Maternale Moderne – Christine Kanz über männliche Gebärphantasien zwischen Kultur und Wissenschaft (1890-1933)

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass auch Männer Kinder gebären können, ist ein uralter Traum. Zwischen 1890 und 1933 wurden männliche Gebärphantasien zu einem in Literatur, Kunst und Film geradezu obsessiv präsentierten Phänomen. Heute ist aus der Phantasie Realität geworden. Die zentrale These dieser Kultur- und Wissensgeschichte männlicher Gebärphantasien, dass die kulturelle Moderne eine maternale war, während die Metapher der Geburt angesichts der „Machbarkeit“ männlichen Gebärens funktionslos geworden ist, wird entlang einer Paradigmenreihe entwickelt, die sich von Texten Arno Holz’, Franz Kafkas, Ernst Weiß’ oder Ernst Jüngers gegenüber Skulpturen und Bildern Max Beckmanns, Jacob Epsteins oder Umberto Boccionis bis hin zu Filmen Paul Wegeners, Robert Wienes oder Fritz Langs erstreckt.

Vorgeführt wird, dass und wie innerhalb der kulturellen Moderne eine Entwicklung vom rein imaginären Projekt der männlichen „Kunstgeburt“ zur „realen“ materialen Geburt im 21. Jahrhundert stattfand. Die in Literatur, Kunst und Film der kulturellen Moderne präsentierten Gebärphantasien sind dabei im Kontext der als ‚Signatur der kulturellen Moderne‘ zu bezeichnenden Obsession mit Maternität sowie der ebenfalls dominierenden Materiebesessenheit zu situieren. Sie stehen zudem in einer vielschichtigen Wechselbeziehung mit einem komplexen Feld faktischen Wissens, unter anderem mit hermetisch-alchemistischen Konzepten, okkulten Phänomenen (Wiedergänger, Somnambulismus), verschiedenen Evolutions- und Vererbungstheorien sowie mit den sich herausbildenden Techniken künstlicher Reproduktion.

Der Aufstieg vom Imaginären der „Kunstgeburten“ zum „Realen“ einer neuen Materialität öffnet einen ganz neuen, vollständig unbekannten Horizont, von dem Filme wie „Blade Runner“ oder „Matrix“ nur einen Vorschein geben. Zu Recht steht Filippo Tommaso Marinettis „afrikanischer“ Roman „Mafarka der Futurist“ im Dreh- und Angelpunkt der Argumentation.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Titelbild

Christine Kanz: Maternale Moderne. Männliche Gebärphantasien zwischen Kultur und Wissenschaft (1890-1933).
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2009.
472 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783770548293

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch