Bits of philosophic history repeated

Michael Tomasello erläutert „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“

Von Willem WarneckeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Willem Warnecke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welche Art von Argumentationen erwartet man in einem Buch zu den Ursprüngen der menschlichen Kommunikation zu finden? Insbesondere, wenn es vom Direktor der Abteilung für „Vergleichende und Entwicklungspsychologie“ des Leipziger „Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie“ stammt: Dort werden „die kognitiven und sozial-kognitiven Prozesse bei Menschen und den ihnen eng verwandten Primaten“ anhand von menschlichen Kindern, Affen und Hunden erforscht. Studien finden etwa im 2001 eröffneten „Wolfgang-Köhler-Primaten-Forschungszentrum“ im Leipziger Zoo statt, wo alle vier Menschenaffenarten gehalten werden. Zumindest vor diesem Hintergrund dürfte es doch vermutlich überraschen, wenn Michael Tomasello sowohl seinem neuen Werk insgesamt als auch jedem seiner Kapitel jeweils ein Zitat Ludwig Wittgensteins voranstellt und darin Philosophen wie H. Paul Grice oder John R. Searle deutlich häufiger bezwiehungsweise prägnanter in Erscheinung treten lässt, als die empirischen Forscher von – beispielsweise – Nikolaas Tinbergen bis Sue Savage-Rumbaugh.

Shirley Bassey hielt im Lied „History repeating“ dem Evolutions- sofort den Revolutionsgedanken entgegen: „The word is about, there’s something evolving / Whatever may come, the world keeps revolving.“ Dieser Gegensatz spiegelt sich interessanterweise nicht nur inhaltlich in vielen der in den letzten Jahrhunderten geführte Debatten um biologischen Wandel wieder. Er eröffnet auch Fragen nach der Bewertung der Arbeit des (sich zumal auf Empirie berufenden) Etho-, Psycho- und Anthropologen Tomasello: Präsentiert er News – oder doch nur ‚Olds‘?

Sein Fazit, das er über seine anschaulichen und ausführlichen, leider teils durchaus redundante Darlegungen erreicht, sei hier vorweggenommen: „Die Sprache, oder besser die sprachliche Kommunikation, ist daher nicht irgendeine Art von formalem oder sonstigem Gegenstand; vielmehr ist sie eine Form gesellschaftlichen Handelns, konstituiert durch gesellschaftliche Konventionen, um gesellschaftliche Zwecke zu erreichen, welche zumindest auf einem gewissen geteilten Verstehen und geteilten Zielen der Benutzung beruhen.“ Man mag sich fragen, was ein ‚formaler Gegenstand‘ sein sollte: Zwar kann etwas formal beziehunsgweise hinsichtlich seiner formalen Eigenschaften betrachtet werden, aber Tomasellos Formulierung stellt strenggenommen eine Contradictio in adiectio dar. Gegen solche Gegner lässt sich gut gewinnen. Durchaus ihren Reiz hat jedoch seine Zurückweisung der rein formalen oder gegenständlichen Betrachtung der Interaktionsformen von Lebewesen zugunsten eines auf Funktionsüberlegungen gegründeten Tätigkeitsansatzes. Das dem letzten Kapitel vorangestellte Wittgensteinzitat – „Unsere Rede erhält durch unsere übrigen Handlungen ihren Sinn.“ – passt ebenfalls zum Versuch, „im Grunde den Vorschlag Chomskys vom Kopf auf die Füße“ zu stellen.

Damit meint Tomasello, dass die menschliche Sprachfähigkeit eben nicht als eigenständiges, evolutionär neues Modul aufzufassen sei. Denn, wie er es wieder mit Berufung auf Wittgenstein sagt, der „sprachliche ‚Code‘ gründet auf einer nichtsprachlichen Infrastruktur des intentionalen Verstehens und auf einem gemeinsamen begrifflichen Hintergrund, der tatsächlich logisch vorrangig ist.“ Seine zentrale Behauptung sei es, „daß wir zuerst verstehen müssen, wie Menschen durch den Gebrauch natürlicher Gesten miteinander kommunizieren, bevor wir nachvollziehen können, wie Menschen durch den Gebrauch einer Sprache miteinander kommunizieren und wie diese Fertigkeit im Lauf der Evolution entstanden sein könnte. Meine evolutionäre Hypothese wird nämlich lauten, daß die ersten, nur beim Menschen vorkommenden Formen der Kommunikation im Zeigen und Gebärdenspiel bestanden.“

