk sagen, das nicht bereits sein Werk ausspricht?“ und lässt Fühmann antworten: „Ich brauchte kein Bild, und wehrte es, da es mir aufgedrängt wurde, wie übrigens auch biographische Einzelheiten, so lange ab, bis ich schmerzhaft zu begreifen begann, daß ein Dichter auch ein Mensch ist und nicht nur ein Mund.“

Was Fühmann für das „Eigentliche“ seines Lebens hielt, macht Decker in seinem Buch nicht deutlich. Für den Text wäre ein anderer Ansatz besser gewesen, denn einen Menschen bis in seine letzten Geheimnisse ergründen zu wollen, ist immer ein aussichtsloses Unternehmen.

Kein Bild

Gunnar Decker: Franz Fühmann. Die Kunst des Scheiterns. Eine Biografie.
Hinstorff Verlag, Rostock 2009.
455 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783356012941

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