Sozialistische Todesopfer

Stefan Aust erinnert sich in „Deutschland, Deutschland“ der Wendejahre 1989/90

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Niemand würde Stefan Aust krankhafte Demut unterstellen. Ein durchaus robustes Selbstbewusstsein hat im Frühjahr 2008 zu Austs unfreiwilligem Abgang als Spiegel-Chefredakteur maßgeblich beigetragen. Dieses Amt hatte er 15 Jahre innergehabt, eine beachtliche Leistung angesichts einer der exponiertesten Positionen im deutschen Journalismus. Zuvor war Aust Chefredakteur von Spiegel-TV gewesen, und also solchem war es ihm aufgegeben, die „Wendezeit“ der Jahre 1989/1990 in Fernsehbildern festzuhalten. Wenn Aust für sich und die Seinen in Anspruch nimmt, die Avantgarde des Echtzeit-Journalismus in Deutschland gewesen zu sein – weniger bieder-verschnarcht als die öffentlich-rechtlichen Konkurrenten –, wird man nicht widersprechen wollen. Das Maß der kaum verhohlenen Selbstbeweihräucherung ist aber doch überraschend: „[…] ganz sicher waren wir damals die beste Redaktion eines Fernsehmagazins in Deutschland“.

Wer „Deutschland, Deutschland“ in die Hand nimmt, muss auf Spiegel-Prosa gefasst sein, dies obwohl keine unter den rund 50 Skizzen für Spiegel oder Spiegel-TV verfertigt wurde: Aust hat sich die Mühe gemacht, von heute aufs Damals zurückzublicken und allfälliges publizistisches Material aus der Wendezeit gedanklich und sprachlich neu zu gestalten. Die Skizzen reichen vom November 1989 (Mauerfall) zum Dezember 1990 („Die Wende der Katarina Witt“) und münden in einem „Zeitsprung – Zwanzig Jahre später“, der wenig mehr als 20 Seiten umfasst, doch einige erstaunliche Pointen setzt. Gerade hier kommt Austs Spiegel-erprobtes Zuspitzungstalent bestens zur Geltung: Extreme Verknappung und Dichte, einfache Wortwahl und Syntax, grelle Metaphern. Das Überpointierte, Ätzende solcher Prosa, die Spiegel-Guillotine, ist nicht jedermanns Sache: Aust polarisiert, und das mit Wonne. Sein sprachliches Fallbeil, chirurgisch präzise, legt gern beschwiegene Bruchstellen deutscher Befindlichkeit bloß. (Sachliche Fehler – „Lech Walensa“ werden andererseits recht erfolgreich vermieden.)

Stefan Aust beherrscht wie wenige die Kunst der Insinuation und beziehungsreicher Bonmots, die harmlos Sachverhalte konstatieren, es dennoch ‚in sich haben‘. So heißt es von der Bundeshauptstadt Berlin: „Die Zentralen der wichtigen Ministerien haben sich in den Gebäuden der ehemaligen Reichshauptstadt einquartiert. Das Finanzministerium im ehemaligen Gebäude des Reichsluftfahrtministeriums. Das Außenministerium im Haus der Reichsbank. Der Bundesrat im ehemaligen Preußischen Landtag.“

Das wiedervereinigte Deutschland als Wiedergeburt Preußens – oder gar schlimmerer Gestalten deutscher Geschichte? „Der Kanzler der Einheit Helmut Kohl hat sich ein Amt aus Beton bauen lassen, das einer gigantischen Waschmaschine gleicht […].“ „Beton“ meint hier nicht bloß die Architektur, vielmehr Kohls Herrschergehaben, das sechzehnjährige ‚Aussitzen‘ aller Konflikte. Der Leser wird weiterhin grübeln, was die Rede von „Waschmaschinen“ ausdrückt: Welche Vergangenheit wird hier sauber gewaschen? Austs scheinbar so simple, bedenkenlos konsumierbare, nebensatz- wie nuancenlose, Schwarz und Weiß eindeutig wie das Cover scheidende Prosa gibt dem aufmerksameren Leser vieles zu denken.