Im Zuge seiner diesbezüglichen Argumentation stellt er Ergebnisse empirischer Studien vor, für die er sehr anschauliche Deutungen vorschlägt. Zumindest ein paar Entdeckungen und Überlegungen seien hier erwähnt: Schimpansen helfen anderen nicht, selbst wenn zumindest ihr „Wissen“ dafür eine Grundlage böte. „Bezeichnenderweise geben Makkaken-Muttertiere keinen Alarmruf von sich, wenn sie in experimentellen Studien ein ‚Raubtier‘ sehen, das sich ihrem Nachwuchs nähert, solange sie nicht selbst in Gefahr sind.“ Beobachtungen, dass Affen unerwünschtes Futter anderen anbieten würden, seien zwar gemacht worden, allerdings nur sehr selten. Dabei verstünden Affen andere zwar „als intentionale, möglicherweise sogar als rationale Akteure“, verfügten jedoch „weder über die Fertigkeiten noch über die Motivationen […], mit anderen gemeinsame Ziele und gemeinsame Aufmerksamkeit auszubilden oder sich auf andere Weise mit anderen an gezielter Intentionalität zu beteiligen.“

In Bezug auf (Laut-)Sprache unterliegen die Tiere wohl ebenfalls strikten Beschränkungen: „Versuche von Menschen, Affen und Menschenaffen neue Vokalisierungen zu lehren, schlagen immer fehl; und Versuche, sie zu lehren, ihre eigenen Vokalisierungen auf Befehl hervorzubringen, sind entweder erfolglos oder es bedarf Tausender von Testversuchen, um nur ein spärliches Ergebnis zu erzielen.“ Das rühre wohl daher, dass die Tiere die Vokalisierungen nicht als Zeichen für etwas verwenden, sondern sie bei ihnen schlicht Ausdruck ihrer jeweiligen Verfassung sind. In Zoos lebende Menschenaffen entwickelten allerdings häufig sogenannte ‚Aufmerksamkeitsfänger‘, „zum Beispiel In-die-Hände-klatschen, damit die menschlichen Besucher auf sie aufmerksam werden und ihnen Futter zuwerfen.“ Die psychologische beziehungsweise kommunikationstheoretische Deutung dieses Verhaltens sei jedoch umstritten, denn wie schon im Fall, dass „ein Affe lernt, daß ein bestimmter Alarmruf einer bestimmten Vogelart oder auch der eigenen Art die Gegenwart eines Leoparden anzeigt, ist unklar, ob wir das als das Verstehen einer kommunikativen Handlung interpretieren sollten.“ (Ergänzt sei, dass schließlich nicht einmal jener Ruf selbst unbedingt als kommunikative Handlung anzusehen ist.) Zeigegesten verstünden sie nicht oder zumindest deutlich anders als menschliche Kinder.

Interessanter- und bezeichnenderweise gebe es weiterhin „immer noch keine experimentellen Belege dafür, daß Schimpansen andere aktiv in die Irre führen können“. Dies bringt Tomasello zum einen mit ihrem „nicht besonders ausgeprägten“ Vermögen in Zusammenhang, die Aufmerksamkeitszustände von anderen einzuschätzen. Zum anderen erfordere „auch Täuschen und Lügen kooperative Kommunikation“.

Das Verhalten menschlicher Kinder sei dagegen in quasi allen Bereichen sozialer Interaktion geprägt durch Kooperation. „Manchmal verwandeln sie die instrumentellen Aufgaben sogar in Gesellschaftsspiele, indem sie die erhaltene Belohnung in den Apparat zurücklegten, um mit der Tätigkeit von neuem zu beginnen; die gemeinschaftliche Tätigkeit selbst war belohnender als das instrumentelle Ziel. Am wichtigsten war folgender Unterschied: Wenn der Erwachsene die Handlung unterbrach, ermunterten ihn die Kinder aktiv, sie fortzusetzen, indem sie mit ihm auf irgendeine Weise kommunizierten. Dies legt nahe, daß sie ein gemeinsames Ziel mit ihm ausgebildet hatten, auf das sie ihn nun wieder verpflichten wollten. Insgesamt schienen die Kinder nur um der Zusammenarbeit willen zusammenzuarbeiten, während die Schimpansen sich auf eine mehr individualistische Weise beteiligten.“

