Geld, Sex und Einsamkeit

Über Alexander Schimmelbuschs melancholischen Roman „Blut im Wasser“

Von Christian PalmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Palm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Geld regiert die Welt“, lautet ein oft zitierter Spruch, den jeder kennt und den nicht wenige für richtig halten. Wer kein Geld hat, ist in vielerlei Hinsicht arm dran, so der allgemeine Tenor. Umgekehrt sollte man meinen, dass reiche Leute das Leben in vollen Zügen genießen können, weil ihr Dasein weitestgehend sorgenfrei ist.

Über reichlich Geld verfügen auch die beiden Hauptfiguren in Alexander Schimmelbuschs zweitem Roman „Blut im Wasser“. Ein sorgenfreies Leben ermöglicht der Reichtum Pia und Alex – beide Ende zwanzig oder Anfang dreißig – jedoch nicht. Beide sind von jeher an Luxus gewöhnt, weil sie aus sehr reichen, miteinander befreundeten Familien stammen: Zu ihrem „unerschöpflichen Reichtum“ gelangt Pias Familie zwar erst, als der Vater die revolutionäre „Arbitragestrategie“ entwickelt, doch auch schon vorher dürfte das Vorstandsmitglied einer Bank zu den wohlhabenderen Bürgern gehört haben. So verbringt die Familie beispielsweise die Sommermonate traditionell in ihrem Feriendomizil in der Nähe von Bordeaux. Aber auch am Frankfurter Stadtrand lässt es sich gut leben, können sich die beiden Töchter doch „wie kleine Diven unter Sonnenschirmen“ fühlen, wenn sie neben dem hauseigenen Pool liegen, nachdem sie brav Klavier beziehungsweise Violine gespielt haben. An den Wochenenden vertreibt sich ihr Vater, der keine privaten Kontakte zu Kollegen und Konkurrenten pflegt und seine Töchter auf seinen Geschäftsreisen besser kennen lernen möchte, gerne mal die Zeit damit, auf die Krähen zu schießen, die auf dem Familienanwesen ihr Unwesen treiben. Oft trinkt der passionierte Weinliebhaber aber auch einfach in seinem Arbeitszimmer ein Glas über den Durst. Seine kontaktfreudigere Frau, die den Mädchen gelegentlich aus ihrem märchenhaften Tagebuch vorliest, organisiert hingegen in regelmäßigen Abständen Gartenfeste, um „den arroganten Eindruck abzuschwächen“, den ihr Ehemann bei anderen Menschen hinterlässt. Dass letzterer „einfach nicht gerne mit Menschen zusammen“ ist, führt Pia aber weniger auf seine Arroganz zurück, sondern versucht sie mit „Desinteresse und seelischer Erschöpfung“ zu erklären.

Auch Alex’ Familie, die in einem kugelsicheren Haus im Westend lebt, aber häufig wochenlang im noblen Hotel Plaza logiert, gehört zur absoluten High Society. Der Vater, offensichtlich Führungskraft oder Firmenchef eines Großkonzerns, hat zum Beispiel nicht nur Leibwächter, sondern trägt auch selbst eine Waffe und wird täglich im gepanzerten Mercedes – sicherheitshalber noch von Begleitfahrzeugen eskortiert – zur Arbeit chauffiert. Wenn sich die beiden Familien im Taunus zum Essen verabreden, wird über Joyce, Rilke, Finanzinstrumente und amerikanische Bauvorhaben gesprochen. So geht es zum Beispiel um die Renovierung einer neu erworbenen Sommerresidenz in Montauk – jenem Ort auf der Insel Long Island, der uns durch die gleichnamige Erzählung des Schweizer Schriftstellers Max Frisch ein Begriff ist.

Die Kinder werden schon im zarten Alter von zehn Jahren ein Paar. Die erste große Liebe ist sehr leidenschaftlich und hält insgesamt sechs Jahre. Auf Drängen ihrer Eltern hin treibt jedoch die schwangere Pia das gemeinsame Kind ab, ohne mit Alex gesprochen zu haben. Später verlieren sich beide aus den Augen. Aus Studiengründen geht Alex nach Amerika, wo er ein unstetes Leben führt, zu dem Partys, Alkohol und zahlreiche lockere Affären gehören, an die er sich kurze Zeit später teilweise nicht mehr erinnern kann. Immer wieder wickelt der charmante und attraktive Hobbyschwimmer Frauen um den Finger, um sich alsbald – meist schon nach einer Nacht – wieder aus dem Staub zu machen, was dazu führt, dass der Herzensbrecher schon mal beim Spazierengehen von einer genervten Ex-Bekanntschaft mit einem Glas Gelee beworfen wird. Anstatt sich langfristig zu binden, sucht er lieber „Zuflucht und Wärme“ in einer Nacktbar. Immerhin besucht er seine schwerkranke Mutter, deren Ehe inzwischen gescheitert ist, regelmäßig in New York, bis sie schließlich stirbt – genau wie der Vater. Zwar fühlt sich Alex auch nach dem Studium in Georgetown „einigermaßen heimisch“, doch zugleich wird er sich stets mehr dessen bewusst, dass er im Grunde sehr einsam ist und sich nach einem Halt im Leben sehnt. Die Gedanken an einen Umzug nach Montauk, wo er sich eine Brandungsloge hat errichten lassen, nachdem sein Elternhaus abgebrannt ist, gehen mit der Hoffnung einher, der tristen Einsamkeit zu entfliehen, in der er sich trotz oder gerade wegen des luxuriösen und promisken Lebenswandels befindet: „Ich muss weg von hier, denke ich mir, ich will mit all dem nichts mehr zu tun haben. Ich will hinaus in mein Haus nach Montauk fahren. Ich will eine Frau, ein Kind, einen Hund.“ Schließlich muss er dann aber beim Oralverkehr feststellen, dass er „Amerika den Rücken gekehrt“ hat und sein „Schwanz über den Atlantik hinweg nach Europa weist, nach Deutschland sogar vielleicht.“