Überhaupt das Cover: „Deutschland, Deutschland“ ist in Schwarz und Weiß gekleidet. Untertitel: „Expedition durch die Wendezeit“ und Name des Autors sind – rot. Mit anderen Worten: Aust – oder sein Verlag – wählt für den Einband die deutschen Farben der wilhelminischen Zeit. Dies fügt sich ins oben entworfene Bild der Bundes- als Reichshauptstadt. Der Hinweis freilich, dass Schwarz-Weiß-Rot die Farben der Hakenkreuzfahne sind, grenzte wohl ans Paranoide.

Im Übrigen ist Stefan Aust ein Meister einsilbig-treffender Psychogramme. Ist das viel berätselte Phänomen Angela Merkel knapper und richtiger charakterisiert worden? „Sie […] ist […] Physikerin und den Männern der CDU und CSU an Raffinesse haushoch überlegen. Sie ist misstrauisch, machtbewusst und bescheiden. Kein lauter Auftritt wie der ihres Amtsvorgängers Gerhard Schröder, kein bräsig pompöses Gehabe wie bei dessen Amtsvorgänger Helmut Kohl. Eine auffällig unauffällige Erscheinung. Unnahbar, wissend, geschickt und positionslos.“ Die Formulierung „Auffällig unauffällig“ enthält in nuce das Prinzip ‚Aust‘: vordergründig ein Kalauer, wohlfeil, beinahe billig. Recht besehen die akkurateste Beschreibung.

Besagter „Zeitsprung“ (vulgo: Schlussbemerkung) in die Gegenwart ist der PDS gewidmet: „Eine Nacht in Berlin hatte 1989 das Experiment des Sozialismus auf deutschem Boden beendet. Doch die Partei lebt weiter, gewendet und mit neuem Personal.“ Vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlerfolge der Partei „Die Linke“, die – immerhin – das Bestehen der ältesten deutschen Volkspartei SPD in Frage stellen, ist Austs Entscheidung, sein letztes Wort der PDS zu widmen, sehr wohl legitim. Nun ist von Aust, dem leidenschaftlichen Polemiker, kein strategisch-abwägendes, weitblickendes Urteil über Ideologie und Koalitionstauglichkeit der PDS zu erwarten. Ein Blick zurück auf die Wendejahre ist dennoch lohnend. Niemand wäre besser befähigt als Aust, das reiche Kriminalregister der PDS auszuleuchten: „Der Ausschussvorsitzende Neumann konnte bei der Suche nach dem Auslandsvermögen der SED nicht auf die Hilfe der PDS setzen. […] Der am Novum-Deal beteiligte Günther Forgber, der im Untersuchungsausschuss zunächst als Zeuge ausgesagt hatte, erlitt 2006 in der Nähe von Valencia einen tödlichen Autounfall. Dadurch konnte er nicht weiter an der Aufklärung mitwirken. Klaus Langnitschke, Hüter der Parteigelder, wurde 1998 in Lugano beim Überqueren eines Zebrastreifens totgefahren. Ein weiterer auskunftsbereiter Zeuge in Sachen SED-Finanzen weniger. Um den Unfalltod ranken sich zahlreiche Gerüchte. […] Der am Putnik-Dale beteiligte Karl-Heinz Kaufmann […] zieht Parallelen zum rätselhaften Tod des sowjetischen KP-Finanzchefs Nikolai Krutschina, der ebenso wie Langnitschke in den Putnik-Fall verwickelt war. […] Der Sozialismus fordert viele Todesopfer.“

„Deutschland, Deutschland“ zählt zu den unsentimentalsten, bestinformierten und gedanklich schärfsten Erinnerungsbüchern über die Wendezeit. Es handelt von Gegenwart.

Titelbild

Stefan Aust: Deutschland, Deutschland. Expedition durch die Wendezeit.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009.
286 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455501322

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