Detailliert beschreibt Tomasello dann den (hypothetischen) phylogenetischen Wandel: „Im Kontext dieses Pfades der Evolution wurden die Aufmerksamkeitsfänger der Menschenaffen in menschliche Zeigegesten verwandelt […]. Nach diesem ersten Schritt konnten sich die Intentionsbewegungen der Menschenaffen zu den ikonischen Gesten der Menschen entwickeln“, von denen aus es nur noch ein kleiner Schritt zur ausgebildeten Sprache sei. Zumindest der Chomsky’schen Annahme einer zusätzlichen sprachspezifischen Fähigkeit, einer angeborenen ‚Universalgrammatik‘ (die sich derzeit nicht einmal kohärent formulieren ließe) bedürfe es dann nicht mehr. Allerdings reiche es für die Untersuchung dieser Formen von Kommunikation nicht aus, sie ausschließlich in einem ethologischen Rahmen zu betrachten, also innerhalb eines Kausal-Modells schlicht als syntaktisch-grammatische Routinen. Vielmehr sei gerade ein Verständnis der pragmatischen Dimension des Kommunikationsvorganges vonnöten; er müsse also ergänzend auch in einem (nicht reduktionistischen) psychologischen Rahmen aufgefasst werden als ein durch zielgerichtetes Tun etablierter.

Soweit Tomasellos insgesamt gut verständliche und auch kurzweilige Darstellung. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht sind zu Details davon jedoch ein paar Anmerkungen zu machen. Der Umfang der Kritik ist dabei allein den Erfordernissen der Erläuterungen geschuldet, drückt hingegen keine Ablehnung des Werkes insgesamt aus.

In Hinblick auf die gerade angesprochene Zielgerichtetheit, auf die hin die Aktionen eines Individuums zu untersuchen seien, ist etwa zwischen zweierlei zu unterscheiden: Was will zum einen beispielsweise ein Affe mit seinem Kreischen erreichen, was ist zum anderen die Funktion des Kreischens in der Interaktion der Affen (unter anderem: was bewirkt es darin)? So werden Individuen häufig von anderen in spezifischer Hinsicht beeinflusst, während diese eine solche Beeinflussung gar nicht (‚bewusst‘) beabsichtigt haben. Einem Laut kann damit durchaus eine Warnung für ein Individuum sein, obwohl der Lautgeber gar nicht vorhatte, irgendjemanden zu warnen.

Dieser Umstand ist für die Bildung des Begriffs von Kommunikation äußerst wichtig – leider bekräftigt Tomasello gerade in diesem Zusammenhang eine Marginalisierung der intentionalen Dimension: „In der biologischen Welt muß Kommunikation jedoch weder absichtlich noch kooperativ sein. Für Biologen fallen unter Kommunikation alle möglichen Merkmale des Körpers und des Verhaltens, die das Verhalten anderer beeinflussen – von charakteristischen Färbungen bis zum Dominanzgebaren –, unabhängig davon, ob der Signalgebende absichtliche Kontrolle über das Signal hat (oder überhaupt weiß, daß es andere beeinflußt).“ Diese Auffassung ergänzt Tomasello als Psychologe lediglich um die Binnendifferenzierung zwischen „Kommunikationsdisplays“ und „Kommunikationssignalen“: nur bei letzteren gehe es um intentionales Tun. Als Formen von „Kommunikation“ werden trotzdem beide angesprochen.

Selbst wenn man bezüglich obiger Formulierung darüber hinwegsieht, dass ‚Kommunikation‘ sicherlich nicht die Merkmale selber, sondern bestenfalls die durch jene ausgelöste Interaktion bezeichnet, wäre der Ausdruck, so verstanden, eine ziemlich nichtssagende Phrase: Nicht allein würde dann schließlich sowohl das Darm-Bakterium mit den nur aufgrund seiner Tätigkeit zur Verdauung befähigten Lebewesen, als auch das transpirierende Säugetier mit den auf den Schweiß reagierenden Zecken kommunizieren. Sogar ein eines Verbrechens Verdächtigter stünde schon allein über die Papillarleisten seiner Finger mit den seine Fingerabdrücke überprüfenden Ermittlern in einem Kommunikationszusammenhang. Einen Schritt weitergehend wäre dann vielleicht sogar die Kommunikation mit oder gar zwischen unbelebten Gegenständen – der ausgelöste Feuermelder kommuniziert mit den Hausbewohnern oder dem Babyfon – möglich.

