Die Kabbala ohne Kabbalisten

Giordano Brunos „Kabbala des pegaseischen Pferdes“

Von Patrick MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war ein Paukenschlag, der an den Säulen der Zivilisation rüttelte, und zugleich der einzige Text, von dem sich Giordano Bruno aus freiem Willen distanzierte. Als 1585 die „Cabala dell cavallo pegaseo“ in London erschien, wähnte man den Höhepunkt von Brunos Attacken mit dem ein Jahr zuvor erschienenen „Spaccio delle bestia trionfante“ bereits hinter sich. Dies war ein großer Irrtum, der Brunos radikalstes Werk umso spektakulärer erschienen ließ. In „Cabala“ zieht Bruno alle Register seines Könnens und lässt einen ironisch-zynischen Text entstehen, der seine anderen Werke an Sarkasmus um Längen übertrifft. Es ist ein einziger Abgesang auf die menschliche Dummheit, der mit einem gekonnten Wortspiel im Titel seinen Anfang nimmt.

Cabalas riesige Themenvielfalt lässt sie zu einem nicht enden wollenden Rundumschlag gegen alles und jeden werden: Skeptiker, Aristoteliker, Platoniker, Juden und Christen werden alle das Ziel Brunos radikalster Attacke, an der er sich zeitweilig fast selbst zu überheben scheint. Die Idee, zeitgenössische Missstände in Wissenschaft, Kultur und Religion in ein Hohnlied an den Esel münden zu lassen, ist keineswegs neu und findet sich bereits bei zahlreichen anderen Renaissanceautoren wie etwa Machiavelli wieder. Allerdings ist es Bruno gelungen, dem Ganzen eine vollkommen neue Seite abzugewinnen. Nicht zuletzt auch wegen der Behandlung der universellen vicissitudo, der fortwährenden Veränderung aller Dinge, die in Zusammenhang mit der Seelenwanderung auch Thema in Cabala ist. Seine Dauer-Kritik an der Platonischen Anamnesislehre, nach der Lernen Erinnern ist, wird hier auf ein neues Podest gestellt und als „bloße passive Ideenschau“ degradiert.

Doch bei allem Wortwitz und allen Anspielungen ist die „Cabala“ ein schwer zu verstehender Text, der dem modernen Leser alles abverlangt. Verschiedene literarische Formen werden großzügig eingesetzt, wobei ihr Zusammenspiel den hohen Grad an antithetischer Abstraktion noch einmal wachsen lässt. Brunos Antiklassizismus gipfelt in seinen Wortneuschöpfungen, die dem konstanten Wandel der Dinge – in diesem Fall der Sprache – Rechnung tragen wollen.

Diese beiden Umstände haben sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass die „Cabala“ kein sehr großes Echo in der Leserschaft gefunden hat. Ihre Verbreitung war eher zäher und sporadischer Natur. Die Inquisition erfuhr erst gegen Ende des Bruno-Prozesses 1599 von der „Spaccio“. Die „Cabala“ hingegen erschien noch nicht einmal in der Anklageschrift, da sie den Anklägern schlichtweg nicht bekannt wurde. Dies war für Bruno ein sicher günstiger Umstand, konnte er sich doch so als reiner Naturphilosoph ausgeben. Einzig in England scheint die Verbreitung etwas erfolgreicher gewesen zu sein, wovon eine partielle Übersetzung von John Toland am Anfang des 18. Jahrhunderts zeugt.

Heutzutage sind von der Erstauflage der „Cabala“ rund ein Dutzend Exemplare erhalten. Interessierte können sich die Faksimile-Ausgabe in der „Opere italiane“ von Eugenio Canone anschauen. Deshalb ist es wohl nicht nötig, auf die Notwendigkeit einer exakten deutschen Übersetzung der „Cabala“ hinzuweisen, die glücklicherweise nun im sechsten Band der Bruno Werkausgabe des Felix Meiner Verlages vorliegt. Als Grundlage des Werkes dient die Übersetzung von Kai Neubauer, die umfangreich bearbeitet und kommentiert von Sergius Kodera herausgegeben wurde. Das kleinere Werk Brunos, das von einigen auch als Abschluss des „Spaccio“ verstanden wird, ist jedenfalls vorläufig ein krönender Höhepunkt der Ausgabe und kann nur als größter Gewinn für den deutschsprachigen Raum betrachtet werden.

Titelbild

Giordano Bruno: Cabala del cavallo pegaseo. Die Kabbala des pegaseischen Pferdes.
Herausgegeben von Sergius Kodera.
Übersetzt aus dem Italienischen von Kai Neubauer.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2008.
198 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783787318063

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