Auch die Architektin Pia bleibt nach dem Studienabschluss in den USA, denn in Deutschland erwartet sie niemand mehr, nachdem ihr Vater und ihre Schwester bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben kamen und die hinterbliebene Mutter ein Jahr später an einer Krankheit starb. Tragisch ist auch Pias eigenes Schicksal, denn den kommenden Frühling wird die unheilbar an Krebs Erkrankte laut Arzt nicht mehr erleben. Seitdem sie weiß, dass sie bald sterben muss, denkt sie oft an Alex, „den einzigen Menschen“, der ihr neben ihren Angehörigen „jemals von Bedeutung war“. Seitdem der Kontakt vor zehn Jahren abgebrochen ist, hat sie zwar wiederholt Briefe geschrieben, diese aber nie abgeschickt. Nostalgisch denkt sie insbesondere an jenen romantischen Sommer zurück, den die Jugendlichen gemeinsam in Montauk verbracht haben, wo sie teuren Burgunderwein tranken, sich täglich liebten und gemeinsame Zukunftspläne schmiedeten: „Wenn wir alte Leute wären, beschlossen wir in diesem Sommer, würden wir die Städte hinter uns lassen und nur noch auf dem Land existieren, in der klaren Luft der bundesdeutschen Wälder, die mein Elternhaus umgaben, und hier draußen über dem feinen Atlantiksand, in diesem gelobten, sanft geschwungenen Dünenland, das, bevor der Amerikaner kam, jahrtausendelang die Heimat der sanftmütigen Montauk-Indianer gewesen war.“

Da sie die Trennung von Alex nie richtig verarbeitet hat, drängt sich ihr zunehmend die Frage auf, was aus ihm geworden ist: „Erinnert er sich an mich? Ist er verheiratet? Ist er Vater geworden?“ Mit dem Mute der Verzweiflung fasst sie schließlich den Entschluss, zu ihm zu fahren – in der Hoffnung, er könne ihr die Kraft geben, „[s]ich zu wehren, [s]ich behandeln zu lassen“. Da sie ihn jedoch nicht in seiner Wohnung antrifft, stirbt auch der letzte Funken Hoffnung. Große Angst und tiefe Trauer beschleichen sie.

Mit „Blut im Wasser“ wagt der Österreicher Alexander Schimmelbusch, Jahrgang 1975, einen desillusionierenden Blick ins gesellschaftliche Milieu der Superreichen, denen der Reichtum nicht zum erhoffen Glück verhilft, weil zu einem erfüllten Leben auch ein Sinn vonnöten ist. Die tragische Geschichte über die moderne Konsumgesellschaft führt den Leser von der Frankfurter Vorstadt aus über den großen Teich an die amerikanische Ostküste und somit an zwei Orte, die der in Frankfurt geborene und in New York aufgewachsene Autor bestens kennt. Die Kombination von amerikanischen Schauplätzen und deutschem Personal erlaubt ihm, gezielt die Frage nach Heimat zu stellen und auch an einigen Stellen auf die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern einzugehen.

Erwähnenswert an dem (mit 126 Seiten) sehr kurzen Roman ist aber insbesondere die äußerst seltene narrative Gestaltungsweise, mit der das Werk konzipiert ist: Eher ungewöhnlich ist schon, dass die Erzählgegenwart im Präsens (statt im epischen Präteritum) geschildert wird, weshalb Kindheit und Jugend mit Hilfe von Rückgriffen retrospektiv aufgearbeitet werden. Außergewöhnlich ist aber vor allem, dass mit Alex und Pia gleich zwei Ich-Erzähler zu Wort kommen, deren Erzählungen ständig alternieren und für den Leser dennoch aufgrund der Kapiteltitel „ALEX“ und „PIA“ leicht voneinander zu unterscheiden sind. Im Gegensatz zu anderen Prosatexten, die bisweilen auch von mehreren Erzählern erzählt werden, kann bei Schimmelbusch nicht von narrativer Verschachtelung die Rede sein, weil nämlich der Autor auf mehrere, hierarchisch strukturierte Erzählebenen verzichtet. So gibt es beispielsweise keine Rahmenerzählung, keine aus dem Briefroman bekannte Herausgeberstimme, und auch keinen anderen primären Erzähler. Stattdessen sind die beiden Erzählerfiguren nebengeordnet und daher auch gleichberechtigt, was den Effekt hat, dass zwei unterschiedliche Perspektiven entstehen. In gewisser Weise erinnert diese ungewöhnliche Erzählsituation an Christa Wolfs multiperspektivisch angelegten Roman „Medea. Stimmen“ (1996) – wenngleich auch in stark vereinfachter Form.

Auf melancholische Weise seziert Alexander Schimmelbusch in „Blut im Wasser“ die trostlose Luxuswelt der gegenwärtigen High Society. Nach dem Debüt „Im Sinkflug“ (2005) spielt auch sein zweiter Roman in denselben Milieus und führt den Leser an dieselben Schauplätze. Wer gerne Popliteratur der 1990er-Jahre liest, ist bei Schimmelbusch richtig, denn Anklänge an dieselbe sind unverkennbar.

Titelbild

Alexander Schimmelbusch: Blut im Wasser. Roman.
Blumenbar Verlag, München 2009.
126 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738582

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