Doch warum sollte man so reden, dass der Elefant, der mir auf den Fuß getreten ist, mit mir ‚kommuniziert‘ hat (insofern, dass er durch sein Gewicht in der Folge meinen Gang beeinflusst)? Gerade der von Tomasello doch offenbar geschätzte Wittgenstein legt dar, dass die Bedeutung von Wörtern nicht als menschenunabhängig und fix anzusehen sei, sondern genau in deren sprachlichem Gebrauch bestehe – und warnt vor den philosophischen Problemen, die durch achtlosen Sprachgebrauch („wenn die Sprache feiert“) entstünden. Es wäre daher zu begrüßen, die Bedeutung von ‚Kommunikation‘ enger zu fassen, schon, weil dann dem Terminus ein größerer Informationsgehalt zukäme. In den genannten Fällen wäre es hingegen ausreichend, schlicht von ‚interagieren‘, in einigen Fällen von ‚signalisieren‘ (was immer aus der Perspektive des Signalempfängers zu verstehen ist) zu sprechen.

Einige andere Möglichkeiten für definitorische Unterscheidungen lässt Tomasello bedauerlicherweise ebenfalls ungenutzt, etwa in Bezug auf ‚Information’ oder ‚wissen‘: „Wenn eine grüne Meerkatze einen ‚Schlangenwarnruf‘ hört, weiß sie, daß eine Schlange in der Nähe ist; hört sie einen ‚Adleralarmruf‘, weiß sie, daß ein Adler in der Nähe ist.“ Dabei ‚weiß‘ er doch um die durch solche Rede erzeugten Schwierigkeiten – und sicherlich in einer anderen Weise, als eine Meerkatze um irgendwelche Feinde ‚weiß‘: „Wenn das Jagdereignis mit diesem Vokabular komplementärer Rollen [‚Treiber‘, ‚Fänger‘ et cetera] beschrieben wird, erscheint es natürlich als genuin gemeinschaftliche Tätigkeit: Komplementäre Rollen implizieren bereits, daß es ein gemeinsames Ziel gibt, das von den Individuen, die die Rollen einnehmen, geteilt wird. Die Frage ist jedoch, ob dieses Vokabular angemessen ist.“

Ausgehend von seinen Erörterungen lässt er sich zudem bisweilen zu bemerkenswert unsicheren (und wohl auch unsicherbaren) Prognosen oder Vermutungen hinreißen: „Individuen, die bloß damit beschäftigt sind, Dinge voneinander im Hier und Jetzt zu verlangen, oder auch einander über Dinge zu informieren, die vom Hier und Jetzt etwas entfernt sind, würden einfach für viele der extravaganten syntaktischen Hilfsmittel, die wir in modernen Sprachen antreffen und deren Funktion auf recht direkte Weise mit den funktionalen Anforderungen erzählender Rede über räumliche und zeitlich versetzte, strukturierte Ereignisfolgen zusammenhängt, keinen Bedarf haben.“ Oder gar: „Noch spannender ist es, sich vorzustellen, wie die menschliche ‚Sprache‘ aussähe – falls wir sie dann überhaupt noch so nennen wollten –, wenn sie sich nicht im Kontext der Kooperation, sondern der Konkurrenz entwickelt hätte.“ Nein, das wäre nicht ‚spannend‘, sondern vielmehr ‚absurd‘ und nein, ‚Sprache‘ könnte man dieses Was-Auch-Immer dann nicht mehr nennen: Was wäre, wenn Äpfel Fahrräder wären? Wollte oder könnte man sie dann noch ‚Äpfel‘ nennen? Ein letztes Beispiel: „Es ist ganz einfach so, daß sich die menschlichen Sprachen auch ganz anders hätten entwickelt [sic!] können, wenn irgendwelche [ihrer] Teile – aus irgendeinem der zahllosen evolutionären Gründe – signifikant anders gewesen wären.“ Spätestens durch das ‚signifikant‘ wird die These gänzlich trivial.

Weiterhin sind in Tomasellos Darlegungen bisweilen die Rollen und Bezüge nicht klar bestimmt: „Ich selbst bin jedoch davon überzeugt – aus Gründen, die uns zu weit wegführen würden –, daß Menschen diese Dimensionen des ,Wie-die-anderen-sein-Wollens’ als ein Mittel entwickelt haben, um die Konformität innerhalb der Gruppe und Unterschiede zwischen Gruppen im Kontext einer auf mehreren Ebenen stattfindenden und an der Gruppe als ganzer ansetzenden Selektion zu maximieren: die sogenannte kulturelle Gruppenselektion.“ Dies klingt – übrigens auch in der Englischen Vorlage – nicht nur, als ob jene Menschen die eigene evolutionäre ‚Verbesserung‘ selbst im Auge gehabt hätten, sondern auch, als habe es überhaupt so etwas wie einen Plan gegeben. Doch Erklärungen des phylogenetischen Wandels beziehen sich weder auf Taten von Akteuren, noch auf zielgerichtetes Tun überhaupt. Zielgerichtet erscheinen Vorgänge nur aus der Retrospektive, das heißt in der Rekonstruktion. Solche ‚als ob‘-Redeweisen ausdrücklich kenntlich zu machen beziehungsweise entsprechende Ungenauigkeiten strikt zu vermeiden, ist mindestens bei einer Überblicksdarstellung sehr wichtig, wie sie das hier betrachtete Buch bieten soll.

