Klassenkampfcomic

Ansgar Lorenz zeichnet die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung von 1848 bis heute

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ansgar Lorenz hat einen Comic zur Geschichte der deutschen Linken, der Gewerkschaften zumal, gezeichnet. Sein Handwerk beherrscht er vorzüglich: Prägnante Linien. Lockere, doch wohlgefügte Ordnung der Bildelemente. Spiel von Vorder- und Hintergründen. Vielfach variierte Maße. Großflächige Schwarz-Weiß-Kontraste. Parodistisch überspitzende Charakterisierung politischen Personals, die nie oder selten die Grenze zur Denunziation überschreitet. Angenehm alberne Humoräußerungen: „Helmut ‚Die Birne‘ Kohl […] wird Bundeskanzler. ,G 8 – gute Nacht‘. Soweit die Seite der Form.

Ansonsten ist Lorenz Partei. Sein ideologischer Standpunkt dürfte dem der Linkspartei entsprechen. Breitseiten gegen Schröder und Hartz sprechen dafür. Freilich ist ihm zugute zu halten, dass unerquickliche Details aus der Geschichte der Linken, darunter gemeinsame Streikaktionen von Gewerkschaften und Nazis, nicht unterschlagen werden. Die DDR wird angemessen kritisch gewürdigt, wenngleich nur am Rande, und was die SPD betrifft, mit deren kaiserzeitlicher Debatte um Revolution oder Reform, ist Lorenz erkennbar um gleichschwebende Fairness bemüht.

Lorenz’ Comic wendet sich ausdrücklich an „junge Leser (und nicht nur sie)“. Welche Altersstufe gemeint ist, bleibt offen. Für Kinder sind die begleitenden Texte kaum zu durchschauen, für Jugendliche weit eher, sofern die Bereitschaft zu lernen vorausgesetzt werden darf. Ein Hemmnis bleibt bestehen: Eine Auswahl berichtenswerter Geschehnisse, eine Gliederung nach dem Gesichtspunkt der Wichtigkeit findet nicht statt. Die „Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung“ folgt dieser bis in die kleinsten Verästelungen. Personen, Parteigründungen und –abspaltungen werden mit solcher lexikalischen Sorgfalt geschildert, dass übergreifende Zusammenhänge – ‚der Wald vor lauter Bäumen‘ – zuweilen unkenntlich werden. Die Fähigkeit zu raffen und zuzuspitzen – dem Zeichner Ansgar Lorenz ist sie im Übermaß eigen –, scheint dem Erzähler abzugehen. (Dergleichen Detailversessenheit hat freilich ihr Gutes: Mancher Name, manche Begebenheit, die wert scheint, bewahrt zu werden, wird dem Vergessen entrissen. Wer erinnert sich der spektakulär zweistelligen Lohnsteigerungen der siebziger Jahre und Heinz Oskar Vetters, des DGB-Vorsitzenden jener Tage?)

Ein weiteres Idiom kommt in den Sinn: ‚Der Teufel steckt im Detail‘. So wird der Name Ferdinand Lassalles zuweilen richtig, oft aber falsch geschrieben („Lasalle“), Wilhelm Liebknecht wird fälschlich mit dem Namen des Sohnes, Karl, angesprochen. Es begegnen wohlmeinende Kruditäten wie „Anarchafeminismus“ oder „Die Vorwärts“ – gemeint ist die Parteizeitung der SPD. Haarsträubendste Sprachdeformation: Statt „man“ steht „mensch“. Auch sachliche Fehler sind zu beklagen: Günter Guillaume, DDR-Spion und Willy Brandts Sekretär („Persönlicher Referent“), firmiert höchst missverständlich als dessen politischer „Berater“. Der „Zusammenbruch der New Economy“ wird in die frühen 1990er-Jahre datiert. Eine Debatte zu wirtschaftlichen oder politischen Hintergründen der erwartungsgemäß verdammungswürdigen Hartz-IV-Gesetzgebung wird nicht einmal angedeutet.

Dass Lorenz am Ende der „Kleinen Geschichte“ Streikaktionen in Düsseldorfer Cateringunternehmen (2005) und unter Lokführern der Deutschen Bahn (2007) referiert – auf übergreifende Perspektiven wird schlankweg verzichtet –, muss als Ausweis der Ratlosigkeit gelten. Dem Autor unser aller politische Desorientierung zum Vorwurf zu machen, grenzte dennoch an Bigotterie: Die „Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland“ ist ein rücksichtslos vereinfachender Comic in Schwarz und in Weiß. Mehr lässt sich heute kaum fordern.

Titelbild

Ansgar Lorenz: Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung. In Deutschland - Von 1848 bis heute.
Wilhelm Fink Verlag, München 2009.
89 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783770548699

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