Dem Fremden auf der Spur

Christof Hamann und Alexander Honold bündeln Beiträge zu historischen und fantastischen Entdeckungsreisen

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das ‚Fremde‘ und die ‚Fremden‘ beflügeln die Fantasie von Forschungsreisenden, Entdeckern und Schriftstellern seit jeher. Diese Faszination, die irgendwo zwischen Anziehung und Ablehnung, zwischen Neugier und Furcht angesiedelt ist, inspiriert Menschen seit Jahrtausenden dazu, ihre eigenen Gefilde zu verlassen und die große weite Welt zu erkunden. Nicht selten wurden und werden die neugewonnen Erkenntnisse und Eindrücke in Briefen, Tagebüchern, Reiseberichten oder Romanen festgehalten.

Der von Christof Hamann und Alexander Honold herausgegebene Sammelband „Ins Fremde schreiben. Gegenwartsliteratur auf den Spuren historischer und fantastischer Entdeckungsreisen“ widmet sich dieser jahrhundertealten Tradition der Entdeckungs- und Reiseliteratur einerseits sowie dem Wiederaufleben der großen Entdeckungsreisen in der Gegenwartsliteratur andererseits. Dabei legen die Beiträge ihren Fokus auf Publikationen aus dem deutschsprachigen Raum (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) und sind darum bemüht, Literatur und Geschichte, Fiktion und Fakt miteinander ins Gespräch kommen zu lassen. Diskutiert werden soll nämlich nicht der Wahrheitsgehalt der betreffenden Dokumente – ob nun Primär- oder Sekundärtext –, sondern, so die Herausgeber: „In den Relektüren und Wiedererzählungen der Reise- und Entdeckungsliteratur überlagern einander distinkte historisch-geographische Referenzebenen, und dementsprechend auch zwei oder mehrere Diskursflächen. Der Erkundungsgang im Raum führt zugleich auch durch ein Repertoire an Wahrnehmungsmustern, Wissensformen und Textbeständen, meist solchen des abendländischen Archivs.“ Die dunklen Kapitel der Entdeckungslust wie Exotismus, Rassismus, Eurozentrismus und koloniales Herrschaftsdenken werden dabei ebenso angesprochen wie das scheinbar unendliche Interesse an weit entfernten Ländern, Völkern und Kulturen zum Zwecke der Forschung und des Fortschritts ebenso wie zur persönlichen Weiterentwicklung. Dabei wurde in den hier aufgenommenen Beiträgen „[v]ersucht […], die Begegnungen zwischen den Reisenden und den bereisten Regionen in einer jeweils doppelten Optik darzustellen, mit Empathie und Distanz gleichermaßen.“

Der erste Teil des Sammelbandes vereint Beiträge unter dem Titel „Reisen in der Literaturgeschichte“ und behandelt historische Literarisierungen von Entdeckungsreisen. Der zweite, „Positionsbestimmungen“ genannt, versucht wiederum einige der Besonderheiten für das in der Gegenwartsliteratur sehr populäre Genre zu bestimmen. Abschließend kommen Autoren und Autorinnen in Interviews oder Essays selbst zu Wort, geben persönliche Einblicke in ihre Auffassung vom ‚Fremden‘, reflektieren über das Reisen, das Beobachten, das Festhalten und Wiedergeben von Erlebnissen und Erfahrungen. Ferner werden literaturwissenschaftliche Analysen einzelner Texte, in denen Entdeckungsreisen literarisiert wurden, dargelegt.

Der sehr kompakte Sammelband besticht durch seine deutliche Struktur und die verfolgten Forschungsansätze. Was die Primärtexte betrifft, werden durchwegs zeitgenössische Werke (zum Großteil aus den vergangenen 15 Jahren) analysiert. Auf den literarischen Reisen durch Persien, die Arktis, verschiedene Teile Afrikas und andere Gebiete erhalten wir verschiedene Perspektiven und Ansatzpunkte zum Umgang mit der Materie wie beispielsweise zum Erzählen historischer Stoffe, zur Rolle verschiedener Figuren (im konkreten Fall des Landvermessers und von Forschungsreisenden), zur Intertextualität, zur Recherche als poetologischer Kategorie et cetera.

Titelbild

Christof Hamann / Alexander Honold (Hg.): Ins Fremde schreiben. Gegenwartsliteratur auf den Spuren historischer und fantastischer Entdeckungsreisen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
335 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835305335

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