Darüber hinaus mögen dem einen oder anderen Leser die argumentationslogischen Übergänge unangenehm auffallen, denn oftmals findet – erneut: in der Übersetzung wie im Original – aufbauend auf ausdrückliche Vermutungen direkt der Indikativ Verwendung (kursiviert durch W.W.): „Dem hier präsentieren Vorschlag zufolge entstand die gemeinsame Aufmerksamkeit bei gemeinschaftlichen Tätigkeiten mit gemeinsamen Zielen jedoch von oben nach unten (und entwickelt sich heutzutage bei menschlichen Kleinkindern auf diese Weise). Mutualistische Zusammenarbeit ist also die Geburtsstätte des gemeinsamen begrifflichen Hintergrunds, der notwendig ist für die inferentiell reichhaltige kooperative Kommunikation menschlichen Stils.“ Der Geltungsanspruch, den diese bestimmte Redeform impliziert beziehungsweise suggeriert, kann hier jedoch nicht gerechtfertigt werden.

Solche Ungenauig- oder Nachlässigkeiten erleichtern vielleicht teilweise die unbedarfte Lektüre des Textes, behindern aber Tomasellos Erklärungsvorhaben: eben indem sie die mit der Darlegung erhobenen, über die strikte empirische Forschung zweifellos hinausragenden Geltungsansprüche untergraben. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Problematik zu sehen, die indes die gesamte Evolutionsforschung betrifft. Viele Evolutionsbiologen, speziell Soziobiologen, sehen ihre Aufgabe in der Angabe bestimmter (in aller Regel prähistorischer) Zustände, von denen aus aufgrund der Naturgesetzlichkeiten gewisse spätere Zustände, inklusive der Beschaffenheit biologischer Organismen, erklärbar sind. In die Argumentation gehen außerdem Überlegungen bezüglich der Nützlichkeit von ebenfalls anzugebenden Eigenschaften jener Organismen im „Überlebenskampf“ ein. Bei Tomasello ist etwa zu lesen: „Diese Gefühle haben sich vermutlich genau deshalb entwickelt, weil sie sowohl die Aufmerksamkeit für als auch die Einhaltung von soziale(n) Normen der Hilfsbereitschaft/Reziprozität sowie die Konformität/Solidarität/Zugehörigkeit zu gewährleisten helfen.“ Dass sich bestimmte Eigenschaften des Menschen entwickelt haben, „muß mit irgendeinem Vorteil für das menschliche Individuum verbunden sein“.

Dabei darf jedoch mindestens nicht übersehen werden, dass die Definition von Eigenschaften wiederum erst durch den Forscher geschieht. Also ist, genau wie im Tomasello-Zitat oben bezüglich der Jagd angemerkt, auch hier genau zu prüfen, ob die Beschreibung überhaupt dem Erklärungsvorhaben angemessen ist. Um sich die Schwierigkeiten zu veranschaulichen, die sich bei der Erarbeitung eines Modells des phylogenetischen Wandels (Evolutionsszenario) ergeben, möge man sich einige der Möglichkeiten der beschreibenden Erfassung des Unterschiedes in der Gesichtsbehaarung bei Männern und Frauen vergegenwärtigen: Ist der evolutionäre Vorteil im Bartwuchs bei männlichen oder aber in der reduzierten Gesichtsbehaarung bei weiblichen Individuen zu suchen? Oder ist das Selektionsmerkmal vielleicht in dem in der Behaarung des Körpers (unter anderem des Gesichts) ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus zu sehen? Geht es dabei um Wärmedämmung, um Tarnung, um Licht- oder um Feuchtigkeitsschutz – oder um Partnerwerbung? ‚Die eine‘ kontextunabhängig gültige Beschreibung gibt es hier schlicht nicht. Leider ist es im Gegenteil sogar oft so, dass just aufgrund einer einigermaßen passenden Erklärung für eine der möglichen Beschreibungen diese als ‚die richtige‘ propagiert wird, ein Merkmal also auf eine singuläre Funktion reduziert wird. Doch der Bart ist eben nicht nur ‚Zierde‘ des Mannes. Die Engführung der Argumentation auf eine einfache Nutzen-Dimension, welche auch bei Tomasello bisweilen anklingt, ist somit verfehlt.

Ein anderes Geltungsproblem, das sich der Leser vergegenwärtigen möge, betrifft die Art der Argumentation selber. Solche kausalen Erklärungen des phylogenetischen Wandels, wie Tomasello sie vorlegt, sind formallogisch auf die wahrheitsfunktionale Subjunktion (Wenn-Dann-‚Schluss‘) zurückzuführen. Die These ‚Wenn A, dann B.‘ ist dabei allein in dem Fall unzulässig, dass ihr Antezedens (Wenn-Teil) wahr, ihr Sukzedens (Dann-Teil) indes falsch ist. Der Übergang auf ein (von vornherein) wahres Sukzedens ist also von jedem beliebigen Antezedens ausgestattet, also sowohl von einem wahren, als auch von einem falschen. Die eigentlichen Prämissen der Evolutionsforschung sind nun genau jene Sachverhalte, die an die Stelle des Sukzedens treten: im wahrsten Sinne ‚Gegebenheiten‘, beispielsweise die faktischen Eigenschaften des Menschen (unter anderem in Abgrenzung zum Schimpansen). Zwar mag es deutlich unterschiedliche Beschreibungen dieser Gegebenheiten geben, trotzdem sind genau sie der Ausgangspunkt der Rekonstruktion, gleichzeitig aber das Ziel der Argumentation. Wie abhängig das Antezedens im Evolutionsszenario vom Sukzedens ist, wie schwach es also in argumentationslogischer Hinsicht gegenüber diesem ist, wird auch dadurch verdeutlicht, dass es schlichtweg absurd wäre zu behaupten, aufgrund irgendwelcher (früheren) Zustände oder Selektionsvorteile müsste die Welt heute ‚eigentlich‘ anders aussehen (oder sei sogar anders als bislang bekannt): Weil beispielsweise auch ein leistungsfähiger olfaktorischer Sinn das Überleben befördert, müssten Menschen eigentlich genauso gut riechen können wie Hunde (oder könnten es sogar, was bislang nur immer verkannt worden sei). Da nun das Sukzedens in der evolutionstheoretischen Argumentation von vornherein unstrittig ist, läuft eine entsprechende Erklärung auf Grundlage der Subjunktion also schon formal nie Gefahr, als ‚falsch‘ bezeichnet werden zu können. Eine zusätzliche Immunisierung gegen Kritik ergibt sich daraus, dass nicht einmal die empirische Überprüfbarkeit der Erklärung behauptet wird, also die Reproduzierbarkeit der nämlichen Entwicklung im Labor.

Es geht demnach im Evolutionsszenario nicht um ‚Beweise’, nicht einmal um durch Erfahrung Bestätigtes. Schließlich ist keiner der Evolutionsforscher ‚damals‘ selbst dabei gewesen und das, worum es Tomasello geht – Verhalten, Kognition und Kommunikation unserer Vorfahren –, fossiliert nicht, kann also bestenfalls indirekt belegt werden. Vielmehr geht es ‚lediglich‘ um Plausibilisierungen. Diese sind freilich zum Verständnis des jeweiligen Forschungsgegenstandes überaus hilfreich. Manchmal wird dieser Umstand aufgrund von Tomasellos Formulierungen deutlich (kursiviert durch W.W.): „In unser Quasi-Evolutionsgeschichte sind wir nun bei Menschen angelangt“. Einige andere Stellen sind jedoch dahingehend unbefriedigend.

Warum die Falscheinschätzung des Geltungsanspruchs einer Erklärung ein ernsthaftes Problem der wissenschaftlichen Forschung darstellt, mag ebenfalls an einer Passage bei Tomasello verdeutlicht werden: „Genetische Untersuchungen aus jüngerer Zeit haben festgestellt, daß eines der Schlüsselgene, die für die artikulierte menschliche Sprache verantwortlich sind (das FOXP2-Gen), in der menschlichen Population vor nicht mehr als 150000 Jahren praktisch zeitgleich mit dem modernen Menschen erstmals auftraten. Es ist schwierig, sich irgendeine andere Funktion als das artikulierte Sprechen, wie es in modernen Sprachen verwendet wird, für die unglaublich feinkörnige motorische Steuerung vorzustellen, die dieses Gen zu ermöglichen scheint.“ Mindestens wäre zu sagen, dass die Einschränkungen unserer Vorstellungskraft bzw. unseres Beschreibungsvermögens an sich gar nichts belegen: Das Gen ist vorhanden, egal, ob wir uns sein Vorhandensein erklären können oder nicht. Darüber hinaus übersieht Tomasello aber vor allem, dass das 1998 entdeckte sogenannte ‚Sprachgen‘ FOXP2 in neurolinguistischen Fachkreisen längst mit anderen Augen gesehen wird.

Zum einen, da eben umstritten ist, wie sein Einfluss auf die Sprache zu beschreiben ist (siehe oben), da es nur indirekt mit ihr in Zusammenhang gebracht werden kann: Bei einer Mutation jenes Gens treten weitreichende spezifische Sprach- oder Sprechstörungen auf. Überspitzt könnte man aber sagen, dass auch eine löchrige Kraftstoffleitung oder das Fehlen des Zündschlüssels jeweils weitreichende spezifische Störungen des Fortbewegungsvermögens eines Automobils hervorrufen – ohne, dass deswegen eins dieser beiden Bauteile als (der) ‚Fortbewegungs-Verursacher‘ angesehen würde. Zum anderen wurde das Gen inzwischen auch bei vielen Tieren gefunden, selbst solchen außerhalb der Klasse der Säugetiere. Artikuliert sprechen – oder auch nur ähnlich wie Menschen miteinander kommunizieren – können sie alle nicht (diesbezüglich sind schließlich nicht zuletzt die empirischen Studien aus Tomasellos Umfeld aufschlussreich). Wie könnten also, um wieder obigen Vergleich zu bemühen, Kraftstoffleitung oder Zündschlüssel als für just die Fortbewegung „verantwortlich“ angesehen werden, wenn sie beispielsweise auch in Motorsägen oder stationären Kranen vorkommen?

Würde nun für ein sich auf FOXP2 beziehendes Evolutionsszenario zur Sprachfähigkeit des Menschen ein Geltungsanspruch erhoben, der über den einer vom jeweiligen Wissensstand abhängigen Plausibilisierung hinausgeht, wären diese Anmerkungen beziehungsweise generell alle neuen Forschungsergebnisse als schwerwiegende methodologische Einsprüche aufzufassen, die die Ergebnisse in ihrer Wissenschaftlichkeit beträfen. Sie würden dann regelrecht die (Prä-)Historie verändern. Wird das Szenario hingegen als einfache Plausibilisierung verstanden, stellen solche Einwände nur eine inhaltliche Kritik dar. Sie fordern lediglich dazu auf, das Szenario zu überarbeiten, um so das Verständnis des jeweiligen Forschungsgegenstandes zu verbessern. Welcher Anspruch nun mit Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation erhoben werden soll, wird aus dem Text leider nicht ganz deutlich.

Außerhalb des Bereichs der eigenen Fachwissenschaft(en) eckt Tomasello mit seinen Ausführungen bisweilen an, inhaltlich etwa bei genuin linguistischen Themen. Zwar greift er dem vorweg: „Linguisten werden, ich ahne es schon deutlich, vor den schrecklichen Simplifizierungen erschaudern, die diese kurze Darstellung komplexer Redekonstruktionen (und gerade auch der ernstzunehmenden Syntax) enthält.“ Solches Erschaudern ist aber gerechtfertigt, wenn bei ihm beispielsweise zu lesen ist: „In manchen Sprachen kommen ganz eindeutige Klassen von Nomen und Verben vor, andere hingegen beschränken sich mehr oder weniger auf eine einzige Klasse, deren Elemente beide Rollen spielen können (wie die englischen Wörter brush [Bürste, bürsten] und kiss [Kuß, küssen]).“ In dieser Darstellung wären nämlich die ‚Wörter‘, auf die sich die Menge der Verben einer Sprache bezieht, direkt die lautlichen oder schriftlichen Ausdrücke (Phonem- oder Graphemfolgen). Eine solche Sichtweise bereitet schon sprachintern etliche Probleme (etwa in Hinsicht auf Homophonien wie ‚Wal‘/‚Wahl‘), allerspätestens aber in Hinblick auf lautliche oder schriftliche Ausdrücke, die in verschiedenen Sprachen vorkommen, etwa deutsch ‚Gift‘ / englisch ‚gift‘ respektive deutsch/englisch ‚arm‘. Tomasello zufolge wären das alles dieselben Wörter. Nein, in der für die Einteilung in Wortklassen erforderlichen semantischen Betrachtung sind Wörter als ‚Lexeme‘ auf einer abstrakten Zwischenebene zu verorten: Der eine Ausdruck ‚brush‘ (der in mehreren Sprachen Verwendung finden mag) bezeichnet im Englischen mehrere Lexeme, von denen eins wiederum einen Gegenstand, ein anderes eine Tätigkeit bezeichnet. Entsprechend sind es die Lexeme, die Wortklassen zuzuordnen sind – und diese Zuordnung ist eine eindeutige.

Ferner gerät Tomasello in Konflikt mit zentralen Einsichten der klassischen Linguistik: „In fast allen Sprachen der Welt, sowohl in den gestischen als auch in den stimmlichen, wird zuerst auf den Akteur/das Subjekt und dann auf den Adressaten/das Objekt in der Äußerung referiert, vermutlich deshalb, weil in der wirklichen Welt kausale Quellen sich typischerweise bewegen und gegenüber den Dingen, auf die sie einwirken oder die sei beeinflussen wollen, aktiv werden. Diese Anordnung hat also zumindest halbwegs natürliche Quellen.“ Denn ungeachtet dessen, dass Tomasello erneut von einem ‚vermutlich‘ auf ein ‚also‘ mit Indikativ kommt, legte doch schon Ferdinand de Saussure dar, warum ein ‚halbwegs‘ in Bezug auf die Rückführbarkeit konventioneller Zeichen(systeme) und ihrer Regeln auf natürliche Gegebenheiten absolut nicht ausreicht: Salopp gesagt ist die Vorstellung von ‚nur halbwegs willkürlich (arbiträr)‘ genauso unsinnig wie die von ‚ein klein wenig schwanger‘.

Zu den Vorbehalten aus philosophischer Sicht sind neben den genannten metatheoretischen Schwächen auch kleine theorieimmanente Ungenauigkeiten zu rechnen. So darf man wohl verwundert sein, wenn in einem Buch, in dem Wittgenstein durch Zitate und Verweise eine so prominente Rolle zugebilligt wird, die Rede ist von „kulturell konstruierten Dinge[n] wie Geld, Ehe und Regierung […], die nur innerhalb einer institutionellen, kollektiv konstituierten Wirklichkeit existieren, an die wir alle glauben und in der wir gemeinsam handeln, als ob es sie wirklich gäbe.“ Bezüglich solcher ungeschickten metaphysischen Aussagen über Gegebenheiten in der Welt ‚hinter‘ der „kollektiv konstituierten Wirklichkeit“ hätte der Philosoph (entsprechend der Anekdote aus Karl Poppers Autobiografie) eventuell auch Tomasello mit dem Schürhaken gedroht.

Die Argumentation des Buches überrascht also vielleicht ein wenig hinsichtlich ihrer Form und ihrer Bezüge und weist auch gewisse Mängel auf. Aber wenngleich das Buch von der Theorie dominiert ist, erhebt Tomasello diesbezüglich ausdrücklich keine Ansprüche: „Die wichtigsten theoretischen Argumente für geteilte Intentionalität als Basis menschlicher kooperativer Kommunikation stammen aus den philosophischen Analysen der Kommunikation, die von Klassikern wie Wittgenstein, Grice und Lewis und zeitgenössischen Denkern wie Sperber und Wilson, Clark, Levinson und Searle geliefert wurden. Ich beanspruche gewiß nicht, theoretisch irgend etwas geleistet zu haben, das über ihre Einsichten bedeutend hinausgeht.“ Insofern träfe Shirley Bassey ja genau den Punkt: „And I’ve seen it before / And I’ll see it again / Yes I’ve seen it before / Just little bits of history repeating.“

Doch Tomasello bezieht jene Analysen eben konkret „auf die Kommunikationstätigkeiten von Menschenaffen, menschlichen Kindern und vielleicht unserer menschlichen Vorfahren“, bemüht sich somit, diese – wenngleich in gewissen Kreisen nicht neuen – Thesen und Einsichten (wieder) in die Biowissenschaften einzubringen und dort (wieder) fruchtbar zu machen. Es muss schließlich das Rad gleichsam nicht neu erfunden werden, um dem gegenwärtigen soziobiologischen/neobehavioristischen, also reduktionistisch-szientistischen Mainstream entgegenzuwirken. Tomasello folgt so etwa dem Namenspaten der Leipziger Primatenforschungsstation, Wolfgang Köhler, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seiner ‚Gestaltpsychologie‘ gegen die damals starken strukturalistischen und behavioristischen Positionen richtete. Ohne das „just“ und das „little“ verliert auch Basseys Refrain den pejorativen Charakter: Tomasellos Aufforderung zur Rückbesinnung möge dankbar aufgenommen werden.

Titelbild

Michael Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
410 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783518585382

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